Wie Schweizer Parteien die Diaspora aus dem Kosovo umwerben
Die grosse kosovarische Diaspora in der Schweiz scheint die wichtigste multinationale Community zu sein, die in diesem Wahlkampf angesprochen wird. Werden es Schweiz-Kosovar:innen bei diesen Wahlen erstmals ins eidgenössische Parlament schaffen?
Sanija Ameti strahlt von einer meterhohen Werbetafel am Flughafen von Kosovos Hauptstadt Pristina. Die grünliberale Politikerin wünscht den Reisenden einen guten Flug – auf Albanisch. Das Plakat erinnert sie daran, den Namen der Politikerin bei den bevorstehenden Wahlen im Herbst auf die Liste zu setzen.
Ameti kandidiert nicht etwa in Kosovo, sondern für den Schweizer Nationalrat. Die 31-jährige Zürcher Gemeinderätin will nach Bern. Den Startschuss für ihre Wahlkampagne feuerte sie aber hunderte Kilometer von der Bundesstadt entfernt ab. Warum?
In der Schweiz leben etwa 250’000 Menschen mit kosovarischer Migrationsgeschichte. Sie bilden eine der grössten Ausländer:innengruppen in der Schweiz. Jedes Jahr lassen sich Hunderte von ihnen einbürgern – laut dem Bundesamt für Statistik haben allein seit 2018 fast 15’000 Kosovarinnen und Kosovaren den roten Pass erhalten.
Im Jahr 2021 lebten 33’000 Schweiz-kosovarische Doppelbürgerinnen und -bürger in der Schweiz. Mehr Einbürgerungen gibt es lediglich bei Personen aus Deutschland, Italien und Frankreich.
In den vergangenen Wahljahren war die kosovarische Community kein Thema für Wahlstrateg:innen. Das ändert sich nun. Nicht nur GLP-Politikerin Sanija Ameti, die als Kind mit ihrer Familie aus dem heutigen Bosnien-Herzegovina geflohen ist, scheint erkannt zu haben: Die Stimmen der kosovarischen Diaspora könnten wahlentscheidend sein. Auch andere Parteien wollen die Schweiz-Kosovar:innen für sich mobilisieren.
Die SP und ihre Schwesterpartei aus Kosovo
Die Sozialdemokratische Partei (SP) erhält dabei sogar offiziellen Zuspruch aus Kosovo selbst. Die kosovarische Regierungspartei Vëtëvendosje, eine Schwesterpartei der SP, versprach im Januar dieses Jahres – unter Anwesenheit des kosovarischen Premierministers Albin Kurti und Alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, sowie Partei-Co-Präsident Cédric Wermuth – die SP bei den kommenden Wahlen zu unterstützen.
Eine Unterstützung, die den kosovarischen Kandidierenden der SP durchaus nützen könnte, die Partei geniesst bei der kosovarischen Diaspora in der Schweiz grosse Beliebtheit.
Keine Schweizer Partei hat mehr Kandidat:innen mit kosovarischer Migrationsgeschichte: Da ist etwa der St. Galler Arbër Bullakaj, der sich bereits zum zweiten Mal für die Parlamentswahlen hat aufstellen lassen. Er ist ein prominenter Exponent seiner Partei, der mit Volksinitiativen für die Stärkung der Bürgerrechte der migrantischen Bevölkerung in der Schweiz kämpft.
Mit Ylfete Fanaj wurde 2023 auch die erste Schweiz-Kosovarin in ein kantonales Regierungsamt gewählt. Das gab es vorher noch nie. Fanaj, die als Kind kosovarischer Eltern im Alter von neun Jahren in die Schweiz kam und für die SP politisiert, ist seit dem 14. Mai Regierungsrätin des Kantons Luzern und nimmt für viele migrantische Politiker:innen in der Schweiz eine Vorbildrolle ein.
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Auch die Grünen wollen migrantische Stimmberechtigte an die Urne bringen. Wie sie auf Anfrage sagen, setzen sie auf spezifische Wahlaufrufe in verschiedenen Sprachen auf Social Media.
Inhaltlich, sagt die Generalsekretärin der Grünen, Rahel Estermann, will die Partei mit ihrer offenen Migrations- und Asylpolitik überzeugen, dank der «viele Menschen mit Migrationshintergrund überhaupt den Weg in die Schweiz gefunden haben, insbesondere aus dem Kosovo».
Für die Grünen in den Nationalrat einziehen will Gzim Hasanaj, der im Kanton Baselland kandidiert und der im Januar 2023 als erster Grünen-Politiker mit kosovarischer Herkunft den Sprung ins kantonale Parlament geschafft hatte.
Auch die SVP zieht mit
Keine der Schweizer Parteien erfasst offiziell den Migrationshintergrund ihrer Mitglieder. Auf Anfrage bestätigen jedoch alle sechs grossen Parteien, SP, Grüne, Grünliberale Partei (GLP) , Die Mitte, Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) und Schweizerische Volkspartei (SVP), dass sich auf ihren Listen Kandidierende mit Migrationshintergrund befinden, darunter auch solche mit kosovarischer Herkunft. Nur, wie viele das jeweils seien, könne nicht genauer ermittelt werden.
