Wehrpflicht – alter Zopf oder Erfolgsmodell?
Angriff auf das Erfolgsmodell Schweiz, oder Entsorgung eines alten Zopfs? – Am 22. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ab. Für das Ja-Lager wäre das ein wichtiger Schritt in Richtung Entmilitarisierung, für die Gegner das Ende der Milizarmee.
Die Initiative zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht «ist ein Angriff auf das Erfolgsmodell unserer Schweiz, ein Angriff auf unsere Armee. Die GSoA will nicht lediglich die Wehrpflicht abschaffen, sie will die Armee abschaffen», sagt Jakob Büchler, Präsident des Vereins für eine sichere Schweiz, gegenüber swissinfo.ch.
«Wenn man über die Landesgrenzen schaut, ist die Wehrpflicht sogar aus militärischer Sicht ein alter Zopf. Aus sicherheitspolitischen Gründen ist sie nicht mehr haltbar», sagt hingegen Nikolai Prawdzic, Sprecher der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA).
Ausnahme Österreich
In der Tat haben seit dem Fall der Berliner Mauer etliche europäische Länder die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft – und das durchaus auch unter bürgerlichen Regierungen und aus militärstrategischen Überlegungen. Zu den Ländern gehören die Nachbarländer Frankreich, Deutschland und Italien.
In Österreich haben sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Januar 2013 mit fast 60% der Stimmen für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht ausgesprochen.
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Entmilitarisierung als Ziel
Die 1982 gegründete GSoA hat das Ziel, die Armee abzuschaffen. Eine erste Initiative zur Abschaffung der Armee kam 1989 vors Volk. Dass damals immerhin fast 36% der Stimmenden für die Abschaffung der Armee stimmten, war für das politische Establishment ein Schock.
Auch die politischen Parteien, welche die Volksinitiative zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht unterstützen – die Grünen und die Sozialdemokraten –, haben die Abschaffung der Armee in ihren Parteiprogrammen verankert. Die Initiative sei ein erster Schritt zur Armeeabschaffung, warnen deshalb ihre Gegner, also die bürgerlichen Parteien und andere armeefreundliche Kreise.
«Für eine Friedens-Organisation ist es ein grosser Erfolg, wenn nicht mehr jedes Jahr zehntausende junger Menschen dazu gezwungen werden, das Kriegshandwerk zu erlernen. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung Entmilitarisierung der Armee», sagt Prawdzic.
Nach dem Ende des Kalten Krieges haben immer mehr Staaten in Europa die Wehrpflicht abgeschafft und stattdessen eine Freiwilligenarmee aufgebaut.
Von den 28 NATO-Staaten besitzen mittlerweile 20 eine Freiwilligenarmee oder planen, sie einzuführen.
Trotz oft gestiegener Kosten und Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten hat es bislang nur vereinzelt Forderungen nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht gegeben.
Konsequenz: Berufsarmee
Auf der Ebene der offiziellen Politik ist die Trennlinie zwischen Befürworten und Gegnern der Initiative klar und deutlich: Das links-grüne Lager will die Wehrpflicht abschaffen, das bürgerliche und das rechtskonservative Lager lehnen die Initiative dezidiert ab.
Das sei «ein Abwehrreflex gegen die Initianten, eine Stimmung, wie im Kalten Krieg», sagt GSoA-Sprecher Prawdzic. «Vor einigen Jahren gab es auch unter bürgerlichen Politikern Stimmen, die eine Berufsarmee für die bessere Lösung hielten.»
Eine Berufsarmee würde «einen Staat im Staat einführen», argumentieren die Gegner der Initiative und lassen keine Zweifel darüber offen, dass eine Berufsarmee eine der Konsequenzen aus der Abschaffung der Wehrpflicht wäre.
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Auf Truppenbesuch
«Die Armee müsste sich grundlegend anders organisieren. Die Leute müssten mit sehr vielen Anreizen für die Armee gewonnen werden. Das würde zu einer Berufsarmee führen. Diese hat klare Nachteile», sagt Jakob Büchler.
«Wir wissen, dass Länder wie Deutschland grosse Mühe haben, zu rekrutieren. Es kommen viel zu wenig Leute freiwillig in die Armee, zweitens kommen diejenigen, die man nicht brauchen kann.»
Schule fürs Leben
«Solange es die Armee schafft, den Menschen glaubwürdig aufzuzeigen, dass eine Bedrohung besteht, solange werden sich genügend Leute finden lassen, die das nicht nur mit sehr viel Geld machen werden», argumentiert Prawdzic.
«Es geht den Gegnern um die Tradition einer wehrhaften, männlichen Schweiz, die durch diese Initiative gefährdet ist. Es tue den Männern gut, Militärdienst zu leisten und das gehöre zur Tradition – das sind wahrlich keine sicherheitspolitischen Argumente.»
«Natürlich» sei die Milizarmee eine «Schule fürs Leben», sagt Büchler. «In unserer Armee ist der so genannte Bürgersoldat an der Arbeit. Er ist zugleich Soldat und Bürger. Er bringt sein Wissen aus seiner beruflichen Tätigkeit mit in die Armee», sagt er.
«Das ist eine grosse Chance und die Milizarmee hat sich seit Jahrzehnten bewährt. In unserer Armee sind gleichzeitig höchstens 5000 Männer im Einsatz; bei einer Berufsarmee wären alle im Einsatz. Ihnen würde die Beschäftigung fehlen.»
Verfügt derzeit über rund 155’000 aktive Dienstleistende und 32’000 Personen als Reservisten.
2012 wurden 23’600 Rekruten ausgebildet
Gegenwärtig sind rund 1000 Frauen Mitglieder der Armee
2650 Personen sind Berufssoldaten.
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