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Das Schweizer Volk entscheidet über Migrations- und Familienpolitik

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Laut Umfragen will eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer am freien Personenverkehr mit der EU festhalten. © Keystone / Gaetan Bally

Die Schweizerinnen und Schweizer sind aufgefordert, am Sonntag über fünf Vorlagen abzustimmen. Die Entscheide könnten langfristige Auswirkungen auf die Kontrolle der Einwanderung, die Unterstützung von Familien oder die Regulierung der Bestände grosser Wildtiere haben. Ein Blick auf die wichtigsten Aspekte.

Wegen der Coronavirus-Pandemie waren die für Mai geplanten eidgenössischen Abstimmungen auf den 27. September verschoben worden. Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger werden nun gleich über fünf Vorlagen abstimmen können: Die Volksinitiative für eine «moderate Zuwanderung», die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs, eine Erhöhung der Steuerabzüge für Familien und die Revision des Jagdgesetzes.

Die Ergebnisse könnten die Politik der Schweiz zur Steuerung der Zuwanderung, die Familienpolitik und den Schutz gefährdeter Arten nachhaltig beeinflussen.

Einwanderung: Künftige Beziehungen Schweiz-EU auf dem Spiel

Nachdem sie 2014 mit ihrer Initiative «gegen Masseneinwanderung» bei der Volksabstimmung einen unerwarteten Erfolg verbuchen konnte, kehrt die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) mit einem neuen Begehren zurück, das auf eine autonome Steuerung der Einwanderung abzielt. Die so genannte «Begrenzungs-Initiative» fordert, das 1999 mit der Europäischen Union (EU) geschlossene Abkommen über die Personenfreizügigkeit zu kündigen.

Denn nach Ansicht der SVP kann die 2014 vom Volk angenommene Initiative nicht wirklich umgesetzt werden, solange das Abkommen über den freien Personenverkehr in Kraft ist. Dieses ist jedoch über eine so genannte Guillotine-Klausel mit sechs weiteren Abkommen mit der EU verbunden, die im Fall eines «Ja» bei der Abstimmung am Sonntag alle ebenfalls hinfällig würden.

Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen, das die langfristigen Beziehungen zwischen beiden Seiten regeln und eine dynamische und schnellere Aktualisierung bestimmter bilateraler Abkommen ermöglichen würde, kommen seit Jahren nur stockend voran. Die Diskussionen wurden ausgesetzt, bis das Resultat der Abstimmung über die «Begrenzungs-Initiative» vorliegt. Das Ergebnis wird den Ton für die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU in den kommenden Jahren vorgeben.

Gemäss der letzten SRG-SSR-Umfrage zu den Abstimmungsabsichten will eine Mehrheit von 63% der Befragten die Begrenzungs-Initiative ablehnen.

Erster Schritt zu einer moderneren Familienpolitik

Die Schweiz ist das einzige europäische Land, das bisher weder einen offiziellen Vaterschafts- noch Elternurlaub hat. Auch unter den OECD-Ländern liegt sie mit ein paar anderen Staaten auf dem letzten Platz.

Schweizer Bürgerinnen und Bürger können am Sonntag einen ersten Schritt tun, diesen Rückstand aufzuholen, indem sie der Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs zustimmen. Der Urlaub würde durch die Verdienstausfall-Entschädigung finanziert. Jeder Vater, egal wo er angestellt ist, hätte innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt des Kindes Anspruch auf den Urlaub.

Ein klares «Ja» zu dem vom Parlament erarbeiteten Gesetzesentwurf könnte den Weg für ehrgeizigere Vorschläge zur Entwicklung der Familienpolitik in der Schweiz ebnen. Viele Parteien und Verbände erwägen bereits, einen Vorschlag für einen Elternurlaub vorzulegen, der in den ersten Lebensjahren des Kindes zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt würde.

Aus der Abstimmung über den Vaterschaftsurlaub könnte auch eine Reflexion hervorgehen, die auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielt, mit einer Erhöhung der Kinderkrippenplätze, einer Senkung ihrer Kosten und einer grösseren Flexibilität bei der Arbeit.

Am 27. September kommt noch eine weitere familienpolitische Vorlage zur Abstimmung. Dabei geht es um eine Änderung der Gesetzgebung über die direkte Bundessteuer: Familien mit Kindern sollen höhere Steuerabzüge pro Kind und für die Kinderbetreuung vornehmen können.

Die Linke hatte das Referendum gegen diese Revision ergriffen, weil sie der Ansicht ist, dass die Erhöhung der allgemeinen Abzüge pro Kind nur den reichsten Familien zugutekommen würde. Die bürgerlichen Parteien hingegen sehen darin eine willkommene Unterstützung für alle Eltern.

Nach der jüngsten Umfrage zu den Abstimmungsabsichten plant eine Mehrheit von 61% der Befragten, dem Vaterschaftsurlaub zuzustimmen. Auf der anderen Seite zeigten sich die befragten Stimmberechtigten in Bezug auf die geplante Erhöhung der Steuerabzüge für Familien sehr gespalten, mit einer leichten Tendenz zu einem Nein.

Die Zukunft der Schweizer Armee

Die Schweizer Stimmberechtigten können am Sonntag auch über einen Kredit von 6 Milliarden Franken für den Kauf neuer Kampfflugzeuge entscheiden. Die F/A-18 nähern sich dem Ende ihrer Nutzungsdauer, und die Regierung will sie ersetzen. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee und die linken Parteien betrachten diese Ausgaben als zu hoch und unnötig und hatten daher das Referendum gegen den Beschluss der Regierung ergriffen.

Mit der Abstimmung über diesen Kredit entscheiden die Bürgerinnen und Bürger nach Ansicht der Befürworter grundsätzlich, ob sie weiterhin eine eigenständige Schweizer Luftwaffe finanzieren wollen oder nicht. Das Resultate könnte auch die künftige Entwicklung der gesamten Schweizer Armee beeinflussen.

Gemäss der letzten Umfrage über die Abstimmungsabsichten plant eine Mehrheit von 56% der Befragten, den Kredit von 6 Milliarden Franken zu gutzuheissen.

Zusammenleben mit grossen Raubtieren

Das Jagdgesetz wurde überarbeitet, um die Bestände grosser Wild- und Raubtiere in der Schweiz besser kontrollieren zu können.

Neu sollen einzelne Tiere von «regulierbaren» geschützten Arten wie Wolf und Steinbock mit Zustimmung des Kantons unter bestimmten Gründen abgeschossen werden dürfen, auch in Wildschutzzonen. Das neue Gesetz sieht auch Naturschutzmassnahmen vor, wie z.B. die Finanzierung von Wildtierkorridoren von überregionaler Bedeutung.

Naturschutzorganisationen lancierten das Referendum gegen die Revision. Unter anderem kritisieren sie, dass das revidierte Gesetz den Schutz gefährdeter Arten schwäche, ohne eine dauerhafte Lösung für die Probleme mit dem Wolf zu bieten.

Die Stimmberechtigten müssen nun entscheiden, ob sie es vorziehen, «regulierbare geschützte Tiere», die Schäden verursachen können, mit Abschüssen zu kontrollieren oder mit Hilfe von anderen Mitteln.

Nach der jüngsten Umfrage über die Abstimmungsabsichten sind die Meinungen der Stimmberechtigten über die Revision des Jagdgesetzes geteilt: 46% der Befragten wollten mit «Ja», 48% mit «Nein» stimmen.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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