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Der Faktor Vertrauen: Was ist seine Bedeutung für die Schweiz

Darum ist man Stimmenzählerin in der Schweiz

Frau Casanova und Frau Steinmann
Anita Casanova und Rosmarie Steinmann wirken in Regensdorf, im Kanton Zürich, als Stimmenzählerinnen. Thomas Kern/swissinfo.ch

Damit Wahlen funktionieren, braucht es Wahlhelfer:innen. Wir haben zwei Regensdorfer Wahlbüromitgliedern bei der Arbeit über die Schultern geschaut und sie gefragt, was sie zu ihrem Einsatz motiviert.

Als Stimmenzähler:in verdient man in der Schweiz nicht schlecht: rund 40 Franken in der Stunde.

Das macht das Stimmenzählen bei Wahlen und Abstimmungen in vielen Schweizer Dörfern und Städten zum beliebten Nebenjob für Student:innen. Doch trotz des soliden Lohns haben manche Gemeinden Mühe, willige Helfer:innen zu finden und inserieren auf Jobportalen im Internet.

Von einer «verantwortungsvollen und spannenden Aufgabe» ist dabei oft die Rede. Anderswo werden Verwaltungsangestellte dafür motiviert.

Schweiz: So viele Abstimmungen wie nirgends sonst

Dass es so viele Stimmenzähler:innen braucht, überrascht nur auf den ersten Blick: In keinem Land der Welt gibt es so viele Volksabstimmungen wie in der Schweiz. Wie die Wahlen auch, sind diese lokal, kantonal und national. Es braucht also viele Hände, die sich durch die Briefumschläge wühlen und auszählen, wer oder welches Anliegen vorne liegt.

Für manche ist das Stimmenzählen aber geradezu Bürgerpflicht und Teil der gelebten direkten Demokratie – auch unbezahlt.

Casanova
Thomas Kern/swissinfo.ch

Anita Casanova und Rosmarie Steinmann sind zwei solche Personen. In einem verglasten Sitzungszimmer im zweiten Stock des Gemeindehauses von Regensdorf, eine halbe Autostunde von Zürich entfernt, erzählen sie, warum sie als  Stimmenzählerinnen arbeiten. Sie erzählen gerne davon.

Doch viel Zeit sollte das Gespräch nicht in Anspruch nehmen, denn nachdem die beiden den Morgen damit verbracht haben, an den Urnen die Stimmzettelabgabe zu überwachen, steht der strenge Teil noch an: das Eintippen der Zahlen in die kantonale Abstimmungssoftware.

Stabiles Land, stabiles Geld, stabile Lebensentwürfe: Im internationalen Vergleich läuft vieles rund in der Schweiz.

SWI swissinfo.ch befasst sich in dieser Serie mit dem Vertrauen in Institutionen, dieser Grundlage für funktionierende Demokratien.

Wir gehen der Frage nach, wo die historischen Ursachen dafür liegen, dass für einige in der Schweiz Langeweile das grösste Problem ist, wie es um das Vertrauen in der Gegenwart bestellt ist – und welche Stolpersteine auf die Schweiz zukommen.

An diesem Sonntag im Winter wählt der Kanton Zürich und an diesem Sonntag blickt das gesamte Land nach Zürich, denn wenn im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz gewählt wird, ist das auch immer ein Vorzeichen der Schweizer Wahlen im Oktober.

Frau vor weissem Hintergrund blickt in die Kamera.
Rosmarie Steinmann im Treppenhaus der Gemeindeverwaltung Regensdorf. Thomas Kern/swissinfo.ch

Rosmarie Steinmann wurde bereits zum dritten Mal als Wahlbüromitglied gewählt, vor ihrer Pensionierung arbeitete sie auf der Gemeinde. Anita Casanova, die seit 25 Jahren für die Gemeinde Regensdorf arbeitet, ist ebenfalls in der dritten Amtsperiode. Sie sagt: “Beim Urnendienst kann man mit den Menschen plaudern, das sind immer sehr schöne Begegnungen.“

Die Anzahl der Stimmenzähler:innen im Einsatz ist auch davon abhängig, über wieviele Themen abgestimmt wird. Bei grossen Wahlen ist der personelle Aufwand um ein Vielfaches höher als bei normalen Urnengängen. Bei den Zürcher Wahlen waren insgesamt 70 Leute im Einsatz, darunter auch Verwaltungsangestellte. Für das Leeren der Urnen, das Überprüfen und Erfassen wurden je Teams gebildet.

