Keine Chance für höhere Renten
Im Streit ums Plus für die Senioren haben sich lediglich 40,6 Prozent der Stimmbevölkerung für die geforderte Rentenerhöhung ausgesprochen. Im Showdown zwischen Links und Rechts blieb die Forderung des Gewerkschaftsbundes chancenlos. Nur gerade fünf Kantone haben der Volksinitiative "AHV plus" zugestimmt. Die Stimmbeteiligung beträgt 42 Prozent.
Das Nein zur «AHV plus»-Initiative sei keine Überraschung, erklärt Politologe Claude Longchamp gegenüber Schweizer Fernsehen SRF. Der Trend sei bereits in den Diskussionen zuvor klar zum Ausdruck gekommen. Dass der von Links gewünschte Ausbau der ersten Säule chancenlos sein wird, zeigten auch die Umfragen der letzten Wochen.
Gewerkschaft: «Nein zu ‹AHV plus› zeigt geteilte Schweiz»
Der Berner SP-Nationalrat Corrado Pardini sagt zum Nein der AHV-Initiative: «Unsere Kampagne hat in der lateinischen Schweiz eine Mehrheit gefunden. Gereicht hat es vor allem in der Deutschschweiz nicht. Das zeigt: Wir haben eine geteilte Schweiz. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in dieser Frage nicht am Ende des Lateins sind.»
Entgegen dem nationalem Trend sagen die Kantone Jura, Neuenburg, Genf, Tessin und Waadt Ja. Mit 59,5 Prozent kam aus dem Kanton Jura die deutlichste Zustimmung.
Das Wallis und der Kanton Freiburg schlugen sich ins Nein-Lager. In den kleinen Ost- und Innerschweizer Kantonen war die Ablehnung am deutlichsten. In Appenzell Innerrhoden sagten 77,7 Prozent der Stimmenden Nein, in Obwalden 75,1 Prozent. Knapp war es in Basel-Stadt mit 50,1 Prozent Nein.
Longchamp: «Kein klassischer Röstigraben»
Kein klassischer Rösigraben, sagt Politologe Claude Longchamp, aber durchaus unterschiedliche «Sensibilitäten» seien zwischen den Sprachregionen festzustellen. In der Deutschschweiz sei seit 20 Jahren die Entwicklung massgebend, dass der Sozialstaat nicht stärker ausgebaut werden soll. Darum auch die stärkere Ablehnung der Initiative. In der Westschweiz sei diese Tendenz weniger zu beobachten, im Tessin fast gar nicht, so Longchamp. In der Westschweiz und im Tessin zeige sich hier ein anderes Staatsverständnis, «eine andere Vorstellung, was Aufgabe des Staates ist», wie Longchamp präzisiert. Der Staat solle noch «ein wenig mehr» für die soziale Sicherheit besorgt sein.
Der Aspekt der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht könne gemäss Longchamp das Abstimmungsverhalten auch beeinflusst haben. Als Grund für die Divergenz zur Deutschschweiz vermutet der Politologe auch das tiefere durchschnittliche Einkommen in der Westschweiz und im Tessin. «Je besser man gestellt ist, desto weniger betrachtete man es als nötig, die Renten zu erhöhen.»
In der Deutschweiz wiederum zeigen sich gemäss Politologe Claude Longchamp «massive Unterschiede zwischen Stadt und Land». In der Stadt liege die Zustimmung knapp unter 50 Prozent, auf dem Land habe das Anliegen des Gewerkschaftsbundes nur gerade 30 Prozent der stimmenden Bevölkerung überzeugt. «Auf dem Land sind die Menschen besorgter als bisher angenommen.»
Junge und Alte ziehen am gleichen Strick
Wie in den Diskussionen zuvor kommen die Generationengerechtigkeit und die Demografiefrage auch in den aktuellen Analysen zur Sprache. Für die klare Ablehnung der «AHV plus»-Initiative könnten auch die Stimmen der Jungen ausschlaggebend gewesen sein, meinen die Gegner. Junge Menschen würden sich über die finanzielle Sicherheit der Altersvorsorge sorgen. «Wir haben den Angriff auf die erste Säule abgewehrt, nun kann sie reformiert werden», sagte Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, gegenüber SRF.
