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Verhaltener Applaus aus der Schweiz

Der alte ist der neue: Die Demokraten feiern ihren Präsidenten nach dessen Wiederwahl. AFP

Anders als vor vier Jahren hat der Sieg Obamas diesmal in der Schweiz weniger Enthusiasmus ausgelöst. Die meisten Reaktionen sind nüchterner, aber vorwiegend positiv. Viele zweifeln allerdings, ob es Obama gelingt, seine alten Versprechen umzusetzen.

Begeisterung herrscht standesgemäss im Lager der US-Demokraten in der Schweiz. «Cheers» hallt es von den Wänden eines Cafés in einem Genfer Wohnviertel, wo sich Obamas Fans umarmen und gegenseitig gratulieren.

Einige weinten oder schrien vor Freude oder Erleichterung, nachdem bekannt wurde, dass ihr Mann für weitere vier Jahre als US-Präsident wiedergewählt wurde.

«Ich fühle mich total erleichtert und bin überwältigt und stolz auf die Wahl», sagt Sarah Burkhalter, Kunsthistorikerin an der Universität Genf, gegenüber swissinfo.ch.

«Aber ich bin realistisch genug einzusehen, dass es nur die Hälfte der Stimmen sind. Das Land ist sehr geteilt. Priorität wird die Wirtschaft haben und die Sicherstellung der Gesundheitsreform sowie der anderen Versprechen, die er gemacht hat.»

Auch Will aus Maryland ist sehr erleichtert: «Es war lange Zeit sehr eng. Jetzt muss Obama seine Gegner ausfindig machen und anerkennen, dass es Dinge gibt, die seine Anhänger erwarten, wie Massnahmen für den Klimaschutz, Investitionen in die Bildung und Infrastruktur. Die Leute, die ihn wählten, haben Hoffnungen und Wünsche.»

«Es ist eine Genugtuung für uns Amerikaner im Ausland», sagt Theres Betchov. «Wir haben das Kopf-an-Kopf-Rennen verfolgt und die ideologischen Gräben festgestellt. Entscheidend ist, dass es nun nicht nur ein knapper, sondern ein deutlicher Sieg ist, der eine grosse Botschaft an Amerika sendet.»

«Es war eine grosse Schlacht», bilanziert Mark aus Florida. «Der Ausgang war erstaunlich. Die Demokraten haben diesmal wirklich zusammengehalten. Es gibt viel zu tun in den USA. Hoffentlich haben wir dafür den richtigen Kandidaten gewählt.»

Eleanor T. Khonje greift nach den Superlativen: «Das ist nach 2008 der zweitgrösste Moment in meinem Leben. Die Herausforderung wird sein, was er mit diesen weiteren vier Jahren machen wird. Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir eine Menge positiver Veränderungen erleben werden. Meine Stimme versagt … ich bin so glücklich, aber ich möchte nicht wieder zu heulen anfangen.»

«Dank den Frauen»

Obama habe die Statistik heraufgefordert, kommentiert die Westschweizer Tageszeitung Le Temps auf ihrer Online-Ausgabe, weil – seit Franklin D. Roosevelt – noch keinem amerikanischen Präsidenten die Wiederwahl gelungen sei mit einer Arbeitslosenrate von mehr als 7,2 Prozent.

Den Sieg verdanke der Präsident den Frauen, schreibt der Kommentator, die zu 54 Prozent für Obama gestimmt hätten und damit «die oft extremen Positionen gewisser Mitglieder der republikanischen Partei in Bezug auf Abtreibung und Empfängnisverhütung bestraft haben».

Aber auch die Wähler mit lateinamerikanischen Wurzeln hätten ihren Beitrag zu Obamas Wiederwahl geleistet. Der knappe Sieg mache aber deutlich, wie tief gespalten die USA nach wie vor seien, schreibt die Genfer Tageszeitung.

«Amerika gibt Obama mehr Zeit», lautet der nüchterne Titel über dem Online-Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Dass der amtierende Präsident für weitere vier Jahre gewählt wurde, liege daran, «dass dieser Präsident mit Integrität und bemerkenswert skandalfrei regiert hat». Obama habe sich damit auch die Anerkennung von Amerikanern bewahrt, die politisch mit ihm das Heu keineswegs auf derselben Bühne hätten.

Ein weiterer Grund für die Wiederwahl ortet die NZZ in der Wirtschaftslage, «die sich in den letzten Monaten zwar langsam, aber doch stetig verbessert hat. Der Präsident konnte so mit einigem Recht auf das Licht am Ende des Tunnels verweisen».

