Was die UNO-Resolution zu Sri Lanka für die Schweiz bedeutet
Über 25 Jahre lang tobte ein Bürgerkrieg in Sri Lanka. Zehntausende Menschen starben, unzählige verschwanden spurlos. Nun hat die UNO eine Resolution verabschiedet, welche die Regierung zur Aufklärung der Kriegsverbrechen drängt. Doch was nützt das? Und inwiefern wird sie die Schweizer Asylpolitik beeinflussen?
Die Menschenrechtslage in Sri Lanka ist besorgniserregend. Zu diesem Schluss kommt eine neue Resolution, die am 23. März vom UNO-Menschenrechtsrat verabschiedet worden ist und vom Inselstaat verlangt, Empfehlungen umzusetzen. Die Resolution wurde von 22 Ländern unterstützt, darunter auch die Schweiz, in der eine grössere srilankische Gemeinde lebt.
Die Resolution folgt auf einen belastenden Bericht, der nicht nur die anhaltende Straflosigkeit für schwere Verbrechen während des Bürgerkriegs hervorhebt, sondern auch die sich verschlechternde Menschenrechtslage seit der Wahl von Präsident Gotabaya Rajapaksa im November 2019 kritisiert.
Langer Konflikt
Ab 1983 lieferten sich in Sri Lanka die Armee der singhalesischen Regierung und Tamilen-Rebellen einen blutigen Krieg. Die «Befreiungstiger von Tamil Eelam» (LTTE) kämpften für einen unabhängigen Staat im Norden und Osten der Insel. Auf beiden Seiten wurden schwere Verbrechen begangen, welche als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden könnten.
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Die LTTE verübte Attentate und rekrutierte Kindersoldaten, im Gegenzug liess die Regierung Zehntausende Zivilisten ermorden und bombardierte grossflächig Separatistengebiete. Rund 100’000 Menschen kamen während des Konflikts ums Leben.
Er endete 2009 mit einem militärischen Sieg der Regierungsarmee. Der derzeitige Präsident Gotabaya Rajapaksa war damals Verteidigungschef und wird weithin als jene Person angesehen, welche den kriegsentscheidenden Angriff befahl.
Seither haben mehrere Regierungen immer wieder versprochen, den Bürgerkrieg aufzuarbeiten und für Gerechtigkeit zu sorgen, und immer wieder räumte ihnen der UNO-Menschenrechtsrat mehr Zeit ein. Die vorherige Regierung um Maithripala Sirisena war Mitunterzeichner einer UNO-Resolution, die Sri Lanka eine Frist von zwei Jahren einräumte, um juristische Massnahmen einzuleiten, welche die Verbrechen aufklären sollte.
Geschehen war allerdings wenig bis nichts. Die aktuelle Regierung zog sich von der Resolution zurück und erklärte, sie werde ihren eigenen Prozess einleiten.
Kannanathan Rajgana ist Mitglied der tamilischen Diaspora in der Schweiz und leitet zudem eine NGO, die bei der UNO Lobbyarbeit zu Menschenrechtsfragen betreibt. Er sagt, Sri Lankas Regierung habe nur auf Zeit gespielt und in der Zwischenzeit Beweise für Verbrechen beseitigt.
Eindringliche Warnung
In einem eindringlichen Bericht vom Februar warnte Michelle Bachelet, die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, dass inländische Initiativen wiederholt versagt hätten, «Gerechtigkeit für Opfer zu gewährleisten und Versöhnung zu fördern». Zudem würden «Systeme, Strukturen und Politiken, die in der Vergangenheit zu schweren Verstössen geführt haben, weiterhin bestehen», ja seien sogar verstärkt worden.
Immer noch würden sich Personen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hätten, in Machtpositionen befinden, und der zivile Raum in Sri Lanka werde zunehmend militarisiert. «Tamilische und muslimische Minderheiten werden durch diskriminierende Rhetorik ausgegrenzt.»
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Bachelet beendete ihren Bericht mit einem Aufruf an den Menschenrechtsrat, «neue Wege zu erkunden, um verschiedene Arten der Rechenschaftspflicht auf internationaler Ebene voranzutreiben».
Dazu gehören auch eine mögliche Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof ICC, Gerichtsverfahren gegen Einzelpersonen in anderen UNO-Mitgliedstaaten unter dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit und «eine spezielle Kapazität, um Beweise und Informationen für zukünftige Rechenschaftsprozesse zu sammeln und zu bewahren». Der Rat hat dem UNHCR nun ein Mandat und die Mittel dazu gegeben.
