Wahlen in Konfliktgebieten: Fluch oder Segen?
Anstatt zu Frieden führen Wahlen in ehemaligen Kriegsgebieten oft zu neuer Gewalt. Zum Beispiel in Afghanistan oder in Irak. Wie müssen Wahlen organisiert sein, damit sie Demokratie und Stabilität fördern? Darüber diskutierten Friedensforscher an einer Tagung in Bern.
In den meisten Staaten, die Bürgerkrieg oder jahrelange Gewaltkonflikte hinter sich haben, fehlen die Voraussetzungen für erfolgreiche Wahlen. Meist sei die Sicherheitslage ungenügend, es mangle an der nötigen Infrastruktur, und das politische Klima sei aufgeheizt. In diesem Punkt waren sich die Experten an der Jahreskonferenz der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace in Bern einig.
Trotzdem enthalten Friedensabkommen nach Bürgerkriegen und Konflikten meist Bestimmungen zur Durchführung rascher Wahlen. Irak und Afghanistan zeigen, dass dies nicht funktioniert.
Politischer und sozialer Kontext
Der Grund für das Scheitern ist für Wahlexperte Georg Lutz, Politologe am Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (FORS) der Universität Lausanne, klar: «Weil man unterschätzt hat, dass Demokratisierung nicht ein einmaliger Event ist, der mit einer einzigen Wahl abgeschlossen ist, sondern dass eine Wahl – wenn überhaupt – der Beginn eines langen Demokratisierungs-Prozesses ist.»
In den beiden Fällen Afghanistan und Irak habe man sicher Fehler gemacht, sagt Lutz gegenüber swissinfo.ch. «Man hat den politischen und sozialen Kontext viel zu wenig berücksichtigt. Deshalb haben wir immer noch viel Gewalt, eine konsolidierte Demokratie ist noch weit entfernt.»
Kaum optimale Voraussetzungen
Für den Schweizer Politologen sind Wahlen dennoch die einzige legitime Basis für Demokratisierung und damit für Machtteilung und friedliche Konfliktlösungsmodelle. Es sei aber ein Problem, dass es kaum optimale Voraussetzungen gebe. «Sicher vorhanden sein muss eine Kontrolle, eine zentrale Autorität über das ganze Staatsgebiet.»
Wahlen müssten so organisiert sein, dass die Bevölkerung diese als glaubwürdig einschätze und sie bestehende Konflikte nicht verschärften. Dafür gebe es keine Patentrezepte, wohl aber wichtige Ansatzpunkte. Dazu gehörten etwa die Schaffung von Sicherheit, die Stärkung von Wahlkommissionen oder der Einsatz von Vermittlern, um Gewalt vorzubeugen und einzudämmen, so Lutz.
«Wenn diese Grundvoraussetzungen nicht vorhanden sind, und auch die logistischen Herausforderungen zu gross sind, dann macht es sicher Sinn zu überlegen, ob man mit Wahlen nicht noch etwas warten sollte.»
Wahlen als Exit-Strategie
Für die Politsoziologin Marina Ottaway von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden sind «Wahlen oft nicht die Lösung eines Konfliktes, sondern die Ursache dafür». Für Wahlen und einen Demokratisierungs-Prozess brauche es zuerst einen konsolidierten Staat.
Ottaway kritisiert auch die internationale Gemeinschaft, die häufig auf rasche Wahlen dränge. In Angola zum Beispiel sei nach Wahlen in den 90er-Jahren ein langjähriger Bürgerkrieg ausgebrochen. Oft seien Wahlen in solchen Ländern eine Exit-Strategie der internationalen Gemeinschaft im Anschluss an (teure) Interventionen.
«Wahlen können wir technisch überall organisieren, auch auf dem Mond. Dort müsste man nur schauen, wo die Urnen platziert werden sollen», sagt Ottaway unverblümt.
Keine andere Wahl
Angesichts all dieser Bedenken stellt sich die Frage, ob eine Einmischung der internationalen Gemeinschaft beim Wahl- und Demokratisierungsprozess wie zum Beispiel in Afghanistan oder Irak überhaupt sinnvoll ist, oder ob man solche Länder eher sich selber überlassen sollte.
«Natürlich gibt es immer auch geostrategische Gründe, sagt Politologe Lutz. «Ziel sind dann nicht freie demokratische Wahlen, sondern die eigene Machtbasis in der Region auszubauen. Aber wenn man das mal weglässt, hat die internationale Gemeinschaft, die stark von reichen Ländern dominiert wird, fast keine andere Wahl, als Entwicklung zu unterstützen, quasi die globale Ungleichheit zumindest zu mindern, im Wissen, dass man wegen dieser globalen Ungleichheit, wenn sie noch grösser werden sollte, selber leiden würde.»
