Was die Rückkehr der USA in den Menschenrechtsrat bedeutet
Nach vier Jahren Abwesenheit sind die Vereinigten Staaten wieder Mitglied im UN-Menschenrechtsrat. Sie sagen, sie wollen autoritären Regimen entgegentreten und Menschenrechts-Verletzer zur Rechenschaft ziehen. Werden sie dies unparteiisch tun?
Die Vereinigten Staaten kehren diesen Monat als Mitglied in den UN-Menschenrechtsrat (HRC) zurück. Die USA hatten das in Genf ansässige zwischenstaatliche Forum im Jahr 2018 unter der Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump verlassen.
US-Beamte hatten damals die «chronische Voreingenommenheit des Menschenrechtsrats gegenüber Israel» und die fragwürdige Menschenrechtsbilanz einiger Mitgliedsstaaten als Gründe für den Austritt angeführt.
Jetzt sind die USA zurück. Sie waren bereits letztes Jahr wieder mit Beobachterstatus dabei und wurden für eine dreijährige Amtszeit als Mitglied des Rats ab 2022 gewählt.
«Die US-Regierung hat ein enormes diplomatisches Gewicht. Wenn sie ihr Diplomatie-Heer einsetzt, um Unterstützung für Resolutionen zu sammeln, kann das dazu beitragen, dass sie verabschiedet werden», sagt Kenneth Roth, Exekutivdirektor der NGO Human Rights Watch (HRW).
Ob dies gelingt, hängt jedoch davon ab, ob sich die Regierung von US-Präsident Joe Biden für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte einsetzt.
Phil Lynch, Direktor der NGO International Service for Human Rights (ISHR), hofft, dass die USA davon absehen werden, Probleme durch eine politische oder ideologische Brille zu betrachten.
Biden hat wiederholt erklärt, dass die Menschenrechte im Mittelpunkt der US-Aussenpolitik stehen würden. Als Beobachterin im Rat können die USA an den Beratungen teilnehmen, aber nicht abstimmen. Ihre Mitgliedschaft im Rat wird daher ein Test für ihr erklärtes Engagement sein.
Druck auf Verbündete
«Der Test wird sein, was die Regierung Biden tut, wenn ihre Freunde die Menschenrechte verletzen», sagt Roth. Seiner Meinung nach wird es besonders aufschlussreich sein, wie sich die USA in Bezug auf die Menschenrechtssituation beispielsweise in Jemen oder Ägypten verhalten werden.
Im seit 2014 andauernden Bürgerkrieg in Jemen zwischen den von Iran unterstützten Houthi-Rebellen und den von Saudi-Arabien unterstützten Regierungstruppen werden nach Ansicht von Expert:innen Menschenrechte massiv verletzt, mitunter durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Menschenrechtsrat verabschiedete 2017 eine Resolution zur Einsetzung einer Gruppe von Fachleuten, die Verstösse gegen das Völkerrecht durch alle Konfliktparteien untersuchen soll. Im Jahr 2021 stimmte der Rat jedoch gegen eine Erneuerung des Mandats der Gruppe.
Laut Roth setzte Saudi-Arabien hinter den Kulissen eine Kombination aus «Drohungen und Verlockungen» ein, um die vom Menschenrechtsrat eingerichtete Kontrolle über Jemen aufzuheben. Roth ist der Ansicht, dass dieser Schritt einen schlechten Präzedenzfall für die Glaubwürdigkeit des Rats darstellt und verheerende Auswirkungen auf die Lage vor Ort hatte, wo die Zahl der zivilen Opfer stark anstieg.
Ob die USA trotz des Widerstands von Saudi-Arabien – einem Verbündeten der USA – eine vergleichbar strenge Kontrolle über Jemen ausüben werden, wird ein Test für das Engagement der USA im Rat sein.
Vakuum… und China
In einer Ansprache anlässlich des Entscheids, wieder in den Rat einzutreten, sagte US-Aussenminister Antony Blinken, dass der Rückzug Washingtons im Jahr 2018 «nicht dazu beigetragen hat, sinnvolle Veränderungen herbeizuführen, sondern stattdessen ein Führungsvakuum geschaffen hat, das Länder mit autoritärer Agenda zu ihrem Vorteil genutzt haben.»
Lynch ist der Ansicht, dass an dieser Einschätzung etwas dran ist. «China nutzte die Abwesenheit der USA, um seine Bemühungen um eine Neuformulierung der internationalen Normen zu beschleunigen und das internationale System der Menschenrechte im Sinne der Kommunistischen Partei zu instrumentalisieren.»
Eine dieser Bemühungen war eine von China eingebrachte Resolution zur Förderung einer «für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit» im Bereich der Menschenrechte. Die Resolution wurde vom Rat im Jahr 2020 angenommen. China hatte eine erste Resolution zu diesem Thema vorgelegt, die 2018 angenommen wurde.
Menschenrechtsgruppen kritisieren diesen Schritt, der ihrer Ansicht nach die Arbeit des Rats auf Kosten der Rechenschaftspflicht auf vage definierte Begriffe wie Dialog und Zusammenarbeit ausrichtet. Ihrer Meinung nach unterstreicht das Ergebnis der Abstimmung für 2020 – 23 Ja-Stimmen, 16 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen – den gespaltenen Charakter der Initiative und die Tatsache, dass sich die Ratsmitglieder nun der Strategie Chinas stärker bewusst sind.
