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WEF ruft Weltführer zu engerer Zusammenarbeit auf

AFP

Nach einem Jahr der wirtschaftlichen und politischen Stagnation sind die globalen Führungskräfte, die zum Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) nach Davos kommen, mit der unveränderten Problemen konfrontiert.

Von gewissen Kreisen verhöhnt als wenig mehr als eine Millionärs-Cocktail-Party voll leerer Rhetorik, wird das 43. Jahrestreffen der internationalen Entscheidträger erneut über Schuldenkrisen, grassierende Arbeitslosigkeit, ökologische Zeitbomben und unverantwortliche Finanzwesen debattieren.

Sogar WEF-Gründer Klaus Schwab rauft sich wegen des Mangels an Fortschritten seit Januar letzten Jahres die Haare. Er beklagt sich über die Tendenz vieler Staaten, sich zu sehr um ihre eigenen Interessen zu kümmern, dies auf Kosten der Suche nach globalen Lösungen. «Es ist eine Tatsache, wir sind in gewisser Weise weiter blockiert und machen keine Fortschritte», sagte Schwab bei einer Medienkonferenz Mitte Januar.

«Ich hoffe, dass wir die globalen Fragen mit mehr Optimismus angehen können. Ich hoffe, dass die Teilnehmer mit einem Gefühl der grösseren Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes abreisen werden.»

Das Leitmotiv des diesjährigen WEF – «Widerstandsfähige Dynamik» – sei in sich eine irreführende Bezeichnung, meint Greenpeace Schweiz. Die Organisation vergibt in Davos alljährlich am Rande des Gipfels zusammen mit der Organisation Erklärung von Bern den Public Eye Award, den Schmähpreis für das «schlimmste Unternehmen des Jahres». 

Dieses Jahr findet das WEF vom 23. bis 27. Januar statt. Rund 2500 Vertreter aus der Welt der Politik, Wirtschaft, Finanz, Kultur und Wissenschaft und der Zivilgesellschaft werden in Davos erwartet.

Zu den erwarteten rund 50 Staatsoberhäuptern und Regierungschefs gehören der britische Premierminister David Cameron, der russische Premierminister Dmitri Medwedew, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der italienische Premierminister Mario Monti.

Das WEF wurde 1971 von Klaus Schwab gegründet, damals unter dem Namen «Europäisches Management-Symposium».

Ziel war, Führungskräfte von Unternehmen aus Europa mit ihren Kollegen aus den USA zusammenbringen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, die gegenseitigen Beziehungen zu stärken und Probleme zu lösen.

1987 gab sich das Forum seinen jetzigen Namen, als es den Horizont erweiterte, um bei der Suche nach Lösungen internationaler Konflikte als Plattform zu dienen.

Das WEF macht geltend, es habe geholfen, Konflikte oder Streitfälle zwischen Griechenland und der Türkei, Nord- und Südkorea, Ost- und Westdeutschland sowie in Südafrika unter dem Apartheid-Regime einzudämmen.

Das WEF ist eine nicht profitorientierte Organisation mit Sitz in Genf. Sie wird durch unterschiedlich hohe Beiträge ihrer Mitglieder finanziert.

Das WEF erstellt detaillierte globale und länderspezifische Berichte und betreibt für seine Mitglieder auch andere Forschung. Daneben richtet es verschiedene Jahrestreffen aus, das bedeutendste davon jeweils Anfang Jahr in Davos.

2002 war das Davoser Treffen einmalig nach New York verlegt worden – als ein Zeichen der Unterstützung für die Stadt nach den Terrorangriffen vom 9. September 2011.

Das WEF in Davos hat in den vergangenen Jahren eine Reihe grosser Namen aus der Welt der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und dem Show-Business angezogen. Darunter unter anderem: Nelson Mandela, Bill Clinton, Tony Blair, Angela Merkel, Bill Gates und Sharon Stone.

Als das Forum in den 1990er-Jahren grösser wurde und sein Status zunahm, stiess es auch zunehmend auf Kritik von Anti-Globalisierungs-Kreisen, die Elitismus und Eigeninteresse unter den Teilnehmern des WEF beanstandeten und dagegen teils heftig protestierten.

