Von kostbar bis einzigartig: Der Schweizer Schatz diplomatischer Geschenke
Die Auswahl von Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken ist selbst für Menschen mit den besten Absichten und einem dicken Portemonnaie keine leichte Aufgabe. Staatsoberhäupter der Welt aber stehen ständig unter dem Druck sich bei Treffen gegenseitig das perfekte Geschenk zu machen.
Wer aus dem Stab des usbekischen Präsidenten Islam Karimow 1993 den genialen Einfall hatte, lässt sich nicht mehr feststellen.
Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos erhielt der damalige Schweizer Bundespräsident Adolf Ogi von Karimow ein auf den ersten Blick traditionell anmutendes Geschenk: einen grossen handgewebten Teppich mit Blumen- und Blattmustern in kräftigem Rot, ergänzt durch satte Erdtöne.
Nur: In der Mitte des Teppichs befand sich ein Porträt von Ogi selbst, der Magistrat passend zum Rest des Teppichs gekleidet in dunkler Anzugjacke und mit roter Krawatte.
«Es ist eines seiner liebsten Objekte», sagt der Kunsthistoriker Andreas Münch. Auch in der Schweiz ist der Teppich ein Ausstellungshit. Zuletzt war er in einem Museum in Kandersteg zu sehen, dem Heimatort des pensionierten Politikers im Berner Oberland.
Wenn er nicht von der Öffentlichkeit bewundert wird, hat der Teppich ein bescheideneres Domizil: den Keller eines Gebäudes des Bundesamts für Kultur in Bern. Hier ist die von Münch geleitete Bundeskunstsammlung untergebracht.
Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht sind hier optimal für die Aufbewahrung des berühmten usbekischen Teppichs und anderer diplomatischer Geschenke, die Schweizer Bundesräte, Botschafterinnen und andere Beamte seit der Gründung der Eidgenossenschaft 1848 erhalten haben.
Als Münch 2012 sein Amt antrat, befanden sich die im Lauf der Zeit angesammelten Objekte in einem ungeordneten Zustand und lagerten meist ohne Informationen über ihre Herkunft.
«Ich sagte mir: Entweder werfen wir alles weg oder wir nehmen die Arbeit ernst und recherchieren ihre Herkunft», sagt er. «Und das haben wir getan.»
Offiziell dürfen Bundesbeamte, auch Mitglieder der Regierung, keine Geschenke im Wert von mehr als 200 Franken annehmen. Viele tun es dennoch – aus diplomatischer Höflichkeit. Sie überreichen diese ihren Vorgesetzten oder dem Bundesrat, der Exekutive der Schweiz.
Diejenigen, die nicht in einem Regierungsgebäude oder Museum ausgestellt werden, landen in der Sammlung. Heute umfasst die Datenbank der diplomatischen Geschenke rund 600 Objekte von unterschiedlichem Wert, künstlerischer und symbolischer Bedeutung.
Einige davon wären für eine Galerie interessant – wie etwa drei exquisite Silbervasen, die von einem Spezialisten der Universität Zürich als Werke des japanischen Silberschmieds Tsukada Shukyo, auch Shin’yusai genannt, aus dem frühen 20. Jahrhundert identifiziert wurden.
Der Künstler war vor allem für seine kostbaren Samurai-Schwerter bekannt. Die Vasen, die von präziser Handarbeit zeugen, stammen laut Münch höchstwahrscheinlich vom kaiserlichen Hof.
Doch wie bei vielen älteren Objekten der Sammlung ist wenig über die Umstände bekannt, unter denen sie die Schweiz erhalten hat. Heute drängen Münch und sein Team auf eine vollständige Information über die Objekte, die ins Depot gelangen.
Die Idee hinter dem Austausch diplomatischer Geschenke ist unbestritten. «Die meisten Objekte sagen etwas über die Beziehung [zwischen den Ländern], die schenkende Person und deren Absichten aus», sagt Münch.
Der Austausch von Geschenken sei üblich, wenn eine Schweizer Bundespräsidentin oder ein Schweizer Bundespräsident ein anderes Staatsoberhaupt treffe, sagt Susan Misicka, Sprecherin der Bundeskanzlei. Man nehme diesbezügliche Überlegungen ernst.
