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Wie die Luftwaffe um grössere Flügel kämpft

Sechs legendäre Flieger der Luftwaffe: F/A-18, F-5 Tiger, Mirage III, Hunter, Vampire und Venom. Keystone

Die Kontroverse um die neuen Kampfflieger wird noch eine Weile dauern. Ein Blick in die Schweizer Militärannalen zeigt, dass bei fast allen Flugzeugbeschaffungen die Meinungen nicht nur geteilt, sondern auch heiss umstritten waren.

Das Verteidigungsministerium VBS ist unter heftigen Beschuss geraten. Denn in dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Rüstungsprogramm für 2012 figurieren 3,1 Milliarden Franken für die Beschaffung von 22 schwedischen Gripen-Kampfjets, worüber das Parlament nächstes Jahr entscheiden wird.

Nicht nur Armeegegner und Links-Parteien haben – wie nicht anders zu erwarten – Verteidigungsminister Ueli Maurer schwere Zeiten beschert. Auch ein parlamentarisches Komitee, verschiedene Lobby-Gruppen, Militärpiloten, gewisse Medien und sogar Präsidenten von Mitteparteien haben entweder die Evaluationsprozeduren oder die Wahl von Gripen gegenüber zwei anderen Kampffliegern kritisiert. Es gab Fragen rund um die Art des Geschäfts mit der schwedischen Saab oder um die offizielle Informationspolitik.  

Über alle heissen Debatten bezüglich Gripen hinweg darf nicht vergessen gehen, dass die helvetische Geschichte der Armee-Flugzeugbeschaffung gespickt ist von Rückschlägen und Skandalen. Und das von allem Anfang an, das heisst vor 100 Jahren.  

Kontroversen bezüglich Flugzeugbeschaffungen seien auch keineswegs etwas speziell Schweizerisches, sagt Roman Schürmann, Autor eines Buches über die Geschichte der schweizerischen Militär-Luftfahrt.

«Beinahe bei allen Flugzeug-Beschaffungen ging es dramatisch zu und her», sagt Schürmann, der für die linke Wochenzeitung schreibt. Dabei sei es zu epischen Diskussionen auf politischer Ebene, in den Medien und der Bevölkerung gekommen.

Grosse Summen im Spiel

Der wichtigste Grund für das grosse Interesse an diesem Thema liegt in der grossen Summe, um die es geht. Aber nicht nur finanziell, auch emotional gehen die Wogen jeweils hoch. Die Bevölkerung ist fasziniert von den technischen Möglichkeiten der Militärflugzeuge.

Schliesslich nennt Schürmann auch wirtschaftliche und finanzielle Faktoren sowie den politischen Kontext, die alle immer Schlüsselrollen eingenommen haben.   

Während der Recherche und dem Schreiben seines Buches stellte er erstaunt fest, wie stark das Thema Geld in die Entscheide der Politiker einfloss, und das nicht nur bei den Linksparteien. «Der finanzielle Aspekt stand immer zuvorderst – auch die jetzt geplante Beschaffung des Gripen stellt da keine Ausnahme dar.»

Hans-Ulrich Jost, emeritierter Historiker der Universität Lausanne und ehemaliger Militärpilot, fasst die Geschichte der Flieger-Beschaffung zusammen als «ein populär-wissenschaftliches Drama, das die Öffentlichkeit für einige Zeit in Atem hält». 

Auch hebt er das Durcheinander hervor, das jeweils zwischen der politischen und militärischen Führung geherrscht hat, besonders in den 60er-Jahren. «Man ist vor allem von der Naivität, der fachlichen Unkenntnis und der konzeptuellen Verwirrtheit der Protagonisten beeindruckt», sagt Jost.

Solche Meinungsunterschiede führten auch zur Aufkündigung des Kaufs von amerikanischen Corsair-Kampffliegern zehn Jahre später.

Schwieriger Start

Bereits ganz zu Beginn 1913 erwies es sich nicht als ein einfaches Unterfangen, Flugzeuge zu kaufen. So kam am Vorabend des Ersten Weltkriegs dank einer öffentlicher Kampagne zwar genügend Mittel zusammen, um zehn Flugzeuge zu kaufen. Doch das Geld wurde dann für Reisespesen und Testflüge gebraucht.  

1929 gingen die Emotionen hoch, als die Schweiz wirklich erstmals zum Kauf von Flugzeugen schritt. Einerseits beunruhigten die Kosten. Doch anderseits waren gerade die Gewerkschaft angetan von der Aussicht, dass Arbeitsplätze dadurch geschaffen wurden, dass französische Flugzeuge unter Lizenz in der Schweiz selbst montiert wurden (Weltwirtschaftskrise).  

Nicht unbestritten blieb auch die Beschaffung von Messerschmitt Kampffliegern aus Nazideutschland während des Zweiten Weltkriegs. Der Versuch in den 50er-Jahren, einen eigenen Kampfflieger zu bauen, fand bald ein abruptes Ende. Dies bedeutete dann auch das Aus des Traums einer eigenen Militärjet-Luftfahrtsindustrie, ähnlich wie im neutralen Schweden. 

