WHO will mehr Geld für den Fall von Gesundheitskrisen
Ein zentrales Thema der Weltgesundheits-Versammlung ist die Frage, welche Lehren aus dem Versagen der WHO im Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika zu ziehen sind. Um ihre Reaktion auf solche Krisen zu verbessern, rief die WHO ihre Mitgliedstaaten, darunter die Schweiz, auf, ihre Beiträge zu erhöhen.
Die Staaten haben gegenüber der Weltgesundheits-Organisation (WHO) eine paradoxe Haltung. So fordern sie heute angesichts von Krisen wie Ebola – beim Ausbruch der Krankheit in Westafrika wurden mehr als 26’000 Menschen mit dem Virus angesteckt, mehr als 11’000 Menschen starben – ein verstärktes Engagement der WHO, nachdem sie sich in den letzten Jahren stets weigerten, ihre Beiträge an das reguläre WHO-Budget zu erhöhen und es vorzogen, stattdessen freiwillige Beiträge für bestimmte Zwecke zu leisten.
Gesundheitskrisen: WHO kündigt neuen Plan an
Die 68. Weltgesundheits-Versammlung (WHA) in Genf, an der rund 3000 Delegierte aus 180 Ländern teilnehmen, dauert bis zum 26. Mai. Die Weltgesundheits-Versammlung ist das höchste Beschlussorgan der WHO.
Zur Eröffnung der Versammlung gab WHO-Generaldirektorin Margaret Chan die Schaffung eines neuen Programms bekannt, um auf Gesundheitskrisen wie den Ebola-Ausbruch «rasch, flexibel und wirksam» reagieren zu können.
Margaret Chan schlug vor, für dieses Programm einen Krisenreaktions-Fonds in Höhe von 100 Millionen Dollar einzurichten. Sie hofft, dass der Fonds bis Ende dieses Jahres eingerichtet werden kann.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verwies darauf, wie dringend der internationale Handlungsbedarf in Krisensituationen sei und betonte die Notwendigkeit von Reformen bei der WHO. Sie kritisierte, dass es neben dem Hauptsitz der WHO 150 weitere WHO-Büros sowie 6 regionale WHO-Büros gebe.
Auch der Schweizer Gesundheitsminister, Bundesrat Alain Berset, rief die globalen Herausforderungen im Bereich Gesundheit in Erinnerung: «Die Ebola-Epidemie in Westafrika hat uns stark betroffen. Epidemien, bewaffnete Konflikte, Wirtschaftskrisen, Klimawandel, neue Herausforderungen. Es gibt derart viele Situationen, die unsere Gesundheitssysteme extrem belasten und deren Widerstandsfähigkeit auf die Probe stellen.»
«Die WHO», sagte der Gesundheitsminister weiter, «muss ihre Rolle im Fall von Epidemien, Gesundheitskrisen – und allgemeiner betrachtet – bei der globalen Gesundheitssicherheit umfassend wahrnehmen können.»
swissinfo.ch und sda
Patrick Durisch von der Erklärung von BernExterner Link, einer Schweizer Nichtregierungs-Organisation (NGO), die sich mit der Analyse von Entwicklungspolitik befasst, sagt zu diesem Widerspruch: «Nach der Finanzkrise, welche die WHO 2010 durchlief, wurde ein Reformprojekt lanciert. Nach Ansicht der Industriestaaten ging es nicht darum, die WHO-Satzungen zu ändern, sondern darum, das Mandat der WHO auf das zu beschränken, was sie am besten tut, das heisst, Normen zu erlassen, nicht aber selber vor Ort aktiv zu werden. Diese Aufgabe sollte anderen, wirksameren Akteuren überlassen werden, wie NGOs oder privaten Stiftungen. Im Widerspruch dazu erwarten sie heute von der WHO, dass diese auf dringende Gesundheitskrisen wie Ebola reagiert. Man will also eine starke WHO, ohne dieser aber die notwendigen Mittel zu geben. Und indem man es den Staaten überlässt, die Gesamtheit der nationalen Prioritäten festzulegen.»
Laut Botschafterin Tania Dussey-Cavassini, Vizedirektorin des Bundesamts für GesundheitExterner Link (BAG) und Mitglied der Schweizer Delegation bei der Weltgesundheits-Versammlung (WHA), ist es wahrscheinlich, dass die in Genf versammelten Staaten sich darauf einigen werden, die Ausgabengrenze für die WHO zu erhöhen. «Diese Erhöhung wäre die erste seit einigen Jahren. Die Staaten sind gewillt, zu erklären, dass die WHO wichtig ist und fähig sein sollte, eine Krise wie die Ebola-Epidemie zu bewältigen.»
WHO-Generaldirektorin Margaret Chan schlägt für 2016 und 2017 ein um 10% erhöhtes Budget vor, das heisst, insgesamt 4,4 Mrd. Dollar (4,1 Mrd. Franken). Von diesem Betrag sollen fast 236 Millionen in die Verstärkung der Kapazitäten für Vorsorge, Überwachung und Reaktion dieser UNO-Agentur im Fall von Notfällen und Epidemien fliessen.
