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Weshalb die Palästinenser in die UNO wollen

Präsident Mahmoud Abbas ruft die Palästinenser auf, seine diplomatische Offensive zu unterstützen. Reuters

Angesichts der festgefahrenen Verhandlungen mit Israel drängen die Palästinenser auf eine UNO-Mitgliedschaft. Der Schweizer Wissenschafter und ehemalige Diplomat Yves Besson analysiert den Kontext und die Chancen dieser diplomatischen Offensive.

«Wir sind an den UNO-Sicherheitsrat gelangt über eine Anfrage an den Generalsekretär der Vereinten Nationen für eine volle UNO-Mitgliedschaft und die Anerkennung Palästinas in den Grenzen von 1967», bekräftigte der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas an einer Sitzung des PLO-Zentralrats in Ramallah.

Und er fügte an: «Wir dürfen uns nicht den geringsten Fehler erlauben, Wir wollen keine Konfrontation mit den Amerikanern. Zudem ist die UNO keine Alternative zu Friedensverhandlungen mit Israel.»

Die amerikanische Botschafterin Rosemary DiCarlo hat einen Tag vor dem Treffen des UNO-Sicherheitsrats bekräftigt: «Meine Regierung hat es immer klar ausgedrückt. Der einzige Ort, an dem Fragen zum Status der Palästinenser erörtert werden sollen, inklusive jener der Territoriumsgrenzen, sind die direkten Gespräche zwischen den Parteien und nicht ein internationaler Platz wie die Vereinten Nationen.»

Verhandlungstaktiken

Die palästinensische diplomatische Offensive sollte nach dem Willen von Präsident Abbas durch Demonstrationen in den Palästinsergebieten begleitet werden. «In nächster Zeit wollen wir eine massive, organisierte und koordinierte Aktion in allen Orten. Das ist die Gelegenheit, unseren Rechten vor aller Welt ein Gesicht zu geben», sagte Abbas in Ramallah.

Dies ärgert natürlich Israel. Das Land befürchtet, dass palästinensische Massendemonstrationen zu einer Protestbewegung wie dem «Arabischen Frühling» werden könnten.

So kritisierte Israel auch die palästinensischen Bemühungen für eine UNO-Mitgliedschaft: «Einseitige Massnahmen werden der Region keinen Frieden bringen. Wie ein falsches Idol könnte die palästinensische Initiative bei den Vereinten Nationen für gewisse Kreise anziehend wirken. In Tat und Wahrheit lenkt sie die Aufmerksamkeit vom wahren Weg zum Frieden ab», sagte der israelische UNO-Botschafter Ron Prosur vor dem UNO-Sicherheitsrat.

Diesem Argument wurde am vergangenen Wochenende von Mahmoud Abbas in Istanbul widersprochen: «Wir schlagen den Weg in Richtung UNO ein, weil wir dazu gezwungen werden. Die israelische Siedlungspolitik ist einseitig.»

Der ehemalige UNRAWA-Direktor und ehemalige Schweizer Botschafter Yves Besson erklärt zur palästinensischen Strategie: «Solange es keine Offerte nach ihren Wünschen gibt, unternimmt die palästinensische Autonomiebehörde alles, um zu zeigen, dass die Blockade der Gespräche von der israelischen Seite ausgehe.»

Gemäss dem ehemalige Diplomaten sind die Palästinenser jederzeit zu Verhandlungen bereit – auf der Basis der von US-Präsident Barack Obama im letzten Mai vorgeschlagenen Parameter.

«Wir befinden uns immer noch im Fahrplan nach dem Oslo-Abkommen, den Vorschlagen vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, der von der Genfer Initiative gesponsert die durch die Schweizer Diplomatie initiiert wurde.»

Bern hat noch nicht offiziell auf das UNO-Beitrittsgesuch der Palästinenser reagiert. «Im Moment ist unklar, ob eine Resolution zur Anerkennung Palästinas vor die UNO-Generalversammlung kommen wird. Die Schweiz wird ihre Position insbesondere in Funktion des konkreten Texts eines solchen möglichen Resolutionsvorschlags festlegen», sagte ein hoher Beamter des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gegenüber swissinfo.ch.

«Zum gegebenen Zeitpunkt wird sich der Bundesrat mit der Frage befassen. Die Schweizer Diplomatie verfolgt die Versuche, die direkten Gespräche zwischen den Parteien wieder aufzunehmen, mit grosser Aufmerksamkeit», so der Beamte.

Der Einfluss des arabischen Frühlings

Um die palästinensische diplomatische Offensive zu erklären, beruft sich Yves Besson auf die höchst volatile Stimmung im Nahen Osten: Der arabische Frühling habe in der palästinensischen Meinung eine Änderung ausgelöst. Die palästinensischen Behörden und die PLO seien deshalb unter Druck geraten.

Seit Salam Fayyad Premierminister von Abbas sei, habe die Behörde auch die Unterstützung der Weltbank und der US-Administration, um mit den ersten Schritten eines eigenen Staates zu beginnen.

Ein amerikanischer Beamter habe beim Aufbau einer Polizei und eines Sicherheits-Apparates geholfen, die auch von Israel akzeptiert würden. Das sei getan worden, doch heute hätten «viele Palästinenser das Gefühl, diese Politik spiele den israelischen Besetzern in die Hände».

Im Weiteren, so Besson, hätten die palästinensischen Behörden wie auch Israel nach dem Fall von Mubarak in Ägypten eine wichtige Unterstützung gegen die Hamas verloren. Andererseits seien auch die Islamisten des Hamas geschwächt, seit ihr Mentor, das Regime in Damaskus, immer mehr in Frage gestellt werde.

Es sei deshalb nicht überraschend, wenn sich Hamas und Fatah wieder zusammengefunden hätten. Der Einfluss sowohl von Kairo als auch von Damaskus schwinde, so dass der Spielraum für die Palästinenser grösser geworden sei.

Laut Besson ist es noch zu früh, um zu sagen, ob die diplomatische Taktik der Palästinenser aufgeht: «Aber die Palästinenser wissen, dass sowohl die Zeit als auch die Bevölkerungsentwicklung für sie arbeiten, mit oder ohne eigenem Staat.»

2009: In der Folge des Gaza-Kriegs fordert die Resolution 1860 vom 8. Januar zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Israel zieht seine Armee aus Gaza zurück und lässt humanitäre Hilfe zu.

2008: Kurz vor dem Gazakrieg besagt die Resolution 1850 (16. Dezember 2008), dass der Rat an den bilateralen Verhandlungen festhält und den Friedenprozess von Annapolis unterstützt.  

1973: In der Folge des Yom-Kippur-Kriegs fordert die Resolution 338 (22. Oktober 1973) auf, das Feuer einzustellen und sich an die Resolution 242 zu hallten.

1967: In der Folge des Sechstage-Kriegs fordert die Resolution 242 vom 22. November 1967 alle Konfliktparteien dazu auf, territoriale Forderungen aufzugeben und die Souveränität anderer Länder zu respektieren. Israel wird aufgefordert, sich aus den okkupierten Gebieten zurückzuziehen.   

(Quelle: UNO-Sicherheitsrat)

(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

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