Volksinitiative für einheitliche Stipendien
Die Ausbildungsbeiträge für Studierende sind in der Schweiz je nach Kanton unterschiedlich. Das behindere die Chancengleichheit, argumentieren die Studierenden. Nun haben sie eine Volksinitiative zur Harmonisierung bei der Bundeskanzlei eingereicht.
Sven, Nicola und Joel haben mehrere Gemeinsamkeiten. Alle drei studieren an der Universität Bern und haben in den vergangenen Monaten Unterschriften gesammelt für die Initiative.
Ihre Eltern gehören zur selben Kaufkraftklasse, wohnen jedoch in verschiedenen Kantonen. Das hat zur Folge, dass sich die Höhe der Stipendien, welche die drei jungen Männer erhalten, deutlich voneinander unterscheidet.
Für die Stipendien sind die Kantone zuständig. Ausschlaggebend ist der Wohnort der Eltern und nicht der Studienort. Das soll sich nun ändern. Die mit mehr als 115’000 gültigen Unterschriften deponierte Volksinitiative des Verbandes der Studierendenschaften (VSS) verlangt ein Bundesgesetz, das landesweit dieselben Kriterien für die Vergabe von Ausbildungszuschüssen auf Hochschulstufe vorschreibt. Zudem sollen die Stipendien den Studenten laut Initiativtext einen «minimalen Lebensstandart» ermöglichen.
Bund soll in Pflicht genommen werden
Die Initiative verlangt auch, dass sich der Bund künftig stärker an der Finanzierung der Stipendien beteiligen soll. In den vergangenen zwanzig Jahren hat der Bund seinen Anteil von 40% im Jahr 1990 auf 8% im Jahr 2010 reduziert. Für die Initiantinnen und Initianten ist klar, dass die Stipendien vereinheitlicht, aber auf keinen Fall «nach unten nivelliert werden» dürfen, wie Romina Loliva, Vorstandsmitglied des VSS, betont.
Nicht nur die Bundesausgaben, sondern auch die Zahl der Studierenden, die ein Stipendium erhalten, ist in den vergangenen Jahrzehnten markant zurückgegangen. 1980 erhielten noch 16% der Lernenden ein Stipendium, 2009 waren es noch 9%.
Überproportionale Nachfrage nach hoch Qualifizierten
Rund 80% der Studierenden seien auf einen Nebenerwerb angewiesen, sagt Loliva. Doch dieser sei vielfach mit dem Studium nur schwer zu vereinbaren, und häufig reichten die Einnahmen aus dem Nebenerwerb nicht aus, um das Studium zu finanzieren.
«Ich erlebe aber oft, dass Studierende ihre Miete kaum bezahlen können», sagt Loliva. Dazu komme, dass die mit der Bologna-Reform einhergehende Verschulung des Studiums einen Nebenerwerb zunehmend schwieriger mache.
«Investitionen in die Bildung sind mehr denn je angezeigt, umso mehr als das Humanvermögen die zentrale Ressource der Schweiz ist», sagt Markus Zürcher, Generalsekretär der Akademien der Wissenschaften Schweiz.
Der demographische Wandel habe zur Folge, dass die Schweiz in den kommenden 20 Jahren einen Mangel an Arbeitskräften haben werde. «Die Nachfrage nach gut und hoch qualifizierten Arbeitskräften wird wegen des technologischen Wandels überproportional ansteigen», sagt Zürcher.
Dazu komme, dass sich die soziale Herkunft in der Schweiz im internationalen Vergleich «überaus stark» auf den Bildungserfolg auswirke: «Der unnötige Potenzialverlust wegen sozialen Barrieren kann mit Stipendien nicht verhindert, aber gemindert werden.» Ein «verlässliches Stipendiensystem», das «zu Beginn des Studiums» einsetze, schaffe Sicherheit, so Zürcher.
Auch Kantone planen Harmonisierung
Die jetzige Initiative ist bereits der dritte Anlauf des VSS für eine Harmonisierung der Stipendien. 1972 wurde eine erste Initiative, welche eine von den Eltern unabhängige Studienfinanzierung verlangte, lanciert. Die Initiative wurde später zurückgezogen. 1993 scheiterte ein weiterer Versuch bereits während der Phase der Unterschriftensammlung, weil die Anzahl Unterschriften nicht erreicht wurde. Andere Vorstösse scheiterten regelmässig am Widerstand der Kantone.
Im politischen Entscheidungsprozess trifft die Volksinitiative des VSS auf die Harmonisierungspläne eines Teils der Kantone. Diese planen ein Konkordat, das gemeinsame Stipendien-Regelungen zum Ziel hat. Bisher haben sich die Kantone Basel-Stadt, Bern, Neuenburg, Freiburg, die Waadt, das Tessin, Graubünden und der Thurgau auf ein Konkordat geeinigt. Damit es in Kraft treten kann, müssen sich zwei weitere Kantone anschliessen. Laut dem Basler Erziehungsdepartement wird dies bald der Fall sein.
Die Pläne des Konkordats gehen weniger weit als die Initiative. So soll die Hoheit über die Stipendien-Regelungen weiter bei den Kantonen bleiben, und es ist nicht vorgesehen, die Höhe der Stipendien so festzulegen, dass sie einen «minimalen Lebensstandard gewährleisten», wie es die Initiative verlangt.
In der föderalistischen Schweiz sind von Kanton zu Kanton unterschiedliche Regelungen nichts Ungewöhnliches. Beim Stipendienwesen sind sie jedoch besonders gross.
So gibt der Kanton Schaffhausen pro Kopf der Bevölkerung 17 Franken für Stipendien aus. Im Kanton Jura – dem grosszügigsten Kanton – sind es 93 Franken.
Zürich und Basel-Stadt liegen mit 23, respektive 61 Franken im Mittelfeld.
Auch die Höhe der jährlich ausbezahlten Stipendien variiert stark. Am meisten bezahlt der Kanton Zürich mit durchschnittlich 7500 Franken. Neuenburg markiert mit 3000 Franken das Schlusslicht.
Der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) vertritt auf eidgenössischer Ebene die Studierenden von Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Universitäten.
Gegründet wurde der VSS am 19. Juni 1920 in Zürich.
Er vertritt die materiellen und ideellen Interessen der Studierenden auf nationaler und internationaler Ebene. Dazu arbeitet der VSS mit allen für die Hochschulbildung wichtigen Institutionen, Organisationen und Gremien zusammen.
Der VSS ist parteipolitisch neutral und fördert insbesondere die Gleichstellung von Frauen und Männern.
Der VSS hat auch assoziierte Mitglieder. Es handelt sich um Organisationen, die regionale oder fachspezifische Interessen von Studierenden vertreten, wie beispielsweise das Erasmus Student Network (ESN).
(Quelle: VSS)
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