Laut NZZ ist der Sieg Obamas aber auch mit der Schwäche des politischen Gegners zu begründen. «Obama hatte Glück, dass im republikanischen Lager nur schwache Herausforderer bereitstanden. Die Partei hob zwar nach langem Zögern mit Romney den aussichtsreichsten Bewerber auf den Schild, aber dieser war, unabhängig von seinen Stärken und Schwächen, im Lichte der historischen Umstände eine problematische Wahl.»

Als Repräsentant der Hochfinanz und einer Branche, die selbst noch mit missratenen Investitionen Geld scheffelte, sei Romney insbesondere in dieser Krisenzeit nicht als Mann des Volkes wahrgenommen worden.

«An der Urne haben die Amerikaner nun deutlich gemacht, dass sie dem Chef des Weissen Hauses mehr Zeit geben wollen, um die Herausforderungen des Landes anzupacken», schreibt die NZZ auf ihrer Website.

Enttäuschte Basler Zeitung

Enttäuscht zeigt sich einzig die Basler Zeitung (BaZ). Für den Online-Kommentar hat der der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nahestehende Chefredaktor Markus Somm selber zur Feder gegriffen: «Amerika hat gewählt – den Falschen», bilanziert Somm. «Nun dürfen wir weiter mit einer schleppenden, halbherzigen, ruhelosen Politik in den USA rechnen. So wird der Westen nicht genesen.»

Barack Obamas Wiederwahl sei keine gute Nachricht – weder für Amerika noch für den Westen insgesamt. Amerika werde sich also weiterhin dem europäischen Vorbild annähern. «American Exceptionalism? Was bleibt vom amerikanischen Sonderfall?», fragt die BaZ, ohne darauf zu antworten. «Wir klassischen Liberalen werden sehen – mit wachsendem Unbehagen, mit ernsten Befürchtungen.»

«Knapper, glanzloser Sieg»

Der in Zürich erscheinende Tages-Anzeiger gibt in seiner Online-Ausgabe sogar seiner Erleichterung über die Wiederwahl Ausdruck, aber mit wenig Begeisterung: «Nochmals gutgegangen», lautet der Titel über dem Kommentar, dass das Ergebnis kein ungerechtes Verdikt über Barack Obamas erste Amtszeit sei: «Ziemlich knapp, ziemlich glanzlos. Seinem Land und der Welt zuliebe, muss dieser Präsident besser werden.»

Obama habe es diesmal unterlassen, seine Wahlkampagne mit grossen Projekten zu verbinden. Das Programm «Forward» (vorwärts) sei vielen zu wenig, obwohl dies – angesichts der Tatsache, dass die Republikaner weiterhin das Repräsentantenhaus beherrschten – schon fast als Träumerei erscheine.

«Jedes seiner Vorhaben wird von der Opposition ebenso gnadenlos behindert werden wie alles, was er seit 2009 auf den Weg brachte. Sein Glück, dass er bis zur Zwischenwahl 2010 über eine demokratische Mehrheit und damit ein Mindestmass an Handlungsfähigkeit verfügte.»

«Programm der Zukunft»

Eine ganz andere Prognose wagt der Amerika-Schweizer Charles Adams gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. Barack Obama werde es schaffen, sein Programm während der zweiten Amtszeit in die Tat umzusetzen, prophezeit der in Genf tätige Rechtsanwalt, der sich an der Sammlung zugunsten eines Fonds für die demokratische Partei beteiligt hat. Adams rechnet nicht mit einer Blockade im Kongress.

«Die Republikaner haben den endgültigen Beweis dafür erhalten, dass sich die Partei in eine politische Sackgasse manövriert, wenn sie sich nicht zusammenreisst, einen vernünftigen Dialog zu pflegen und eine konstruktive Rolle für die Zukunft des Landes zu spielen. Das hat sie während der ersten Amtszeit Obamas überhaupt nicht getan.»

Laut Adams hat das politische Programm Barack Obamas den Unterschied ausgemacht. Es sei – im Unterschied zu Romneys Programm der Vergangenheit – ein Zukunftsprogramm, das es in den nächsten vier Jahren umzusetzen gelte, sagt der demokratische Rechtsanwalt, dem es im August gelungen war, für seine Kampagne George Clooney nach Genf zu holen.

Wann kommt Obama in die Schweiz?

Der US-Botschafter in Bern, Donald Beyer, ein Demokrat aus dem Bundesstaat Virginia, sagte gegenüber swissinfo.ch, er hoffe, Präsident Barack Obama werde in seiner zweiten Amtszeit der Schweiz einen Besuch abstatten.

