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Zwei Fronten und viele Fragen zum 2. Gotthard-Strassentunnel

Der Gotthard-Strassentunnel wurde im Herbst 1980 eröffnet. Keystone

Der Gotthard-Strassentunnel muss altersbedingt saniert werden. Um die wichtige Nord-Süd-Verbindung während dieser Sanierung zu garantieren, schlägt die Schweizer Regierung den Bau einer zweiten Tunnelröhre vor. Die Gegner befürchten, dass eine zweite Röhre mehr Verkehr und mehr Umweltbelastung bringt. Das Schweizer Volk entscheidet am 28. Februar 2016.

Der Gotthard-Strassentunnel wird jedes Jahr von rund fünf Millionen Autos und 900‘000 Lastwagen durchfahren. Damit zählt die Röhre zu einer der befahrensten Alpenstrecken. 58 Prozent der Fahrzeuge im alpenquerenden Verkehr nutzen den Tunnel zwischen Göschenen (Uri) und Airolo (Tessin). Mit 16,9 Kilometern gehört er zu den weltweit längsten Strassentunnels. Er wird im Gegenverkehr mit jeweils einer Spur betrieben.

Eingeweiht wurde der Tunnel am 5. September 1980. Somit ist er mittlerweile 35 Jahre in Betrieb. Altersbedingt ist daher demnächst eine Totalsanierung nötig. Die Massnahmen betreffen die Fahrbahn, die Innenverkleidung, eine Anhebung der Decke, aber auch den Sicherheitsstollen und die Ventilation.

Für die Umsetzung dieser baulichen Massnahmen ist eine längere Vollsperrung des Tunnels nötig. Und dies hat zur Frage geführt, wie der Fluss an Waren und Personen zwischen Nord und Süd während der Sanierung aufrechterhalten werden kann. Immerhin handelt es sich um eine zentrale Strassenverbindung für die Schweiz und für ganz Europa. 

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Regierung und Parlament für zweite Röhre

Regierung und Parlament haben den Bau einer zweiten Röhre mit anschliessender Sanierung des bestehenden Tunnels beschlossen. Sie halten dieses Vorgehen für die «geeignetste und nachhaltigste Lösung.» Gemäss Verkehrsministerin Doris Leuthard handelt es sich bei der Gotthard-Achse um eine zentrale Nord-Süd-Verkehrsverbindung, deren Unterbruch nicht akzeptabel ist. Die CVP-Politikerin setzt sich daher mit Vehemenz für die zweite Röhre ein.

Im Jahr 2014 sprach sich das Parlament für eine Revision des BundesgesetzesExterner Link über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet (STVG) aus, die den Bau einer zweiten Röhre am Gotthard vorsieht. Eine Mitte-Rechts-Koalition im Parlament zeigte sich überzeugt, dass einzig diese Variante mit einem zusätzlichen Tunnel eine längere Sperrung der Nord-Achse und damit eine Isolation des südlich des Alpen gelegenen Kantons Tessin von der restlichen Schweiz verhindern kann.

Linke und grüne Politiker wehrten sich vergeblich gegen diese Lösung. Sie befürchten, dass ein zweiter Tunnel mehr Verkehr generiert und somit die Umweltbelastung im Alpengebiet erhöht wird. Diese Argumentation wurde vom Verein «Nein zur 2. Gotthardröhre»Externer Link aufgenommen, in dem rund 50 Umwelt- und Naturschutzverbände aktiv sind. Der Verein hat erfolgreich das Referendum ergriffen und 125‘000 Unterschriften gesammelt. Nur 50‘000 wären nötig gewesen.

Der zweite Gotthard-Strassentunnel soll parallel zum bestehenden Tunnel in 70 Metern Distanz gebaut werden. Er soll die gleiche Länge haben (16,9 km). Veranschlagt wird eine Bauzeit von sieben Jahren. Die Eröffnung könnte 2027 erfolgen.

Die Kosten für den Bau einer zweiten Röhre werden gemäss Regierung auf 2 Milliarden Franken veranschlagt. Werden die Kosten für die Sanierung des bestehenden Gotthard-Strassentunnels hinzu gerechnet, erreicht dieses Paket eine Gesamtsumme von 2,9 Milliarden Franken.

Die Kosten für die Rola-Variante mit Verladestationen und gleichzeitiger Sanierung des Gotthard-Strassentunnels wird auf 1,8 Milliarden Franken geschätzt.

«Zweite Röhre verfassungswidrig»

«Eine zweite Röhre sabotiert alle Anstrengungen, den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern», meint Jon Pult, Präsident des Vereins AlpeninitiativeExterner Link. Ein Ausbau der Autobahn steht seiner Meinung nach auch in Konkurrenz zum neuen Gotthard-Bahn-Basistunnel (Alptransit), der im Juni 2016 eingeweiht und im Dezember 2016 in Betrieb genommen wird.

Mehr noch: Mit einem neuen Strassentunnel wächst die Zahl der Fahrspuren von zwei auf vier, wie Thomas Bolli als Sprecher der Alpeninitiative sagt. «Rein technisch wird die Kapazität verdoppelt. Doch in der Verfassung steht, dass die Kapazität im alpenquerenden Verkehr nicht erhöht werden darf. So hat es das Volk vor 20 Jahren entschieden“, betont Bolli. Tatsächlich hat das Schweizer Volk 1994 entschieden, in die Verfassung den AlpenschutzartikelExterner Link  aufzunehmen. Dieser legt fest, dass der Bund die Belastungen durch den Transitverkehr begrenzen muss und die Kapazität nicht erhöhen darf.