Damals zog der Bundesrat seine Order für rund 100 Flugzeuge des Typs P-16 zurück, die ein Privatunternehmen in Altenrhein in der Ostschweiz hätte liefern sollen. Dem Entscheid, sehr zum Bedauern vieler Luftfahrts-Fans, ging der Absturz von zwei Prototypen in den Bodensee voraus.  

«Damit wurde offensichtlich, dass der Bau von eigenen Kampfflugzeugen für ein kleines Land zu teuer war», sagt Schürmann.

Mirage-Skandal

Der wohl grösste Schlag war die Rauferei über die Beschaffung des französischen Mirage Kampfjets in den früher 60er-Jahren. Das massive Überschreiten des Budgets führte zu einer Reduktion der bestellten Anzahl Flugzeuge und schliesslich zum Rücktritt des Verteidigungsministers. 

«Der Mirage-Skandal reichte über das Militärgeschichtliche hinaus», so Schürmann. «Das Konzept einer Armee mit Offensivpotenzial wich einer realistischeren Einschätzung.» 

Dank diesem Skandal wurde auch die Prozedur der Beschaffung überarbeitet. Schürmann glaubt, dass der Evaluationsprozess seither professioneller und transparenter geworden ist.  

Jost stimmt dem zu, was den technischen Teil der Evaluation betrifft. Er weist aber auf die Einmischung von Politik und Wirtschaft hin, und besonders auf die Rolle der staatlichen Rüstungsindustrie.   

Als Ausnahme in der Geschichte der Schweizer Luftwaffe gilt die Beschaffung der 160 britischen Hawker Hunter Kampfjets. Sie wurden ohne grosses Aufsehen während der Evaluation für einen relativ günstigen Preis eingekauft.  

«Ein robuster Flieger, der für Schweizer Verhältnisse recht gut geeignet war», urteilt Jost.   

Unbeeindruckter Ueli Maurer

Im Disput um die gegenwärtige Kampfflieger-Beschaffung scheint sich der Vorsteher des Verteidigungsdepartements Ueli Maurer von den Kritiken nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. An der Medienkonferenz während des Besuchs einer Panzerdivision in Thun im vergangenen August verteidigte er den Gripen geduldig – dieser Jet erfülle alle militärischen Anforderungen:

 «Es handelt sich um eine pragmatische Schweizer Lösung, die uns erlaubt, das Geld der Steuerzahler effizient einzusetzen.» Maurer, der sich auf die Geschichte der Schweizer Luftwaffe bezieht, scheint sich mit dem Umstand zu trösten, dass praktisch noch jede Evaluationsprozedur viel Zeit in Anspruch genommen hat.

Schürmann glaubt, dass die Kontroversen in den vergangenen 18 Monaten ein Zeichen dafür sind, was noch ansteht: «Die Diskussionen flammen jedes Mal wieder auf, wenn das Thema wieder für Schlagzeilen sorgt. Und der mediale Hype wird weitergehen bis hin zur möglichen Volksabstimmung.»

Er rechnet aber nicht damit, dass die laufende Gripen-Beschaffung je die Dimension des Mirage-Skandals, des F/A 18-Kaufs in den 90er-Jahren oder der P 16-Geschichte erreichen werde. 

Die Schweizer Luftwaffe wurde 1914 gegründet. Dabei flogen einige Piloten hauptsächlich zivile Flugzeuge.

1936 wurde daraus eine eigenständige militärische Einheit.  

Zu Beginn, vor und während dem Zweiten Weltkrieg, kaufte die Schweiz Flugzeuge aus den Nachbarländern Frankreich und Deutschland. 

Die ersten Kampfjets, Vampires und Venoms, beschaffte man nach dem Krieg von Grossbritannien. In den 60er-Jahren folgten die Hawker Hunter.  

In den Zeiten des Kalten Kriegs versuchte sich die Schweiz mit einem eigenen Jet, dem P 16, musste die Pläne jedoch aufgeben. 

Die bestehende Flotte von F-5-Tigern und F/A-18 Hornets wurden in der Schweiz unter US-Lizenz montiert.

Die bestehende Schweizer Luftwaffe besteht aus 33 F/A18 Hornets und 54 F5 Tigern.

Die Tiger-Flotte sollte durch 22 JAS39 Gripen Jets ersetzt werden. 

Die Luftwaffe umfasst auch Pilatus Trainingflugzeuge und mehr als 40 Eurocopter, Drohnen und spezielle Transportflugzeuge.  

Der schwedische Gripen steht dabei im Wettbewerb mit dem französischen Rafale (Dassault) und dem Eurofighter des europäischen EADS Konsortiums. 

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA)  wollte ein Moratorium für die Beschaffung von Kampfjets, aber ihre Volksinitiative misslang.

Mitte-Links-Parteien liessen verlauten, dass sie einen zustimmenden Entscheid des Parlaments für die 3,1 Mrd. Franken für den Flugzeugkauf durch eine Volksabstimmung bekämpfen würden.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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