«Die meisten Schweizer Tamilen nahmen den Bericht mit Genugtuung auf», sagt Aktivist Rajgana. «Verglichen mit dem vorherigen ist dieser ziemlich vernichtend.» Rajgana begrüsst vor allem, dass er speziell Tamilen und Muslime als Zielscheibe der Regierung erwähnt. Zugleich bedauert er, dass keine Fristen für Verbesserungsmassnahmen gesetzt wurden.
Rajgana denkt jedoch, dass die Resolution stärker hätte ausfallen können. «In der tamilischen Diaspora denkt man vor allem, dass es eine strafrechtliche Untersuchung geben sollte, vor allem im Hinblick auf die Ereignisse von 2009», sagt er.
Bedenken der Flüchtlingshilfe
Auch die Schweiz unterstützt die Resolution und meldete sich im UNO-Menschenrechtsrat zu Wort: Sie sei «tief besorgt über die Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen». In ihrer Erklärung hielt sie weiter fest, dass Sri Lanka in einem «Zustand der Verleugnung der Vergangenheit» verbleibe und forderte die Regierung auf, die Empfehlungen in Bachelets Bericht umzusetzen. Gleichzeitig ermutigte sie den Menschenrechtsrat, neue Schritte zugunsten der Opfer zu unternehmen.
Was bedeutet das für die Asylpolitik der Schweiz? Bachelets Bericht empfiehlt den Staaten, «die Asylmassnahmen in Bezug auf sri-lankische Staatsangehörige zu überprüfen, um all jene zu schützen, denen Repressalien drohen. Zudem müsse «jede Zurückweisung in Fällen, welche ein reales Risiko von Folter oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen darstellen, vermieden werden».
In der Schweiz leben über 50’000 Menschen sri-lankischer Herkunft. Es ist die grösste Diaspora ausserhalb der EU. Viele wurden während des Bürgerkriegs vertrieben – vor allem Tamilen. Viele besitzen inzwischen die Staatsbürgerschaft.
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Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) forderte im Februar die Schweizer Regierung auf, ihre Politik gegenüber Asylbewerbern aus Sri Lanka im Lichte von Bachelets Bericht zu überdenken. «Aus unserer Sicht muss das Staatssekretariat für Migration die aktuelle Lage genau analysieren und seine Asylpraxis entsprechend anpassen», schrieb die SFH in einer Stellungnahme. Und Rückführungen nach Sri Lanka seien aktuell auszusetzen.
Die SFH forderte auch die Aussetzung der Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Sri Lanka, «bis klar ist, dass die Voraussetzungen für eine solche Partnerschaft gegeben sind». Dieses Partnerschaftsabkommen von 2016 regelt unter anderem die Rückführung von Sri-Lankern, welche die Voraussetzungen für einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr erfüllen.
«Praxis wird nicht geändert»
Die Schweizer Asylpolitik gegenüber Sri Lanka habe sich über die Jahre verändert, sagt Adrian Schuster, Länderexperte für Sri Lanka bei der SFH. 2013 wurden Ausschaffungen vorübergehend ausgesetzt, nachdem zwei aus der Schweiz zurückgeschickte Sri-Lanker inhaftiert und gefoltert worden waren. Auch sei es vorübergehend einfacher geworden für Sri-Lanker, Asyl zu erhalten. Doch die Politik änderte sich 2016 nach der Wahl von Sirisena erneut.
Nun möchte die SFH eine Neubewertung, nachdem der Inselstaat November 2019 einen neuen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa wählte. «Wir denken, dass es höchste Zeit ist für eine Neubeurteilung der Lage und einer angepassten Politik», so Schuster.
Befragt nach der aktuellen Politik, erklärte das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass es derzeit keinen Grund gebe, von einer generellen Gefährdung in Sri Lanka auszugehen. Auch seien nicht ganze Volksgruppen gefährdet. «An der Rückführungspraxis von sri-lankischen Staatsangehörigen ohne festen Wohnsitz in der Schweiz hat sich deshalb nichts geändert.»
Das SEM prüfe weiterhin jeden Einzelfall sorgfältig und genau, hiess es weiter. «Aufgrund der Covid-19-Pandemie verzögern sich die Rückführungen, eine generelle Aussetzung ist aber derzeit nicht geplant.»
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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