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Von der Gewalt der Sprache zur Gewalt der Waffe

Kerzen und Blumen zum Gedenken an die Opfer von Tucson/Arizona. Ähnliche Bilder gab es 2001 auch in Zug. Reuters

Das Attentat gegen die US-Politikerin Gabrielle Giffords in Arizona hat auch in der Schweiz einen Schock ausgelöst. Hanspeter Uster, 2001 in Zug selbst Opfer eines Amokschützen, fordert mehr Sorgfalt bei der politischen Wortwahl auch in der Schweiz.

«Tödliche Folge des vergifteten Klimas», «Angeschlagene USA nach dem Massaker», «Ein Attentat, das den Druck in den USA erhöht»: Die Bluttat eines Amokschützen gegen die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords hinterliess auch in den Schweizer Zeitungen tiefe Betroffenheit.

Am Samstag hatte ein 22-jähriger, als «geistig verwirrt» bezeichneter Mann die Politikerin auf einem Parkplatz in Tucson mit einem Kopfschuss schwer verletzt, sechs Menschen starben im Kugelhagel.

Obwohl die Motive des festgenommenen Täters noch nicht bekannt sind, machen Beobachter auch ultrakonservative Kreise dafür verantwortlich. Sarah Palin und die Tea Party hätten mit ihrer explizit gewalttätigen Rhetorik den Nährboden für die Bluttat gegen die Politikerin aus dem verhassten gegnerischen Lager geschaffen. Dieser Meinung ist auch der Politologe Daniel Warner, der bis Ende 2010 Professor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien (HEI) war. 

Im Fadenkreuz

Der Amerikaner zeigt sich angesichts der Sprache, welche die extreme Rechte und die Tea Party verwendeten, über das Attentat nicht erstaunt. «Auf ihrer Site hat die Tea Party 20 Personen mit dem Symbol einer Zielscheibe ‹ins Visier› genommen, was Gewalt symbolisiert», sagt Warner gegenüber swissinfo.ch.

Angesichts einer solchen bedrohlichen Sprache überrasche es nicht, dass eine als «geistig verwirrt» eingestufte Person in Arizona, wo eine hohe Arbeitslosigkeit und Einwanderung für grosse Frustrationen sorgten, eine Tat von solchem Ausmass begehe. «Man könnte sich sogar fragen, weshalb es nicht schon vorher zu solchen Gewaltakten gekommen war», so der ehemalige Direktor des Instituts für Internationale Regierungsführung am HEI.

Bei Giffords handle es sich zudem um eine Frau, eine Jüdin und demokratische Kongressabgeordnete, die den Staat Arizona vertrete, der als sehr konservativ gelte, fügt Warner hinzu.

Schweizer Polit-Diskurs weniger martialisch

Beklemmung löst die Tat von Tucson auch bei Hanspeter Uster aus, von 1991 bis 2006 Sicherheitsdirektor des Kantons Zug. Und das auch aus persönlichen Gründen: 2001 war Uster selbst Opfer eines Amoktäters geworden. Damals drang ein schwer bewaffneter Mann ins Zuger Kantonsparlament ein und erschoss aus Rache wahllos 14 Politikerinnen und Politiker.

Nach der Bluttat tötete sich der Schütze selbst. 18 Personen wurden teils schwer verletzt, darunter Uster, der einen Lungenschuss erlitt. «Solche Ereignisse wecken bei mir immer wieder Erinnerungen an das Geschehen 2001», sagt Hanspeter Uster gegenüber swissinfo.ch.

Wie in den USA hat sich auch der politische Diskurs in der Schweiz verbal verschärft. Und wie die USA kennt auch die Schweiz ein sehr freies Waffenrecht. Diese Parallelen relativiert der Jurist insgesamt.

«Beunruhigend ist vor allem die Wortwahl Sarah Palins. Sie spricht von ‹Salve› und ‹Nachladen› und nimmt Personen bildlich ins Fadenkreuz», so Uster. Eine solche Rhetorik aber gebe es in der Schweiz nicht. Aber wenn es hier manchmal heisse, jemand sei ‹politisch angeschossen› worden, habe auch diese Formulierung eine symbolische Bedeutung. «Bei der politischen Wortwahl braucht es deshalb eine besondere Sorgfalt», fordert Hanspeter Uster, Mitglied der Sozialistisch-Grünen Alternativen (SGA).

Dass sich ein Einzelereignis wie die Tat von Tucson mässigend auf die Tonart in der Schweizer Politik auswirken könnte, daran glaubt er nicht.

Zugang zu Waffen einschränken

Was die grosse Verbreitung der Waffen in der Schweiz betrifft, plädiert der ehemalige Zuger Sicherheitsdirektor für eine Verschärfung des Waffenrechts, wie sie die Initiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» verlangt. Das Begehren aus dem links-grünen Lager, das am 13. Februar zur Abstimmung kommt, verlangt die Lagerung von Armeewaffen im Zeughaus sowie die Schaffung eines zentralen Waffenregisters.

