Starke Mobilisierung der Fünften Schweiz mitsamt einigen Überraschungen
Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen, die an Volksabstimmungen in ihrer Heimat teilnehmen, sind gut informiert und kennen den stimmungsmässigen Verlauf der Debatten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Politologen Thomas Milic. Für swissinfo.ch hat er das Abstimmungsverhalten der Auslandschweizer bei den eidgenössischen Abstimmungen vom vergangenen Wochenende untersucht. Als Überraschung wertet Milic das massive Ja der Auslandschweizer zur zweiten Gotthard-Röhre.
Noch sei es schwierig, eine detaillierte Analyse vorzulegen, präzisiert der Politologe vom Institut sotomoExterner Link und dem Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA).Externer Link Denn die vollständigen Daten zum Abstimmungsverhalten der Auslandschweizer zu den Vorlagen am 28.Februar seien noch nicht verfügbar. Die Abstimmungsergebnisse der Auslandschweizer werden jeweils separat erfasst und sind vorerst nur in 12 von 26 Kantonen bekannt. Doch die vorliegenden Daten erlauben bereits jetzt, einige Eckpunkte herauszuarbeiten.
Mehr
Abstimmungen, die das Schweizer Volk mobilisiert haben
Gut informierte Wähler
«Am meisten hat mich die hohe Stimmbeteiligung der Auslandschweizer beeindruckt», sagt Thomas Milic. Auch wenn diese Beteiligung tiefer liege als bei der Wählerschaft in der Schweiz, habe sie einen erstaunlich hohen und überdurchschnittlichen Wert erreicht.
Aus den vorhandenen Daten kann abgeleitet werden, dass die mittlere Stimmbeteiligung bei den Auslandschweizern bei rund 35 Prozent lag. Zum Vergleich: Bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 erreichte die Beteiligung 26 Prozent.
«Das bedeutet, dass auch die Auslandschweizer für die Abstimmungsvorlagen vom 28. Februar aussergewöhnlich stark mobilisiert wurden. Und es zeigt, dass sie sehr gut Bescheid wissen über das politische Leben in der Schweiz. Sie haben sich von der Emotionalität und Intensität der Debatten anstecken lassen», analysiert Milic.
Milic hat vor kurzem eine Studie zum Wahlverhalten der Auslandschweizer publiziert. Er ist überzeugt, dass die Auslandschweizer dank Internet mit ihrer Heimat enger verbunden bleiben als früher und besser informiert sind. Noch bis vor wenigen Jahren – ohne Internet – sei dies nicht möglich gewesen, so Milic.
Gotthard-Abstimmung als Überraschung
In Bezug auf die einzelnen Abstimmungsvorlagen zeigt sich der Politologe «verblüfft» von der massiven Unterstützung der Auslandschweizer für den zweiten Gotthard-Strassentunnel. In allen 12 Kantonen, in denen die entsprechenden Ergebnisse bekannt sind, hat der Ja-Stimmenanteil der Auslandschweizer das Endergebnis bei weitem übertroffen. In den einzigen beiden Kantonen, welche die zweite Gotthard-Röhre ablehnten (Waadt und Genf), wurde es von den dort stimmenden Auslandschweizern angenommen.
Dieser Befund überrascht besonders, weil aus bisherigen Untersuchungen zum Wahlverhalten der Auslandschweizer hervor geht, dass diese politisch stärker links stehen als Inlandschweizer. Und die Schweizer Linke bekämpfte die zweite Röhre.
Wie konnte es also zu diesem Ergebnis kommen? «Ich vermute, dass eine Art ‹Nutzungsphänomen› damit verknüpft ist. Wahrscheinlich benutzen viele Auslandschweizer, die abstimmt haben, den Gotthard-Strassentunnel. Um sicher zu sein, müsste man natürlich wissen, wo diese Auslandschweizer ihren Wohnsitz haben. Aber ich bin überzeugt, dass viele in den Nachbarländern zur Schweiz leben. Generell wäre es interessant herauszufinden, ob sie aus beruflichen Gründen im Ausland leben, ob sie studieren und häufig in die Schweiz zurückkehren, oder ob sie dauerhaft in ihrem Gastland leben.»
Weniger Opposition gegen Durchsetzungsinitiative
Überrascht zeigt sich Milic zudem, dass das Auslandschweizer-Nein zur Durchsetzungsinitiative in einigen Kantonen tendenziell geringer ausfiel als bei den Inlandschweizern im selben Kanton. Oder anders gesagt: Die Zustimmung zur SVP-Initiative war in diesen Kantonen gar etwas höher als im Mittel aller Abstimmenden. Dies überrascht ein wenig, weil Auslandschweizer in der Summe «politisch eher links stehen und liberaler sind als die Inlandschweizer».
Die Gründe für dieses Wählerverhalten auszumachen, ist nicht ganz einfach. Der Wissenschaftler glaubt, dass dies damit zu erklären ist, dass der Graben bei der DSI nicht zwischen den Sprachregionen verlief, sondern hauptsächlich zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. Deshalb seien die Unterschiede zwischen Ausland- und Inlandschweizern in den Kantonen der Romandie und den städtischen Kantonen der Deutschschweiz nicht derart gross wie erwartet. Dieselbe Tendenz meint Milic auch bei Initiative zur Heiratsstrafe ausmachen zu können.
Das tendenziell eher linke Abstimmungsverhalten der Auslandschweizer spiegelt sich hingegen im Resultat zur «Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation». Die Auslandschweizer befürworteten diese Initiative in etwas stärkerem Ausmass als die heimische Bevölkerung, mit Ausnahme von Basel-Stadt, wo die Initiative der Jungsozialisten kantonal angenommen, aber von den Auslandschweizern abgelehnt wurde.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch