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SVP mit neuem Gesicht, aber altem Kurs

Toni Brunner (links) hat im April als SVP-Präsident ausgesungen, für ihn stimmt Albert Rösti (rechts) in das Hohelied der unabhängigen und souveränen Schweiz ein. Christoph Blocher (Mitte) bleibt die starke Stimme der SVP. Keystone

"Durchorganisiert wie immer": Wie die Boulevardzeitung der Blick sieht die gesamte Schweizer Medienlandschaft die Erneuerung der SVP-Spitze als straff von oben dirigierten politischen Akt. Denn mit dem Berner Albert Rösti sei der Nachfolger Toni Brunners praktisch schon bestimmt. Partei-Übervater Christoph Blocher werde die Fäden auch weiter in der Hand behalten, so der Tenor.

«Während bei CVP und FDP die Suche nach neuen Präsidenten zu mühsamen Richtungsdiskussionen ausufern wird, präsentiert die SVP-Spitze mit Albert Rösti schon den neuen Chef. Kein Wunder, dass eine so durchorganisierte Partei nach Belieben den politischen Takt angibt», schreibt die Boulevardzeitung Blick.

Am Wochenende hatte Toni Brunner, Präsident der rechtskonservativen Schweizerischen Volkpartei, verkündet, dass er an der SVP-Delegiertenversammlung vom kommenden April zurücktreten werde. Mit ihm gehen auch Übervater Christoph Blocher und Walter Frei, die beide als Vizepräsidenten amtierten, sowie Generalsekretär Martin Baltisser.

Als Nachfolger nannte Brunner sogleich den Berner Nationalrat Albert Rösti. Dieser war Wahlkampfleiter bei den eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2015, bei denen die Rechtspartei einen historischen Sieg einfuhr.
Ein Coup

«Der SVP-Führungsriege ist ein Coup gelungen: Kaum jemand rechnete mit einem Abgang von Präsident Toni Brunner, ebenso wenig mit Christoph Blochers wohl endgültigem Rückzug von allen Parteiämtern», schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Bei der Wahl des Nachfolgers zeige die SVP einmal mehr, dass sie anders ticke. «In der CVP und der FDP ist das Rennen um das frei gewordene Präsidium derzeit offen, in der Rechtspartei hingegen wird die Besetzung dieser zentralen Personalie wenig demokratisch vom inneren Machtzirkel diktiert», so die NZZ.

Der SVP-Führungsriege ist ein Coup gelungen (NZZ)

Widerspruch in Sachen direkter Demokratie

«Sie müssen sich ihrer Sache sehr sicher sein, die Spitzen der SVP», kommentieren der Tages-Anzeiger und Der Bund die Wechsel wenige Wochen vor der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative. «Erlauben kann es sich die SVP, weil sie derart straff organisiert ist: Blocher wird auch nach dem Ausscheiden aus dem Präsidium eine massgebliche Rolle innerhalb der Partei spielen. Wer sich selbst zur Rettung der Schweiz berufen sieht, wird diesen Auftrag nicht einfach beiseite stellen. Und die SVP ist auf das Geld des Milliardärs angewiesen.»

Wer etwas werden wolle in der SVP, müsse sich mit den Parteigranden gut stellen, so Tagi und Bund weiter. Disziplinierungs-Massnahmen wie die Ausschlussklausel für unliebsame Bundesratskandidaten oder das Vorgehen bei der Neubesetzung des Parteipräsidiums würden klare Signale aussenden.

«Keine andere Partei wird dermassen von der Spitze her und derart wenig basisdemokratisch geführt. Dass dies ausgerechnet auf die Gralshüterin der Volksherrschaft zutrifft, ist von besonderer Ironie. Und einer der Gründe für den Erfolg dieser Partei.»

Während FDP und CVP demokratische Prozesse zur Findung ihrer neuen Parteispitzen eingeleitet hätten, erkläre die SVP die Sache für bereits geregelt, so Le Temps aus der Westschweiz. «Zwar ist Albert Rösti noch nicht gewählt. Aber wer weiss, wie die Partei funktioniert, kann sich schwerlich vorstellen, dass einer die Frechheit besitzt, ihn herauszufordern.» Die SVP sei als einzige Partei «top down» organisiert, während die anderen nationalen Parteien quasi als Resultate der kantonalen Sektionen fungierten, also «bottom up» strukturiert seien.

Kooptation wie in autoritären Regimes (Journal du Jura und La Liberté)

Noch einen Schritt weiter gehen Le Journal du Jura und La Liberté aus Freiburg. Sie bezeichnen die Art, wie die SVP die Nachfolge an ihrer Spitze regle, als «Form der Kooptation, wie sie in autoritären Regimes zahlreich vorkommt».

