Die neue Mitte des Schweizer Parlaments ist klar rechts
Die Schweizerische Volkspartei fährt bei den Parlamentswahlen vom Sonntag einen historischen Sieg ein und kommt auf 65 Sitze im Nationalrat. Neu verfügen die Rechtsbürgerlichen nun über eine Mehrheit in der 200 Plätze zählenden Grossen Kammer. Klare Verlierer sind die Grünen und die Grünliberalen.
Umfragen vor den Wahlen hatten auf einen Rechtstrend hingedeutet. Und der Rechtsrutsch im Schweizer Parlament wurde am Wahlsonntag deutlich bestätigt. Die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) kommt demnach auf 29,4% Wähleranteil (+2,8%). Noch nie seit Einführung des Proporzwahlrechts 1919 hat eine Partei einen solchen Wert erreicht.
In Sitzen ausgedrückt bedeutet dies ein sattes Plus von 11 SVP-Vertretern im Nationalratssaal (Volkskammer). Damit totalisiert die SVP neu 65 Sitze, auch dies ein Rekordergebnis.
Junior-Sieger des Wahltages ist die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP). Sie kommt auf 16,4% aller Wählerstimmen (+1,2%). Sitzmässig legt die Mitte-Partei um deren 3 zu und stellt somit 33 Vertreter.
Die Sozialdemokratische Partei (SP) bleibt mit 18,8% (+0,2%) Wähleranteil ungefähr auf dem Niveau von 2011. Sie verliert aber 3 Sitze und ist im neuen Parlament mit 43 Abgeordneten vertreten.
Widmer-Schlumpfs Bundesratssitz wackelt
Zu den grossen Wahlverlierern gehören die Mitte-Parteien, die Sieger der Wahlen 2011. Hart traf es die Grünliberalen, welche 5 ihrer Deputierten einbüssten und noch 7 Sitze haben. Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), welche mit Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Regierungspartei ist, erzielte 7 Sitze, minus zwei. Wie sich dies auf die Chancen einer Wiederwahl von Widmer-Schlumpf am 9. Dezember auswirken wird, dürfte sich in den nächsten Tagen abzeichnen. Federn lassen mussten ausserdem die Grünen. Sie verloren 5 Mandate und kommen noch auf 10. Die CVP verliert einen Sitz und kommt noch auf 28 Mandate.
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Schweizer Parlamentswahlen – so funktioniert’s
SVP-Präsident Toni Brunner zeigte sich als grosser Sieger des Tages äusserst erfreut: «Es ist ein klares Votum für die SVP, welche die Migrationsfrage thematisiert hat.» Gegenwärtig finde eine Völkerwanderung statt, was die Bevölkerung beunruhige.
Das Thema schwenkte schon sehr bald zur anstehenden Bundesratswahl, die am 9. Dezember ansteht. Die SVP forderte vehementer als in den Jahren zuvor einen zweiten Sitz in der Landesregierung. Sie zielt dabei auf den Sitz von BDP-Bundesrätin und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.
«Wir sind bereit, im Bundesrat Verantwortung zu übernehmen. Unsere Fraktion wird den anderen Parteien einen Vorschlag unterbreiten», kündete Brunner an.
Sukkurs erhielt er von FDP-Präsident Philipp Müller: «Wir sollten die stärkste politische Kraft auch im Bundesrat einbinden.» Er sei sehr zufrieden mit dem Resultat seiner Partei. «Wir sind noch besser weggekommen, als wir geglaubt haben», sagte Müller. Die Partei habe in den letzten eineinhalb Jahren in den Kantonen sehr gut gearbeitet, nannte er als Begründung.
SP hinter Widmer-Schlumpf
SP-Präsident Christian Levrat konterte: «Frau Widmer-Schlumpf hat gut gearbeitet. Ich sehe deshalb keinen Grund, sie abzuwählen.» Und schliesslich sähen die Kräfteverhältnisse im Ständerat ganz anders aus, die Schere zwischen National- und Ständerat habe sich geöffnet.
Ernüchtert gab sich Martin Bäumle, Präsident der GLP, welche die grössten Verluste hinnehmen muss: «Ich habe schon einige Niederlagen in meinem Leben erlebt. Aber für die Grünliberalen ist es die grösste Niederlage.» Bäumle sprach gar von einem Worst-Case-Szenario. Ökologische Themen würden das Volk wohl nicht mehr so stark kümmern, glaubte er.
BDP-Präsident Martin Landolt war froh, dass seine Partei die Wahlen einigermassen unbeschadet überstanden hat. «Wir leben noch», sagte er nüchtern. Die BDP werde nun in aller Ruhe das Ergebnis analysieren. Danach werde Widmer-Schlumpf entscheiden, ob sie zu einer Wiederwahl antrete.
«Ein schwarzer Tag für die Umweltpolitik»; Dies der Kommentar von Regula Rytz, Ko-Präsidentin der Grünen. Eine Mehrheit durch Rechts/Mitte in Parlament wäre ein «massiver Angriff auf die Energiewende». Das Volk könne sich aber schon im nächsten Jahr selber dazu äussern. Dann nämlich, wenn die Grünen Initiative Atomausstieg an die Urne bringen würden.
Konsequenzen auf personalpolitischer Ebene
«Bei 14 Sitzgewinnen wird die Politik in der nächsten Legislatur viel stärker von SVP und FDP bestimmt werden. Allerdings unter der Voraussetzung, dass sich die beiden Parteien einig sind», sagte Longchamp, der Polit-Experte des Schweizer Fernsehens (SRF). Im Fall der Steuerpolitik und auch der Zusammensetzung des Bundesrats sei dies weitgehend der Fall. In der Frage der Bilateralen und insbesondere der Umsetzung der Initiative gegen Masseneinwanderung gebe es dagegen beträchtliche Differenzen.
Longchamp bekräftigte den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz in der Regierung. «Es gibt nur eine Antwort: Den zweiten Bundesratssitz für die SVP. Wenn denn Eveline Widmer-Schlumpf zurücktritt», so Longchamp.
Sensationelle Abwahlen hüben und drüben
Personell brachten die Wahlen 2015 mehrere spektakuläre Ergebnisse. Bei der SVP überflügelte im Kanton Zürich Quereinsteiger Roger Köppel alle Mitbewerber bei Weitem: Der Chefredaktor der Weltwoche fuhr gleich bei seinem Debüt das beste Stimmentotal aller Zürcher SVP-Kandidaten ein. Die Nicht-Wiederwahl von Hans Fehr und insbesondere von Christoph Mörgeli sind als veritable Überraschungen zu werten.
Eine solche kann auch Magdalena Martullo-Blocher verbuchen: Die Chefin der Ems-Chemie und Tochter von SVP-Übervater Christoph Blocher schaffte vom Kanton Graubünden aus den Sprung nach Bern. Und das ebenfalls als völlige Newcomerin.
Im Kanton Solothurn dagegen traf es mit Roland Borer einen weiteren Rechtsaussen der SVP: Er wird dem neuen Parlament nach 24 Jahren nicht mehr angehören.
Eine äusserst schmerzliche Niederlage setzte es aber auch für Andy Tschümperlin ab, seines Zeichens Präsident der SP-Fraktion im Nationalrat: Er schaffte im Kanton Schwyz die Wiederwahl nicht. Dies sei gleichbedeutend mit seinem Rückzug aus der Politik, gab er bekannt.
Positiv in den Reihen der SP ist sicher, dass sie mit Ex-Botschafter Tim Guldimann den ersten Auslandschwerizer Parlamentarier der Geschichte stellt. Guldimann kandidierte im Kanton Zürich.
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