Regensdorf: ein unaufgeregter Ort

Regensdorf mit seinen rund 19’000 Einwohner:innen ist eine Brücke zwischen der linken Stadt Zürich und den ländlichen, eher rechtslastigen Umlandgemeinden.

«Wenn mich jemand fragt, wo ich wohne, und ich sage, in Regensdorf, heisst es manchmal: Ah, im Gefängnis.» Anita Casanova lächelt: «Ich finde das nicht schlimm, wenn ich in der Laune dazu bin, spiele ich mit und sage: ‹Ja genau, ich bin Insassin und habe gerade Freigang!'» Rosmarie Steinmann kennt diese Sprüche, wohnt sie doch bereits seit 46 Jahren hier: «Mich fragten die Leute früher: ‹Ah Regensdorf? Intern oder extern?'» Die beiden Frauen nehmen es mit Humor.

Man kenne Regensdorf nun mal entweder wegen dem Einkaufszentrum oder wegen der Justizvollzugsanstalt Pöschwies, dem grössten Gefängnis des Landes.

Eingang Pöschwies Justizvollzugsanstalt
In Regensdorf steht das grösste Gefängnis der Schweiz und vor allem dafür bekannt. Ennio Leanza/Keystone

Die Gemeinde Regensdorf gilt als etwas schläfrig. Es gibt kein Kino, kein Schwimmbad, keinen historischen Dorfkern.

Und trotzdem wollen die beiden Frauen hier nicht weg. Rosmarie Steinmann sagt: «Regensdorf an sich ist kein Ort, den man gesehen haben muss. Aber die Menschen halten einen hier.» Sie ist schon drei Mal innerhalb von Regensdorf umgezogen.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Benjamin von Wyl

Was brauchen Sie, damit Sie Vertrauen in Institutionen haben können?

Eine Grundlage für Demokratien ist das Vertrauen in Justiz, Politik, Polizei und die Medien. Deshalb befassen wir uns mit dem Thema – und fragen Sie.

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Anita Casanova ist in Österreich geboren, in Regensdorf aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, in die Berufsausbildung und hat danach als Gemeindeangestellte gestartet.

Freiwillige vor: Wer sich beschwert, soll mitmachen

So sehr es die Menschen sind, die sie in Regensdorf halten, so sehr sind Steinmann und Casanova in Sachen politischer Beteiligung immer wieder von der tiefen Stimmbeteiligung der Regensdorfer:innen negativ überrascht – so auch an diesem Sonntag.

«Meine Kollegin hatte ihren Stimmzettel heute Morgen mitgebracht, damit mindestens einer in der Urne ist. Nach anderthalb Stunden gingen wir mit zehn Stimmausweisen ins Wahlbüro der Gemeinde Regensdorf zurück», erzählt Steinmann.

Plakat Abstimmung Regensdorf
Mit diesem Plakat sollen die Stimmberechtigten in Regensdorf zur Abstimmung motiviert werden. Natalia Widla

«Ich finde es auch immer sehr schade, wenn Menschen sagen, ‹ich kann ja nicht mitbestimmen!› Und wenn ich dann frage, ob sie gewählt haben, schütteln sie den Kopf», sagt Anita Casanova. Warum nicht mehr Menschen an den nationalen Wahlen und Abstimmungen teilnehmen, ist ihr ein Rätsel. Die direkte Demokratie in der Schweiz erkennt sie als Privileg: «Den Spruch ‹Die Politiker:innen machen sowieso, was sie wollen› lasse ich nicht mehr gelten. Wenn niemand seine Meinung äussert, darf man sich nachher nicht beschweren.»

Die beiden Regensdorferinnen beschäftigt jedoch nicht nur die tiefe Stimmbeteiligung, sondern sie nehmen gesamthaft ein schwindendes Interesse daran wahr, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Die, die es machen, seien in Regensdorf immer dieselben, sagt Casanova. Steinmann: «Ich glaube, das ist am Ende des Tages das Gleiche, wie es im Vereinswesen passiert.»