Köppel und Martullo neue Vizepräsidenten?

«Blocher ist noch nicht fertig», titelt die Aargauer Zeitung. «Zollt der 75-Jährige seinem Alter Tribut und tritt kürzer? Das ist sicher richtig.» Richtig sei aber auch: «Die Partei funktioniert heute ohne Blochers direkte Mitarbeit in seinem Sinne. Flügelkämpfe gibt es keine mehr, die ‹Zürcher Linie› hat sich durchgesetzt. Das zeigt nur schon, dass die Partei mit Fraktionschef Adrian Amstutz und dem designierten neuen Parteipräsidenten Albert Rösti zwei Berner in Schlüsselpositionen hievt.»

Zudem habe Blocher mit Verleger Roger Köppel und Tochter Magdalena Martullo zwei enge Vertraute in der Partei. Sie seien Ohren und verlängerter Arm gleichermassen. «Und bald auch Vizepräsidenten?», fragt die Zeitung aus dem Aargau.

«Die SVP rüstet sich für die Zeit nach Christoph Blocher», titelt die Berner Zeitung. Die Partei peile zwei grosse Ziele an: Konsolidierung der Kräfte in der Deutschschweiz sowie Wachstum in der Romandie und im Tessin. «Doch wer sich der Illusion hingibt, damit werde die Partei ihre politische Stossrichtung auch nur ein bisschen den anderen bürgerlichen Parteien angleichen, wird enttäuscht werden. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Auch wenn der Ton konzilianter wird, die Forderungen der SVP werden noch extremer.»

Dass Blocher selbst noch keineswegs genug hat, geht aus einem Interview hervor, das im Blick erschien. «Ich lasse die Schweiz nicht im Stich», so der Milliardär.

Le Temps erblickt beim Wechsel im Präsidium auch eine geographische Verlagerung des Schwergewichts innerhalb der Partei Richtung Westschweiz. Die beiden neuen starken Berner, Albert Rösti und Adrian Amstutz, der Leiter der SVP-Bundeshausfraktion, seien zwei treue Gefolgsleute Blochers. Mit Guy Parmélin, dem neuen SVP-Vertreter der Westschweiz in der Schweizer Regierung, erhoffe sich die Partei, ihre Position in der französischsprachigen Landeshälfte zu verstärken. «Die SVP macht sich auf, den Westen zu erobern», so die Zeitung.

Image des Blocher-Ziehsohns

In seinem Kommentar würdigt der Landbote aus Winterthur den abtretenden Toni Brunner. Der junge St. Galler Nationalrat und Bauer, der 2008 das Amt des SVP-Parteipräsidenten angetreten hatte, «war umtriebig, ehrgeizig, diszipliniert. Was ihm an Alter und Reife fehlte, konnte Mentor Christoph Blocher beisteuern. Dieser war damals gerade aus dem Bundesrat geworfen worden und lenkte aus dem Hintergrund. Da schien es nicht abwegig, Ziehsohn Toni Brunner an die Front zu schicken.» Es habe Jahre gedauert, bis Brunner aus diesem Schatten herausgetreten sei.

«Plus 2,8 Prozent plus elf Sitze»: Auf diese Formel bringt die Basler Zeitung, die sich im Besitz Christoph Blochers befindet, «die messbaren Erfolge» Toni Brunners. Doch mit den Zugewinnen bei den letzten Parlamentswahlen habe die Partei ihre strategischen Ziele, die Verteidigung der weltoffenen, unabhängigen Schweiz inklusive ihrer liberalen Gesellschaftsordnung, noch nicht erreicht. «Die Schweiz hat den heutigen Sturm ebenso wenig überstanden, wie sie für künftige gewappnet ist», mahnt die BaZ. Offen sei, ob es der Politik über die SVP hinaus gelingte, die Schweiz durch diese Probleme zu führen.

Derweil fokussiert die Neue Luzerner Zeitung unter dem Titel «Senkrechtstarter soll SVP führen» bereits auf den Nachfolger Albert Rösti, den die Parteidelegierten in rund vier Monaten höchstwahrscheinlich wählen werden. «Noch vor wenigen Jahren kannte kaum jemand seinen Namen, heute wird dem 48-Jährigen fast jedes Amt zugetraut.» Rösti betone zwar, dass ihm auch die Privatwirtschaft nicht fremd sei. «Den überwiegenden Teil seines Berufslebens hat er allerdings in der bernischen Volkswirtschaftsdirektion und in staatsnahen Verbänden verbracht», erinnert die NLZ.

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