Verkehrsministerin Doris Leuthard versichert, genauso wie der Gesamtbundesrat und die Mehrheit des Parlaments, dass jeder Tunnel nur einspurig befahren werden wird. Eine Fahrspur wird als Pannenstreifen dienen. Mit dieser Lösung werde die Kapazität am Gotthard-Strassentunnel nicht erhöht.

Doch die Gegner einer zweiten Röhre lassen sich von diesen Zusicherungen nicht überzeugen. «Was wird die Regierung machen, wenn sich vor den Tunnelportalen kilometerlange Staus bilden? Wird dann wirklich nur eine Fahrspur genutzt?», fragt Jon Pult.

«Wir sollten uns keine Illusionen machen“, doppelt Caroline Beglinger von Verkehrsclub der Schweiz (VCS) nach, «sobald die zweite Röhre gebaut ist, wird der Druck zunehmen, alle vier Fahrspuren zu benutzen». Sie befürchtet, dass dieser Druck vor allem von der Strassenverkehrslobby und der EU kommt, sobald sich – wie in Ferienzeiten häufig der Fall – lange Staus bilden. Dann werde die Schweizer Regierung bald einknicken.

Das Komitee «Bürgerliche gegen zweite RöhreExterner Link«, in dem auch rechtsliberale Politiker einsitzen, macht zudem finanzielle Argumente geltend. Nach Auffassung dieses Komitees sind die für eine zweite Röhre vorgesehenen Investitionen (zirka 2 Milliarden Franken) an anderer Stelle viel nötiger, beispielsweise zur Verbesserung der Strasseninfrastrukturen in chronisch vom Verkehr überlasteten Gebieten der Schweiz wie der Agglomeration von Zürich oder der Autobahn zwischen Lausanne und Genf.

Mehr Sicherheit mit zwei Röhren

Um einen flüssigen Nord-Süd-Verkehr während der Sanierungsphase des Gotthard-Strassentunnels zu garantieren, schlagen die Gegner einer zweiten Röhre eine «Rollende Landstrasse» (RoLa) vor. Die Fahrzeuge würden auf Shuttle-Züge verladen, um den Gotthard zu überwinden. Lastwagen würden auf Züge verladen, die den neuen Gotthard-Basistunnel benutzen, während für Personenwagen der Autoverlad durch den alten Gotthard-Bahntunnel reaktiviert würde.

Doch für den Tessiner Ständerat Filippo Lombardi, Mitglied des Komitees Ja zum SanierungstunnelExterner Link, handelt es sich bei der Verladelösung um eine teure Lösung ohne nachhaltigen Mehrwert. Denn diese Verladestationen, die weder im Tessin noch im Kanton Uri gewünscht werden, müssten nach der Nutzung wieder abgebaut werden, sagt Lombardi. Das Problem der Sanierung des Gotthard-Strassentunnel werde sich alle 30 bis 40 Jahre ergeben. Und ohne einen zweiten Tunnel werde die Lösung dieses Problems an die nächsten Generationen vererbt.

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«Heute dürfen 17 Kilometer lange Tunnel mit Gegenverkehr gar nicht mehr gebaut werden. Das entspricht nicht den europäischen Sicherheitsnormen», betont Bernhard Salzmann, Kommunikationschef beim Schweizerischen Gewerbeverband (SGV). Dieser Verband unterstützt den Bau einer zweiten Röhre.

Die Alpeninitiative ist hingegen überzeugt, dass die Sicherheit im Gotthard-Strassentunnel mit baulichen Massnahmen verbessert werden könnte, etwa mit absenkbaren Leitplanken im Tunnel, aber auch durch technische Verbesserungen an den Fahrzeugen (Fahrhilfen). Thomas Bolli erinnert zudem daran, dass die seit 2001 umgesetzten Massnahmen die Sicherheit im Tunnel schon deutlich erhöht haben. «Die Gefahr besteht nicht wegen des Gegenverkehrs, sondern wegen des Schwerverkehrs», so Bolli.

Das letzte Wort in dieser Angelegenheit wird das Volk am 28.Februar 2016 haben. In zwei bisherigen Abstimmungen (1994, 2004), in denen ein zweiter Strassentunnel am Gotthard ebenfalls zur Disposition stand, sprach sich die Mehrheit des Stimmvolks jeweils gegen die Verdoppelungs-Variante aus.

Die bereits heftigen Diskussionen über die Abstimmungsvorlage zur zweiten Gotthard-Röhre wurden in jüngster Zeit durch einige widersprüchliche Aussagen von Behördenseite zusätzlich angeheizt.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) legte in einem Bericht den Platzbedarf für die Baustellen der zweiten Röhre im Kanton Uri auf 150‘000 Quadratmeter fest, im Tessin gar auf 220‘000 Quadratmeter (entsprechend der Grösse von 21 Fussballfeldern). Dieser Platzbedarf liegt weit über den Angaben, die der Bundesrat mit 30‘000 Quadratmetern in Uri und 29‘000 im Tessin gemacht hatte.

Das Astra verteidigte die Abweichungen mit dem Hinweis, dass der zuerst genannten Zahlen auf Studien aus dem Jahr 2010 zurückgehen, welche den Platzbedarf für das Aushubmaterial nicht berücksichtigten.

Im November teilte das Astra zudem mit, dass der Betrieb im bestehenden Gotthard-Strassentunnel mit einer Reihe von einfachen Massnahmen bis 2035 weiter geführt werden könnte. Bis anhin galt das Jahr 2025 als Deadline.

Entgegen bisheriger Aussagen ist es hingegen nicht mehr nötig, den Tunnel für 140 Tage vor der eigentlichen Sanierung zu sperren. Die dringendsten Arbeiten können demnach während der normalen nächtlichen Sperrzeiten bei Unterhaltsarbeiten ausgeführt werden.

(Übersetzt aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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