«Vor dem Treffen besprechen die Protokollführenden die Gegenstände und deren Wert, um ein angemessenes Gleichgewicht zu gewährleisten», schreibt Misicka in einer E-Mail.
«Meistens wird ein Geschenk passend zur beschenkten Person ausgewählt. Die persönlichen Beratenden des Staatsoberhaupts sind dafür verantwortlich, Geschenke vorzuschlagen.»
Die Geschenke der Schweizer Seite haben einen Wert von fünfzig bis zu mehreren tausend Franken und müssen zwingend aus der Schweiz stammen.
«Sie stehen typischerweise für Schweizer Exzellenz und/oder Präzision», so Misicka. Sie nennt als Beispiele Uhren, Spieluhren, Schweizer Armeemesser, Schokolade, Wein, sogar Skis und Kunstwerke.
Gelegentlich werden Geschenke als Kommentar zu aktuellen Themen ausgewählt. Bei einem kürzlichen Besuch im Vatikan überreichte Bundespräsident Alain Berset Papst Franziskus den Roman «Sturz in die Sonne» des Schweizer Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz.
Der 1922 geschriebene Roman zeigt eine Welt, die an der Klimaerwärmung zerbricht. Berset legte eine Kopie der Wettervorhersage für Genf vom 29. Juli 1921 bei, jenem Tag, an dem in der Schweiz die damals höchste Temperatur (38,9°C) gemessen wurde und der Ramuz zu seinem Roman inspirierte.
Misicka hält sich bedeckt zur Frage, ob und was der französische Präsident Emmanuel Macron bei seinem jüngsten Staatsbesuch in der Schweiz geschenkt bekommen hat.
Oder ob Berset dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski beim Besuch in Kiew im November ein Geschenk überreicht hat. Die Regierung scheint diese Informationen normalerweise nicht zu veröffentlichen.
Manche Geschenke werden jedoch unweigerlich zum Stadtgespräch. Anlässlich des ersten Staatsbesuchs eines russischen Präsidenten in der Schweiz im Jahr 2009 schenkte die Delegation von Dmitri Medwedew der Bärenstadt Bern zwei Bärenbabys, Mischa und Mascha.
Für sie wurde im Berner Zoo Dählhölzli extra ein Bärenwald eingerichtet. Doch das gut gemeinte Geschenk nahm eine tragische Wendung: Die in Sibirien von Hand aufgezogenen Bären waren voneinander abhängig und erwiesen sich als unfähig zur Elternschaft, als sie 2014 selbst zwei Junge bekamen.
Vor den Augen der entsetzten Zoobesuchenden tötete das Männchen eines seiner Jungen. Das Zoopersonal schläferte das zweite Jungtier wenige Tage später ein, um weiteres Leid zu verhindern.
Wildtiere – nicht immer lebendig – hätten neben Waffen als diplomatische Geschenke eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreiche, sagt Münch. In der Kunstsammlung befinden sich mindestens zwei Modelle eines Weisskopfseeadlers, Nationalvogel der USA und Symbol für Macht und Autorität.
Ein zierlicheres Modell, ein Falke mit goldenen Füssen aus Kuwait, ist mit einer abnehmbaren Kappe versehen, die normalerweise dazu dient, den Raubvogel ruhig zu halten.
«Falken sind ein sehr wichtiger Teil der arabischen Kultur», sagt Münch. «Mit diesem Geschenk sagt man nicht nur etwas über seine Herkunft aus, sondern übermittelt auch den Wunsch, dass die Kraft dieses Tiers [auf die beschenkte Person] übertragen werde.»
Auch Waffen wie Gewehre und Schwerter (der dekorativen Art) seien Symbole der Stärke, aber auch der Selbstverteidigung, so der Kunsthistoriker.
Schon bald werden Münch und sein Team dem Büro von Bundesrat Berset einen Besuch abstatten, wenn er Ende Jahr aus der Regierung ausscheidet.
Ihre Aufgabe: Die Geschenke, die der Innenminister in zwölf Amtsjahren angehäuft hat, in die Tiefen der Bundeskunstsammlung zu befördern. Ob bei Berset ebenfalls ein einzigartiger usbekischer Teppich auftaucht, weiss Münch noch nicht.
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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