Reformen
Allerdings müssen die Staaten sich erst einig werden über eine Reform der Institution. Diese Frage steht denn auch auf der AgendaExterner Link der WHA, die bis gegen Ende Mai in Genf tagt.
Eine Woche vor Beginn der Konferenz wurde ein vorläufiger Bericht veröffentlicht, in dem eine von der WHO beauftragte Expertengruppe die wichtigsten Probleme aufzeigte und eine erste Reihe von Empfehlungen machte, die bis zur Veröffentlichung des Schlussberichts noch verfeinert werden sollen.
Hauptkritikpunkt: Die langsame Reaktionszeit der WHO. «Die Epidemie des Ebola-Virus, die Ende 2013 in Westafrika begann, ist der grösste und komplexeste je gesehene Ausbruch dieser Krankheit (…). Die Expertengruppe konnte noch nicht feststellen, wieso die etwa zwischen Mai und Juli lancierten Warnungen keine wirksamen und geeigneten Massnahmen auslösten (…). Es ist allgemein anerkannt, dass die WHO im Bereich der dringlichen Notmassnahmen weder über die notwendigen Mittel noch eine entsprechend solide Kultur verfügt. Dazu kommt, dass die WHO in dieser speziellen Notsituation bis August 2014 zugewartet hatte, bevor sie sich um die Unterstützung anderer UNO-Organisationen und humanitärer Akteure bemühte.»
Das Gewicht der Verstädterung
Für Botschafterin Tania Dussey-Cavassini lässt sich dieses Versagen der WHO in erster Linie durch die jüngste Zunahme gesundheitlicher Krisen erklären. «In den vergangenen 15 Jahren haben internationale Gesundheitsprobleme (wie SARS oder Vogelgrippe) ein immer grösseres Ausmass angenommen.» Dies gekoppelt mit der zunehmenden Verstädterung des Planeten und mit Gesundheitssystemen, die von grossen Entwicklungsagenturen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) lange vernachlässigt wurden.
«Man konnte die Epidemie nicht eindämmen, weil sie im Vergleich zu früheren Epidemien neue Eigenschaften zeigte. Insbesondere, weil sie in städtischen Gebieten auftrat. Vor 40 Jahren hatte das Ebola-Virus in ländlichen, abgelegenen Gemeinschaften zugeschlagen», erklärte Tanja Dussey-Cavassini. Und fügte hinzu: «Gesundheitsprobleme können nicht mehr nur unter dem Blickwinkel der Gesundheit betrachtet werden. Man muss andere Sektoren mit einbeziehen, die einen Einfluss auf die Gesundheit haben, wie etwa den Zugang zu Trinkwasser. Und dies ist der wunde Punkt: Die ganze Staatengemeinschaft muss sich darüber bewusst werden, dass man in allen Bereichen, die einen Einfluss auf die Gesundheit haben, handeln muss, und dass man sich nicht nur mit dem Zugang zur Gesundheitsversorgung und deren Qualität befassen kann.»
Die Rolle des Privatsektors
Angesichts des chronischen Geldmangels der WHO spielen private Akteure zunehmend eine Rolle. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 nimmt etwa die Stiftung Bill und Melinda Gates einen immer wichtigeren Platz ein. In den vergangenen Jahren war die Stiftung des Microsoft-Gründers hinter den USA die grösste oder zweitgrösste Beitragszahlerin der WHO.
Tania Dussey-Cavassini betrachtet diese Entwicklung als positiv: «Das ist die Realität der Welt von heute. Nichtstaatliche Akteure sind zu bedeutenden Machtfaktoren geworden. NGOs oder Stiftungen haben es geschafft, dass gewisse Aspekte der internationalen Gesundheitspolitik neu ausgerichtet wurden. Mit einem sehr klaren Ziel, starkem Willen und ausserordentlichen Mitteln hat die Gates-Stiftung bemerkenswerte Resultate erzielt, etwa im Bereich von Aids/HIV in Indien. Wenn die Innovation von Leuten kommt, die anders denken, und aus dem Privatsektor kommen, warum nicht. Was zählt, ist das Resultat. Aber natürlich kann man nicht zulassen, dass die Gates-Stiftung bei der WHO die massgeblichen Entscheide fällt.»
Patrick Durisch weist mit Nachdruck auf diesen Punkt hin: «Dass eine Person, die nicht gewählt ist, einen grossen Geldbetrag auf den Tisch legen kann, wird unweigerlich einen Einfluss haben auf die Entscheide der Organisation. Die Frage ist, welche Kriterien für die Zuteilung der Ressourcen gelten. Diese Rolle muss bei der WHO liegen, nicht bei Bill Gates.»
Auch dieses Thema wird während der Weltgesundheits-Versammlung zur Sprache kommen. Ziel ist es, Richtlinien für alle nichtstaatlichen Akteure zu verabschieden, die mit der WHO zusammenarbeiten, seien es NGOs oder Vertreter des Privatsektors.
«Wenn es gelingen würde, die Beziehungen zwischen der WHO und den verschiedenen Akteuren gut zu definieren, wäre das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber davon ist man noch weit entfernt», bedauert Patrick Durisch.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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