Im Gegensatz dazu wurde die ursprüngliche Resolution von 2018 mit 28:1 Stimmen angenommen, wobei nur die USA dagegen stimmten. 17 Länder, darunter viele europäische, enthielten sich damals der Stimme.
Doch während die EU-Länder gegen die 2020-Resolution stimmten, sprachen sich viele afrikanische Staaten dafür aus. Menschenrechtsgruppen argumentieren, dass China seine «Belt and Road»-Initiative dazu genutzt habe, sich die Stimmen der Entwicklungsländer zu sichern.
Laut Roth ist Chinas Einfluss jedoch begrenzt. Er verweist auf die Art und Weise, wie eine 2021 von China geleitete Resolution zum Kolonialismus, die sich gegen den Westen richtete, nach hinten losging: Damals wurden zwei britische Änderungsanträge zu Verfolgung und Zwangsassimilation (die auch auf einige der Taktiken Chinas gegenüber seiner eigenen Bevölkerung zutreffen könnten) knapp angenommen.
Im selben Jahr zog China eine weitere Resolution zur «Verwirklichung eines besseren Lebens für alle» zurück – weil es befürchtete, dass sie nicht angenommen werden könnte.
Lynch sagt, dass Staaten (darunter natürlich auch die USA), die dem wachsenden Einfluss Chinas entgegentreten wollen, selbst einen prinzipienfesten, objektiven und nicht selektiven Ansatz wählen sollten. «Ich denke, dass alle Bemühungen, der chinesischen Erzählung und Strategie entgegenzuwirken, die in erster Linie durch politische oder ideologische Bedenken und nicht durch Menschenrechte motiviert sind, wahrscheinlich scheitern werden.»
«Unverhältnismässige Aufmerksamkeit für Israel»
Im vergangenen Jahr forderte Blinken im Menschenrechtsrat ähnliche Reformen, wie sie die Trump-Regierung anstrebte. Dazu gehören die Abschaffung von «Agenda Item 7» – über die Menschenrechtslage in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten – und die Verbesserung der Zusammensetzung des Rates.
«Agenda Item 7» sieht vor, dass der Rat auf jeder seiner Sitzungen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt erörtert. Für keine andere Ländersituation gibt es eine eigenes Traktandum.
Roth bezweifelt, dass diese spezielle Reform der richtige Ansatz für die USA ist. «Im Moment sieht es einfach so aus, als würden sie Israel schützen. Sie sollten stattdessen die Resolutionen zu Israel, die im Rahmen anderer Tagesordnungspunkte eingebracht werden, energisch unterstützen. Wenn die USA der Ansicht sind, dass es zu viele Resolutionen zu Israel gibt, könnten sie stattdessen eine einzige, starke und konsolidierte Resolution einbringen.»
Machtpolitik
«Es ist interessant zu sehen, dass mit der Rückkehr der USA nun alle P5 auch Mitglieder des Menschenrechtsrates sind. Und das zeigt natürlich, welche Bedeutung die Grossmächte dem Rat beimessen», sagt Felix Kirchmeier, Geschäftsführer der Genfer Menschenrechtsplattform (GHRP).
Die P5 sind die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (China, Frankreich, Russland, Vereinigtes Königreich, USA). Sie verfügen über ein Vetorecht bei Resolutionen im Sicherheitsrat, das sie und ihre Verbündeten vor UN-Massnahmen wie Sanktionen und Überweisungen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) schützt.
Kein Mitglied des Menschenrechtsrats hat ein Vetorecht, aber die Resolutionen des Menschenrechtsrats sind nicht bindend und müssen von den Ländern selbst umgesetzt werden.
Auch wenn die Anwesenheit der P5-Mächte Menschenrechtsbelangen prinzipiell mehr Gewicht verleihen könnte, ist Kirchmeier der Ansicht, dass angesichts des aktuellen geopolitischen Kontextes «der Menschenrechtsrat mit ziemlicher Sicherheit wieder zu einem Ausweichort für Debatten werden wird, die im Sicherheitsrat blockiert sind.» Seiner Meinung nach können politische Ränkespiele um Sicherheitserwägungen da die Menschenrechtsdiskussionen untergraben.
Unterdessen hat die Ukraine eine Dringlichkeitsdebatte im Menschenrechtsrat über die Menschenrechtslage in ihrem Land nach dem russischen Angriff beantragt.
Lynch besteht darauf, dass politische Überlegungen beiseitegelassen werden müssen, wenn der Menschenrechtsrat sein Mandat erfüllen soll.
«Die Herausforderung besteht darin, politische Spielchen zu vermeiden, die zur Politisierung, Polarisierung und letztlich zur Delegitimierung des Menschenrechtsrates führen, und stattdessen die Menschenrechte wieder ins Zentrum zu rücken. Das ist die zentrale Herausforderung, und ich denke, dass der Erfolg der Rückkehr der USA daran gemessen werden wird.»
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