Uster weist darauf hin, dass die Initiative auch vom Präsidenten der Schweizerischen Ärztegesellschaft (FMH), Jacques de Haller, und vom früheren Generalsekretär des Schweizerischen Polizeibeamtenverbandes unterstützt werde.

Nach dem Anschlag von Ende September 2001 verschärfte der Kanton Zug die Sicherheitsmassnahmen, um Politiker und Behördenmitglieder besser zu schützen. Dazu gehören strengere Zutrittskontrollen zu Parlamentsgebäuden sowie Register von Bürgern, die als renitent und potenziell gewalttätig eingestuft werden. Solche Massnahmen sieht Uster auf gesamtschweizerischer Ebene aber nur punktuell umgesetzt – ein Umstand, der gerade nach Tucson zu denken geben könnte.

Wieder zurück in die USA: Politologe Daniel Warner diagnostiziert dort nicht nur eine explizit gewalttätige Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen, sondern hält auch bei der Benennung von Verantwortlichen nicht zurück.

Es sei auffällig, dass weder Sarah Palin noch ihre Freunde von der Tea Party das Attentat kommentiert hätten, so Warner. Aber auch andere führende Köpfe des republikanischen Lagers sind bisher stumm geblieben.

In der Schuld

Auf ihrer Webseite habe Palin den Vorfall in knapper Form bedauert, ohne weiter darauf einzugehen. «Man weiss nicht, ob der Attentäter Mitglied der Tea Party war oder nicht, aber diese trägt aufgrund ihres ausgesprochen gewalttätigen Vokabulars die Verantwortung», steht für Warner fest. «Selbst wenn der Schütze nicht auf der Mitgliederliste figuriert und geistig verwirrt ist, kann sich die Tea Party nicht aus der Verantwortung nehmen.»

Laut Warner bleibt abzuwarten, ob sich nach der  Bluttat die martialische Sprache und die politische Radikalisierung in der US-Politik abschwächten. «Bisher hat die Regierung in Washington nicht auf diese Gewalt und die hohe Frustration reagiert. Das hat wesentlich zur Popularität Palins und der Tea Party beigetragen», sagt der US-Bürger.

«Billiges Polit-Theater»

Ed Flaherty, Chef der republikanischen US-Bürger in der Schweiz, zeigte sich über den Anschlag schockiert und drückte gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen sein Mitgefühl aus.

«Aber ich bin überhaupt nicht mit dem Vorwurf einverstanden, dass es der Fehler von Palin oder derjenige der Tea Party sei. Die Schuld für die Tat den Konservativen in die Schuhe zu schieben, ist billiges, empörendes Polit-Theater», wetterte Flaherty, der als Anwalt in Genf arbeitet, gegenüber swissinfo.ch.

Viele andere hätten auch zur aufgeheizten Rhetorik beigetragen. Diese aber werde vom US-Grundgesetz geschützt.

Im Gegensatz zur Schweiz beinhalte der politische Diskurs in den USA mehr Ausdrücke aus dem Kriegsvokabular. «Unsere Vorväter haben für das Recht auf freie Meinungsäusserung gekämpft. In Europa sind Hasstiraden ein Verbrechen. Ich möchte nicht, dass dies auch in den USA so wäre», schliesst Ed Flaherty.

Immerhin warb der US-Abgeordnete Raul Labrador, der im US-Staat Idaho vor allem von Anhängern der Tea Party gewählt worden war, für Zurückhaltung in der politischen Debatte. «Es gibt Extreme auf beiden Seiten. Es ist unsere Aufgabe, rational mit den Menschen zu reden und die Rhetorik zu beruhigen», sagte Labrador.

Die Tea Party ist keine Partei, sondern eine Bürgerbewegung, die 2009 entstand. Die Mitglieder gehören mehrheitlich dem republikanischen Lager an, kritisieren aber, dass sich die konservative Partei von ihren Prinzipien und Idealen entfernt habe.

Zorn über zu grosse Staatsausgaben und zu hohe Steuern stehen im Zentrum der politischen Ausrichtung der Tea Party. Es herrscht eine grosse Wut über die Regierungsadministration Washingtons, die als links und zu gross gebrandmarkt wird.

Die Mitglieder verneinen die Klimaerwärmung und wollen die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama rückgängig machen.

Sie verfechten ein freies Waffenrecht und unterstützen die Erdöl- und Erdgasindustrie.

Bei den Zwischenwahlen 2010 schlugen mehrere ultrarechte Mitglieder der Tea Party Kandidaten der Republikaner, die ihrerseits grosse Gewinne erzielten.

Sarah Palin, im Wahlkampf 2008 bei der Kampagne John McCains Vizepräsidentschaftskandidatin, ist das politische Aushängeschild der Bewegung. Auf ihrer Facebook-Seite hatte sie Distrikte, in denen Republikaner Demokraten «ins Visier» nahmen, mit einer Zielscheibe gekennzeichnet.

Die Symbole wurden auf ihrer Website entfernt, sind aber nach wie vor auf ihrer Facebook-Seite zu sehen.

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