Entwicklung sei nicht einfach ein technischer Prozess, wo man Landwirtschaft unterstütze oder Infrastruktur erstelle, sondern im wesentlichen auch ein politischer Prozess. «Und in diesem spielen Wahlen eine sehr zentrale Rolle», so Lutz.
Das Beispiel Nepal
Der heute für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) tätige Markus Heiniger war zweieinhalb Jahre für das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Nepal. Aufgabe: Begleitung und Mediation beim Friedensprozess in dem südasiatischen Land, wo während zehn Jahren ein Bürgerkrieg tobte.
Vor einem Jahr sprach der damalige EDA-Mitarbeiter in Nepal von «Erfolgen trotz Schwierigkeiten» bei der Mediation zwischen den Ex-Bürgerkriegsparteien. Gefragt sei «Geduld», man müsse dem Aussöhnungsprozess Zeit lassen.
Auf die Frage, wie es heute in Nepal aussehe, sagt Heiniger an der Berner Swisspeace-Jahreskonferenz gegenüber swissinfo.ch: «Die Geduld wird strapaziert. Die Situation sieht leider nicht grundlegend anders aus als vor einem Jahr. Die verfassungsgebende Versammlung hätte bis im Mai dieses Jahres Zeit gehabt, eine Verfassung für das Land auszuarbeiten, hat das aber nicht geschafft, weil man sich nicht einigen konnte über eine Anzahl von politischen Hauptpunkten.»
Man habe die Frist um ein Jahr verlängert, das liege in der Kompetenz der verfassungsgebenden Versammlung. Inzwischen sei aber die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten fällig. Nach mehr als 15 Wahlgängen sei aber immer noch keine neue Regierung in Sicht, so Heiniger.
«Was jetzt dringend gebraucht wird, ist eine Regelung der politischen Verhältnisse – es braucht eine neue Regierung. Mit der jetzigen Übergangsregierung kann es nicht lange so weiter gehen.»
Trotzdem eine Schweizer Erfolgsgeschichte
Die Frage von «frühen» oder «späteren» Wahlen stellt auch den Deza-Mirarbeiter vor ein Dilemma. «Wenn man zu lange mit Wahlen wartet, gesteht man der Bevölkerung keine demokratische Mitbeteiligung zu. Das Land wird durch Deals zwischen den Mächtigen regiert, die sogar wieder gegeneinander kriegen könnten. Wenn man aber zu früh Wahlen durchführt, gibt es auch Probleme.»
Dennoch betrachtet Heiniger das Engagement der Schweiz in Nepal als Erfolgsgeschichte. Die über 50-jährige Entwicklungs-Zusammenarbeit werde hoch geschätzt. «Für die friedenspolitische und menschenrechtliche Arbeit der Schweiz, die als kleiner, unverdächtiger Akteur gilt, gibt es ebenfalls grosse Anerkennung.»
Die Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace ist ein praxisorientiertes
Friedensforschungs-Institut mit Sitz in Bern.
Das Ziel ihrer Tätigkeit ist der nachhaltige Abbau organisierter Gewalt im gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenleben.
Swisspeace wurde 1988 als «Schweizerische Friedensstiftung» mit der Absicht gegründet, die unabhängige Friedensforschung in der Schweiz zu fördern.
Die Friedensstiftung hat sich in den vergangenen Jahren zu einer international renommierten und anerkannten Einrichtung in der Friedens- und Konfliktforschung entwickelt.
Swisspeace beschäftigt heute rund 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Zu den wichtigsten Auftraggebern gehören das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und der Schweizerische Nationalfonds (SNF).
Nepal ist ein Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungs-Zusammenarbeit.
Die Schweiz leistet dort einen Beitrag zur Förderung des Friedensprozesses, der Beachtung der Menschenrechte und zur Verbesserung der Lebensbedingungen von benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
Die Präsenz der Schweiz in Nepal geht bis in die 1950er-Jahre zurück.
Während sich die Schweizer Hilfe zu Beginn fast ausschliesslich auf land- und forstwirtschaftliche Projekte in den Hügelzonen konzentriert hatte, gewannen in den 1990er-Jahren Projekte im Brücken- und Strassenbau, in der nachhaltigen Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen sowie in der Berufsbildung und Kleingewerbeförderung an Bedeutung.
Mit der Verschärfung des Konflikts zwischen den maoistischen Rebellen und dem monarchischen Staat rückten seit 1998 zunehmend die Arbeit zur Friedensförderung und Stärkung der Gouvernanz ins Zentrum des Schweizer Engagements in Nepal.
Die mit der Politischen Direktion gemeinsam erarbeitete Schweizer Kooperations-Strategie für Nepal 2009 – 2012 gibt den gegenwärtigen strategischen Rahmen für das Engagement der Deza in Nepal.
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