Faktencheck Geldspiele: «geschlossene Schweiz», «offenes Dänemark»?
Bei Online-Geldspielen ist Dänemark ein offener Markt. Die Schweiz sollte diesem Beispiel folgen, fordern die Gegner eines neuen Schweizer Geldspielgesetzes. Die Befürworter aber behaupten, das dänische Modell und der vorgeschlagene Schweizer Ansatz seien in Tat und Wahrheit etwa gleich restriktiv.
Vor der Abstimmung vom 10. Juni 2018 überprüfte swissinfo.ch die Richtigkeit der Aussagen beider Seiten über Dänemark. Auch wenn wir keine offensichtlichen Lügen gefunden haben, sind einige Kommentare sicherlich irreführend.
Die Behauptungen
Laut dem GesetzesvorschlagExterner Link sollen Websites von Casinos mit Sitz im Ausland in der Schweiz blockiert werden. In Dänemark hingegen können seit 2012 alle Casinos – ob im In- oder Ausland agierend – Lizenzen erhalten, sofern sie die strengen Vorschriften einhalten. Dabei würden sowohl die Casinos wie auch die Gesellschaft gewinnen, sagen die Gegner der Vorlage auf ihrer Kampagnen-WebsiteExterner Link:
«Die Erfahrung in anderen europäischen Ländern wie Dänemark und Grossbritannien zeigt: Wer das internationale Online-Casino-Angebot reguliert, anstatt es auszuschliessen, kann den Schwarzmarkt effektiv eindämmen (weniger als 5%) und profitiert von zusätzlichen Einnahmen an den Staat.»
Laut einer Untersuchung von 2016Externer Link durch die Unternehmensberatung Deloitte gilt «das [dänische] Modell als erfolgreich, mit einer grossen Anzahl von Lizenznehmern und einer tief geschätzten Anzahl illegaler Glücksspiele. (…) Eine hohe Zahl Lizenznehmer trägt zu einem wettbewerbsorientierten Glücksspielmarkt bei, der für Glücksspieler wenig Anreiz bietet, illegale Seiten zu nutzen».
Die dänische Glücksspiel-Behörde konnte gegenüber swissinfo.ch nicht bestätigen, ob der Schwarzmarktanteil weniger als 5% beträgt. In ihrem Jahresbericht 2017Externer Link schrieb sie: «Die Zahl der mutmasslichen Verstösse, die eine weitere Untersuchung nötig machten, ist zwischen 2016 und 2017 gesunken, was darauf hindeutet, dass der illegale Markt in Dänemark immer noch sehr klein ist.»
Daten der Glücksspiel-Behörde zeigen, dass Online-Casinos 2017Externer Link einen Bruttogewinn von 1,8 Milliarden dänischen Kronen (283 Millionen Franken) erwirtschafteten, während es 2012Externer Link, als das neue Geldspielgesetz in Kraft gesetzt wurde, lediglich 870 Millionen Kronen waren.
In Dänemark werden Gewinne aus Online-Geldspielen mit 20% besteuert. Das schweizerische Bundesamt für Justiz (BJ) schreibt auf seiner Website unter «Fragen und Antworten zum Geldspielgesetz»Externer Link: «Heute fliessen schätzungsweise über 250 Millionen pro Jahr in die Kassen ausländischer Internet-Casinos ab, die ihren Sitz in Offshore-Standorten wie Malta oder Gibraltar haben.» Es stützt sich dabei auf eine Untersuchung der Universität Bern von 2015Externer Link.
Doch das BJ betont auch, dass in Dänemark nicht alles erlaubt ist.
«Auch in Dänemark bekommt nicht jeder ausländische Anbieter eine Bewilligung. Deshalb gibt es übrigens auch in Dänemark Netzsperren.»
Das antwortete Justizministerin Simonetta Sommaruga am 28. April auf eine Leserfrage des Gratisblatts 20 MinutenExterner Link. Ein Leser hatte gefragt, ob nicht viel mehr Einnahmen für Kultur und Sozialversicherungen (einige der Nutzniesser von Steuergeldern der Casinos) anfallen würden, wenn ausländische Anbieter nicht vom Markt ausgeschlossen würden.
Dänemark erteilt seit 2012 LizenzenExterner Link an Online-Casinos – unabhängig davon, wo sie ihren Sitz haben, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Das Land hat auch Massnahmen ergriffen, um nicht lizenzierte Websites zu blockieren.