Trendwende nicht in Sicht

«Regierungen und die Geschäftswelt zeigen grosse Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderungen, aber noch immer sehr wenig positive Dynamik», sagte Michael Baumgartner, Leiter des Bereichs Unternehmens-Verantwortung bei Greenpeace Schweiz, gegenüber swissinfo.ch.

«Wenn Unternehmen schlicht aufhören würden, einige der grössten sozialen und ökologischen Probleme der Welt zu schaffen, müsste der Rest von uns nicht versuchen, diese zu lösen. Lösungen wird es nur durch den Bottom-Up-Ansatz geben, von unten nach oben, indem die Menschen ihre Stimme erheben.»

Ökonomisch und politisch scheint die Welt 2012 stagniert zu haben. Nachdem die Revolutionen des Arabischen Frühlings vor zwei Jahren die Diskussionen am WEF geprägt hatten, gibt es in Ägypten, Libyen und vor allem in Syrien weiterhin riesige Probleme.

Die globale Wirtschaft wuchs nach Angaben der Weltbank im letzten Jahr um 2,3%, doch die treibenden Kräfte, vor allem China, sahen eine Verlangsamung ihres Wachstums. Die Europäische Union steckt noch immer in ihrem Konflikt um Schulden und Entscheidungsfindung, und in den USA liegen sich die Politiker weiterhin in den Haaren, während das Land in Richtung Insolvenz driftet.

Bei den Grossbanken häuften sich weitere Finanzskandale, in der Schweiz nicht weniger als in anderen Teilen der Welt.

Und der Globale Risiko-Bericht 2013 des WEF, der Anfang Jahr publiziert wurde, unterstrich ein erhöhtes Risiko für Umweltkatastrophen, da einige Länder sich von ökologischen Verpflichtungen abwenden, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Globale Schablone?

Die Schweiz, das Gastgeberland des Davoser Gipfels, dient einigen als Beispiel dafür, wie man Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks zeigen und inmitten der massiven Umwälzungen rund um die Welt eine Insel der Stabilität darstellen kann.

Nachdem sie die Finanzkrise und den Konjunkturabschwung besser als die meisten anderen Industrieländer verkraftet hat, sollte die Schweiz in diesem Jahr Prognosen zufolge ein Wirtschaftswachstum von etwa 1,3% erreichen, während die Eurozone mit einem leichten Abschwung rechnen musss. Auch die Arbeitslosenquote sollte weiterhin klar tiefer bleiben als in den meisten vergleichbaren Ländern.

Der Wirtschafts-Guru Nassim Nicholas Taleb bezeichnete die Schweiz in seinem jüngst veröffentlichten Buch mit dem Titel Antifragile als den stabilsten Ort der Welt.

Dennoch ist auch die Schweiz konfrontiert mit vielen der Probleme, die das WEF in seinem Globalen Risiko-Bericht 2013 identifizierte.

Die fünf wahrscheinlichsten Risiken für die globale Entwicklung sind nach Ansicht der vom WEF befragten mehr als 1000 Experten aus der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft:

Erhebliche Unterschiede bei den Einkommen

Chronische Ungleichgewichte in Staatshaushalten

Steigende Treibhausgas-Emissionen

Wasser-Knappheit

Falscher Umgang mit der alternden Bevölkerung

Mehr Kühnheit gefordert

Nachdem die Einkommenskluft auch in der Schweiz in den letzten Jahren immer grösser geworden ist, wird das Schweizer Stimmvolk im März über eine Initiative abstimmen, die exzessive Löhne eindämmen will. Gemäss dem jüngst publizierten Sorgenbarometer 2012 der Credit Suisse war die Arbeitslosigkeit die grösste Angst der Schweizerinnen und Schweizer.

Die weiteren Skandale bei der UBS sowie der andauernde Streit um Steuerhinterziehung haben Ängste über die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors ausgelöst, während die Finanzbranche beunruhigt ist über die Konsequenzen der strenger werdenden Vorschriften.

«Um mit einem Risiko umzugehen, muss man Risiken eingehen. Führungskräfte müssen innovativer und kühner werden», erklärte WEF-Generaldirektor Lee Howell vor Journalisten im WEF-Hauptquartier in Cologny bei Genf.

Die Botschaft hinter diesen Worten war klar: Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, um die Probleme zu lösen, statt weiterhin nur in ihrem eigenen Interesse zu handeln.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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