Zufrieden scheinen auch die älteren Gegner mit dem Ausgang der Abstimmung: «Die Initianten wollten der AHV schaden, nun besteht mit der anstehenden Altersreform 2020 die Chance, die AHV zu erhalten», sagte Ueli Brügger, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbandes für Seniorenfragen. Das Parlament sei nun gefordert. Natürlich seien Erhöhungen immer lukrativ, aber den Senioren in der Schweiz gehe es im europäischen Vergleich sehr gut, so Brügger. «Wir müssen wieder bescheidener werden».
Nein zu 200 Franken mehr pro Monat
Die «AHVplusExterner Link«-Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes verlangte zehn Prozent höhere AHV-Renten. Für eine alleinstehende Seniorin oder Senior wären dies immerhin rund 200 Franken mehr pro Monat unter dem Strich.
Für die Initianten von rot-grüner Seite wäre diese Erhöhung notwendig, um den finanziellen Druck auf die Rentnerinnen und Renter durch die Krankenkassenprämien oder auch eine verschärftere Sparpolitik bei den Ergänzungsleistungen auszugleichen. Die AHV müsse insgesamt gestärkt werden. Rund 200 000 Senioren seien heute auf Ergänzungsleistungen angewiesen, argumentierten die Gewerkschaften. Die Senioren müssten sich, um diese geltend zu machen, «vor dem Staat ausziehen», betonte der Berner SP-Nationalrat Corrado Pardini im «Blick».
Bundesrat und Parlament lehnen die Vorlage ab. Die Gegner der Initiative kommen vor allem aus dem politisch bürgerlichen Lager. «Auch einem guten Demokraten fällt es schwer, sich ernsthaft mit dieser Initiative auseinanderzusetzen», sagte beispielsweise der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber. Für einen Ausbau der AHV gäbe es keinen finanziellen Spielraum, so die Haltung der Gegnerinnen und Gegner. Denn angesichts der zunehmenden Alterung der Gesellschaft haben immer mehr Menschen Anspruch auf eine Rente. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Jungen ab, welche die Vorsorge finanzieren.
Nun folgt die «Monsterdebatte» im Nationalrat
Die Diskussion um die Altersvorsorge geht nun fast übergangslos weiter. Der Nationalrat diskutiert am Montag die «Altersvorsorge 2020». Diese Reform soll die Probleme der AHV und Pensionskassen gleichzeitig lösen. Im Zentrum stehen ein höheres Frauenrentenalter, ein tieferer Umwandlungssatz und zusätzliche Mehrwertsteuer-Prozente.
AHVplus in Kürze
Die Initiative «AHVplus: für eine eine starke AHV» wurde im Dezember 2013 mit fast 112’000 gültigen Unterschriften, die in weniger als einem Jahr gesammelt wurden, eingereicht. «AHVplus: für eine starke AHV» verlangt einen Zuschlag von 10% für alle AHV-Altersrenten. Dieser Zuschlag muss spätestens ab Beginn 2018 ausgerichtet werden.
Aktuell beträgt die Minimalrente (ohne Beitragslücken) für eine Einzelperson 1175 Franken pro Monat, die Maximalrente das Doppelte, das sind 2350 Franken. Die Maximalrente für ein Ehepaar liegt bei 3525 Franken monatlich. Der Zuschlag würde zwischen mindestens 117.50 und maximal 325.50 Franken schwanken.
Regierung und Parlament lehnen die Initiative ab. Der Nationalrat sprach sich mit 139 gegen 53 Stimmen dagegen aus, der Ständerat mit 33 zu 9 Stimmen. Zustimmung erhielt die Initiative von den Sozialdemokraten und den Grünen, während sich alle anderen Parteien dagegen ausgesprochen haben.
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Beinahe Ausgeglichenheit bei der AHV
Eine Studie des Bundesamtes für Sozialversicherung (BFS) und des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau (EBG), die am 12. Juli publiziert wurde, zeigt, dass die durchschnittlichen Renten der Frauen um 37% niedriger ausfallen als jene der Männer. Doch der Unterschied variiert enorm innerhalb der drei Säulen: Bei der AHV beträgt er weniger als 3%, während bei der beruflichen Vorsorge das Gefälle 63% beträgt und bei der dritten Säule (private Vorsorge) 54%.
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