In ihrer Antwort erläuterte Sommaruga die Bestimmungen des vorgeschlagenen Gesetzes, beantwortete aber die Frage nicht. Hätte sie dies getan, hätte sie zugeben müssen, dass der Leser zu Recht darauf hingewiesen hatte, dass die ausländischen Online-Casinos mutmasslich zusätzliche Einnahmen generieren würden, wie in Dänemark.
Mit dem Thema der Sperre von Websites legen die Gegner der Vorlage den Finger auf einen wunden Punkt. Sie sind gegen die ihrer Meinung nach staatliche Zensur des Internets. Zudem seien Netzsperren sinnlos, sagen sie auf der Kampagnen-Website für ein NeinExterner Link:
«Netzsperren lassen sich mit wenigen Klicks umgehen und sind somit praktisch wirkungslos, wenn es darum geht, ausländische Angebote für die Schweiz zu blockieren.»
Einer der Nachteile des dänischen Modells ist laut Deloitte, dass «die Netz- und die Zahlungssperre für Nutzer leicht zu überwinden sind». Das Bundesamt für Justiz gibt dies zuExterner Link, ergänzt aber, dass Sperren trotzdem nicht wirkungslos seien. «Spielerinnen und Spieler können die Zugangssperre zwar umgehen. (…) Trotzdem hält sich die grosse Mehrheit an sie. (…) Die Stopp-Seite, die das Geldspielgesetz vorsieht, funktioniert wie eine Abschrankung bei einer Baustelle: Man kann sie ignorieren, aber jeder weiss: Das kann gefährlich sein.»
Die Gegner argumentieren, sie würden nicht ein Rechtsvakuum fordern. Anaïs Grandjean, Co-Präsidentin der Jungen Grünen Liberalen, anerkannte in einer TV-DebatteExterner Link am 9. Mai, dass Dänemark über ein System zur Zugangssperre verfügt, doch sie ergänzte:
«Aber es setzt diese fast nie ein, weil es das nicht muss.»
Die dänische Glücksspiel-Behörde sagte gegenüber swissinfo.ch, zwischen 2012 und 2017 habe sie 25 Websites blockiert, von denen 13 gesperrt blieben. «Fast nie» kann zwar offen ausgelegt werden, aber am 6. Februar 2018 wurden weitere 24 unberechtigte Websites gesperrtExterner Link. Und das war mehr als drei Monate vor dieser Fernsehsendung.
Jean-Luc Moner-Banet, Direktor der Loterie Romande (Westschweizer Lotterie-Gesellschaft), antwortete Grandjean in der gleichen Fernsehdebatte:
«Letzten Endes ist das [vorgeschlagene] Schweizer System dem System in Dänemark sehr ähnlich.»
Moner-Banet erklärte während der Debatte, dass ausländische Casinos in der nächsten Bieterrunde Online-Glücksspiellizenzen beantragen könnten, wenn sie die im neuen Gesetz verlangten Voraussetzungen erfüllen würden.
Doch die Konzessionen werden erst sechs Jahre nach Inkrafttreten des GesetzesExterner Link neu ausgeschrieben. Ausländische Anbieter müssen diese über eine Tochtergesellschaft mit Sitz in der Schweiz oder über eine Beteiligung an einem Spielbankenbetreiber in der Schweiz beantragen.
In Dänemark gibt es keine solchen Bedingungen. Anbieter von ausserhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen WirtschaftsraumsExterner Link müssen allerdings einen gesetzlichen Vertreter in Dänemark haben müssen.
Das Urteil
Die Gegner des Geldspielgesetzes haben Recht, wenn sie sagen, Dänemark sei insofern offen, als es jedem Online-Casino eine Lizenz erteile, das die Kriterien erfülle. Hingegen sperrt es immer noch jene aus, die unautorisiertes Glücksspiel anbieten.
Die Regierung hat Recht, wenn sie sagt, Dänemark blockiere Websites, die unautorisierte Glücksspiele anbieten würden. Doch das dänische und das schweizerische Gesetz sind nicht gleich – und deshalb ist die Schweiz nicht so liberal, wie einige Befürworter behaupten.
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Faktencheck von swissinfo.ch: So gehen wir vor
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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