«Wir müssten sofort für das Klima handeln, aber wir nehmen uns Zeit nachzudenken»
Die Grünen sind enttäuscht über das Ergebnis ihrer Kandidatin bei der Wahl in die Schweizer Regierung, insbesondere über die mangelnde Unterstützung der Grünliberalen. Die Umweltpartei verpasste den Einzug in die Exekutive. Nun will sie sich umso mehr Gehör im Parlament verschaffen.
Die friedliche Stimmung im Bundeshaus vor der Wahl hatte es angedeutet: Die sieben Mitglieder der Schweizer Regierung wurden alle im ersten Wahlgang in ihren Ämtern bestätigtExterner Link. Alles schien schon vorbereitet zu sein: keine Ränkespiele, Last-Minute-Sitzungen oder aufgeregte Einzelgespräche.
Die traditionelle «Nacht der langen Messer», in der am Vorabend der Wahl manchmal Strategien entwickelt wurden, sah diesmal einem Stelldichein unter Kollegen ähnlich.
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Dabei hätte einiges auf dem Spiel gestanden: Die bisherige Zusammensetzung der Regierung hätte durch den erstmaligen Einzug eines Mitglieds der Grünen aufgebrochen werden können, um dem Willen der viel zahlreicher gewordenen Wählerinnen und Wähler zu folgen, die den Umweltschützern ihre Stimme bei den letzten Parlamentswahlen gaben.
Die Linke wollte diesen Schritt machen und stimmte für die Umweltkandidatin Regula Rytz. Aber die Mitte- und Rechtsparteien zogen es vor, auf Kontinuität zu setzen und sich für eine Änderung der «ZauberformelExterner Link» Zeit zu nehmen.
«Diese Langsamkeit ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Schweizer Systems», sagt Mathias ReynardExterner Link, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP). «Diesmal profitierten wir nicht davon, aber es ist auch Garantie für eine gewisse Stabilität.»
Das Klima wartet nicht
Sehr enttäuscht von dieser Unbeweglichkeit sind die Grünen. «Die Klimasituation ist dramatisch, es muss sofort etwas getan werden, aber wir nehmen uns die Zeit zum Nachdenken», sagt Céline VaraExterner Link, von der Grünen Partei. «Ich fürchte um die Zukunft. Wir haben eine Gelegenheit verpasst.»
Die Grünen wussten, dass ihre Kandidatin wenig Chancen haben würde, aber sie erwarteten mehr Unterstützung von den Grünliberalen. «Sie hatten die beispiellose Gelegenheit, eine Umweltschützerin in den Bundesrat zu wählen, aber sie zogen es vor, wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu stellen», sagt Vara.
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Isabelle ChevalleyExterner Link, Nationalrätin der Grünliberalen, weist darauf hin, dass ihre Fraktion gespalten war: «Wir wollen mit den Unternehmen für das Klima arbeiten. Die Grünen wollen gegen die Unternehmen für das Klima arbeiten. Unser Ansatz ist nicht derselbe.» Chevalley ist der Ansicht, dass Massnahmen zugunsten der Umwelt im Parlament entschieden werden und dass auf jeden Fall das Volk das letzte Wort haben werde.
«Im Schweizer System hat die Regierung letztlich wenig Macht», sagt Chevalley. «Wie kann man nur annehmen, dass die Wahl einer Grünen in den Bundesrat grosse Auswirkungen haben und sich der CO2-Ausstoss auf einen Schlag reduzieren würde?»
Ganz anders sieht dies Vara. Laut der Grünen Politikerin wird die Mehrheit der Entscheidungen von der Regierung getroffen. Um effiziente Massnahmen zugunsten des Klimas zu ergreifen, müssten die Grünen alles tun, um dort vertreten zu sein. «Zumal der amtierende Bundesrat nicht von klimafreundlichen Positionen geprägt wird», sagt die Nationalrätin.
«Wir werden natürlich versuchen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um uns Gehör zu verschaffen. Aber wir sind eine Minderheit und haben heute gesehen, wo die Grünliberalen stehen.»
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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