«Er war noch nie hier, aber seine Ur-Urgrossmutter stammte aus dem Kanton Freiburg. Es wäre also wunderbar, ihn zu seinen Wurzeln zurückzuführen.»

Beyer betonte auch, es sei weiterhin das Ziel, zwischen der Schweiz und den USA Abkommen zu Steuern und Bankgeheimnis auszuarbeiten. «Die Kontroverse über Steuerhinterziehung hat oberste Priorität, denn sie ist die Hauptquelle für Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern.»

Die Schweiz «ist erfreut, die enge Zusammenarbeit mit den USA fortzuführen» und «hofft, die zahlreichen Verbindungen zwischen den beiden Ländern noch zu verstärken», teilt das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit.

Was die Steuer- und Bankendossiers betreffe, sei die Situation jetzt geklärt, sagte Aussenminister Didier Burkhalter am Radio der französischsprachigen Schweiz RTS. Die zweite und letzte Amtszeit Obamas werde es den beiden Ländern ermöglichen, vorwärts zu kommen, «ohne dabei systematisch auf die Wahlen schauen zu müssen».

(Keine) Auswirkungen auf Steuerstreit

Die Schweizer Parteien haben unterschiedlich auf die Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama reagiert. Da kein Machtwechsel und keine Auswechslung der Administration stattfindet, erwarten sie keine Veränderungen im Steuerstreit zwischen der Schweiz und den USA.

Enttäuscht äusserte sich SVP-Vizepräsident Oskak Freysinger «Mit Mitt Romney wäre der Druck auf den Steuerstreit vielleicht gesunken», sagt der Walliser Nationalrat.

Der Präsident der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), Philipp Müller, hofft, dass Barack Obama nun alle Reformen werde umsetzen können, die ihm in der ersten Amtszeit nicht gelungen seien. Das Ende des Wahlkampfs werde es der Administration ermöglichen, sich wieder um die eigentlichen Probleme zu kümmern. Dazu gehöre auch die Beilegung des Steuerstreits mit der Schweiz.

Christophe Darbellay, der Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) zeigte sich mit der Wiederwahl zufrieden. Obamas zweite Amtszeit werde aber schwieriger werden als die erste. Das Wahlresultat sei knapper ausgefallen und Obamas Legitimität damit etwas verringert.


Die Beziehungen zwischen den USA und der Schweiz dürften laut Darbellay angespannt bleiben.

Auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) äussert sich positiv. Ihr Mediensprecher Jean-Yves Gentil sagte, die Partei erwarte, dass Obama aus Sicht der europäischen Linken «mehr mache». Darunter falle etwa die Schliessung des Gefängnisses in Guantánamo.

Barack Obama, 1961 in Honolulu auf Hawaii geboren, ist Jurist. Ab 2004 war er Senator für Illinois.

Er ist der erste afroamerikanische Präsident der USA.

Am 10. Februar 2007 verkündete er vor 18’000 Zuhörern in Springfield (Illinois) seine Präsidentschaftskandidatur.

In den Vorwahlen gewann Obama in 29 der 50 US-Bundesstaaten. Dass sich seine Hauptkonkurrentin Hillary Clinton dennoch bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit ihm lieferte, lag vor allem daran, dass Obama in den meisten bevölkerungsreichen Staaten schwächer abschnitt als sie.

Am 3. Juni 2008 erreichte Obama die notwendige Zahl von Delegiertenstimmen, um sich eine Mehrheit für die Nominierung zum Präsidentschafts-Kandidaten seiner Partei zu sichern.

Barack Obama gewann die Präsidentschaftswahl am 4. November 2008 mit 53 Prozent aller abgegebenen Wählerstimmen gegen den republikanischen Herausforderer John McCain. 

Obama wurde am 20. Januar 2009 zum 44. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.

Am 6. November 2012 gelang ihm die Wiederwahl. Er setzte sich gegen den republikanischen Herausforderer Mitt Romney durch.

Im Vergleich zur Präsidentenwahl 2008 konnte Obama seinen Vorsprung auf den Herausforderer fast halten.

Der designierte Vizepräsident Joseph R. Biden, Jr., geboren 1942, ist Professor für Rechtswissenschaft und Senator für Delaware.

Am 23. August 2008 wählte ihn Obama als Kandidat aus.

Biden wurde 1973 erstmals Senator und gewann seitdem fünf weitere Wahlen.

Aussenpolitisch war er bereits früh Anhänger einer aktiven und notfalls gewaltsamen US-Aussenpolitik im Balkan und nannte Slobodan Milosevic schon früh einen Kriegsverbrecher.

2004 galt Biden als möglicher Aussenminister unter Kandidat Kerry.

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