Lange war sie die Präsidentin der Frauenturngruppe im Ort, doch eine Nachfolge zu finden war schwierig. «Nur schon, wenn es darum geht, wer das Protokoll schreiben soll, schauen alle zu Boden. Alle wollen profitieren, doch wenn es darum geht, etwas beizutragen, haben plötzlich alle offene Schnürsenkel!»

Casonova resümiert: «Niemand will sich mehr in Vereinen oder ehrenamtlich einsetzen.» Es gibt in Regensdorf fast 90 Vereine – dass so gut wie alle mit Nachwuchsproblemen kämpfen, sei ein schlechtes Zeichen.

Gemeinsam engagiert – als Wahlhelfer oder in einem Verein

Ein Geheimrezept für mehr Engagement – sei es politisch oder gesellschaftlich – kennen die beiden Frauen nicht, aber sie sehen Potenzial. «Im Ortsteil Watt gibt es im Wahllokal ein Abstimmungscafé, das vom Kulturverein Watt betrieben wird. Das motiviert die Stimmbürger und man kann sich untereinander austauschen», sagt Casanova und ergänzt: «Im Gegenteil dazu scheint die Möglichkeit zur Abstimmung per App eher nicht anspornend zu sein.»

Zwei Frauen vor einem Laptopbildschirm.
Das Stimmenzählen ist eine Aufgabe, die hohe Genauigkeit erfordert. Natalia Widla

Zudem, da sind sich Casanova und Steinmann einig, verbringen die Jungen ja ohnehin schon viel zu viel Zeit vor dem Handy oder dem Computer – Zeit, die man in anderes investieren könnte, sei es in einen Verein, in politisches Engagement oder in Nachbarschaftshilfe.

Bevor sich die beiden Frauen an die Auswertung der eingesammelten Stimmen machen, bleibt noch Zeit für eine schnelle politische Prognose: «Wenn es so kommt, wie ich es ausgefüllt habe, wäre es bunt gemischt», sagt Rosmarie Steinmann diplomatisch. Anita Casanova prognostiziert dagegen einen leichten Rechtsrutsch.

Am Abend ist klar: Steinmann und Casanova behalten doppelt recht. Es kommt zu einem leichten Rechtsrutsch – und die Stimmbeteiligung ist tief. In Regensdorf hat nur etwa jede vierte stimmberechtigte Person an der Abstimmung teilgenommen, im ganzen Kanton Zürich waren es auch nur knapp 35%.

Doch das Engagement von Menschen wie Steinmann und Casanova hält das Getriebe der Demokratie am Laufen.

In der Schweiz werden mehr als 80% der Stimmen vor dem eigentlichen Wahltag per Post abgegeben. In den meisten Kantonen muss dazu der sogenannte «Stimmrechtsausweis» unterschrieben werden, der mit dem in einem Couvert verschlossenen Abstimmungs- oder Wahlentscheid abgegeben wird. Beim Stimmen zählen wird als erstes kontrolliert, ob die Unterschrift auf dem Stimmrechtsausweis vorhanden ist. Fehlt sie, ist die Stimme ungültig.

Beim Wählen ist es dagegen komplizierter, denn einerseits können Stimmberechtigte einfach die Liste einer Partei einwerfen, andererseits können sie die Namen auf der Liste nach Belieben kombinieren. Die unveränderten werden von Hand ausgezählt – von mehreren Personen, um Fehler zu vermeiden. Bei den veränderten Wahlzetteln gibt es einen zusätzlichen Zwischenschritt, weil kontrolliert werden muss, ob die Anpassungen beim Verändern korrekt gemacht worden sind.

Die Kantone Basel-Stadt und Genf, sowie weitere Städte und Dörfer, setzen mittlerweile auf maschinenlesbare Stimmzettel, die das Kreuz auf dem Zettel automatisch erfassen. Andere, etwa das Dorf Maur im Kanton Zürich, setzen bei Abstimmungen auf Präzisionswaagen zum Auszählen.

Editiert von Mark Livingston. 

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