Es überrascht deshalb nicht, dass inzwischen nicht nur die Linke um Stimmen aus der kosovarischen Diaspora weibelt. Auf Sanija Ametis Sommeroffensive in Prishtinas Flughafen an die sogenannten Shacis, die Kosovar:innen in der Schweiz, antwortete die rechtskonservative SVP mit einem Gastbeitrag im Blick.
Dort schrieb der Zürcher SVP-Nationalrat Fredi Heer, dass seine Partei viel eher die Anliegen der Schweiz-Kosovar:innen vertrete, als Ametis GLP: «Viele Schweizer mit kosovo-albanischem Hintergrund werden im Oktober die SVP wählen, da sich diese für den Mittelstand und das Gewerbe einsetzt.»
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Heers medialer Konter löste wiederum bei mehreren migrantischen Politiker:innen Empörung aus: Nachdem die SVP jahrelang gegen Kosovar:innen in der Schweiz gehetzt habe, sei es zynisch, nun ausgerechnet sie als Wähler:innen für sich gewinnen zu wollen.
Noch 2011 warb die SVP mit dem Spruch «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» um Stimmen. Das Bundesgericht verurteilte den damaligen Generalsekretär der SVP sowie seine Stellvertreterin 2017 wegen Rassendiskriminierung.
«Diese Kampagne fand ich persönlich auch nicht schlau», sagt Heer gegenüber swissinfo. Er bleibt bei seinem Standpunkt: «Viele Migranten, darunter auch Kosovaren, teilen unsere Werte», sagt er. Die SVP Zürich führt dieses Jahr eine Wahlliste mit Secondos, die mit den Themen Auto und Benzinpreise für sich wirbt.
Während SP, Grüne und GLP liberalere Bürgerrechte, mehr Chancengleichheit und weniger Diskriminierung versprechen, setzen die Bürgerlichen die Anreize woanders. FDP und Mitte geben an, keinen spezifischen Wahlkampf für Kosovo-Schweizer:innen oder andere migrantische Communities in der Schweiz zu betreiben.
«Unser weltoffenes und wirtschaftsliberales Profil sowie unser Engagement für Freiheit und eine tolerante Gesellschaft ist für viele Personen attraktiv «, schreibt etwa Marco Wölfli, Kommunikationsverantwortlicher der FDP auf Anfrage.
Ähnlich klingt es bei der Mitte. «Wir setzen auf inhaltliche Themen, welche die Bevölkerung als Ganzes beschäftigen, unabhängig von der Herkunft», sagt Thomas Hofstetter, Co-Leiter Kommunikation.
Werte, die bei Mitgliedern der Community durchaus auch auf Anklang stossen. Für die FDP nach Bundesbern will unter anderem der Schweiz-Kosovare Përparim Avdili, der die Partei in Zürich seit letztem Jahr präsidiert.
Für die Mitte ins Rennen geht Majlinda Sulejmani im Kanton St. Gallen. Sulejmani ist auch die erste Muslimin, die für die Mitte, die ehemalige katholische Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), kandidiert.
Optimistische Diaspora
Hilmi Gashi ist Leiter des Bereichs Migration und Interessengruppen bei der Unia, Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Migration und Mitglied des Gemeindeparlaments von Muri-Gümligen für die Grünen und setzt sich schon seit Jahren für die Integration und Partizipation der kosovarischen Diaspora in der Schweizer Politik ein.
Er beobachtet die diesjährigen nationalen Wahlen mit grossem Interesse und stellt ebenfalls fest, dass es auch abseits der linken Parteien «bemühte Versuche» gebe, das Wähler:innenpotenzial der Schweiz-Kosovar:innen auszuschöpfen.
Die neue Welle der Partizipation der kosovarischen Community in der Schweizer Politik stimmt ihn positiv, überrascht ihn aber nicht: «Es ist nicht so, dass die kosovarische Community nicht schon vorher politisch war.»
Viele Kosovar:innen machten in den vergangenen Jahren einen Fokuswechsel: Ihr politischer Blick richtete sich mit der Unabhängigkeitserklärung des kosovarischen Staats im Jahr 2008 von der alten zur neuen Heimat, sagt Gashi.
Die Chancen der Schweiz-kosovarischen Kandidat:innen schätzt Gashi als gering ein. Der Konkurrenzkampf sei nicht zu unterschätzen: «Trotz dem Gestaltungswillen, guten Kampagnen und politischen Biografien – die Luft wird nach oben hin dünner.»
Eine ähnliche Bilanz zieht der Polit-Analyst und Buchautor Mark Balsiger: «Erfolgsgeschichten wie diejenige der neu gewählten Luzerner Regierungsrätin Ylfete Fanaj machen Hoffnung. Aber bis Wahlen wie die ihre normal sind, wird noch viel Zeit verstreichen. Die Schweizer Politik hinkt der gesellschaftlichen Realität hinterher.»
Innerhalb der kosovarischen Community gibt man sich indes optimistisch: «Alle Wege führen nach Bern» titelte das Diaspora-Magazin Albinfo für ihre April-Ausgabe.
Am 10. September veranstaltete das Medium ein Podium mit den Kandidaten Islam Alijaj (SP), Reis Luzhnica (SP) und Përparim Avdili (FDP). Das Thema der Diskussionsrunde: Die politische Teilhabe der kosovo-albanischen Community in der Schweiz.
Editiert von David Eugster
Update der Redaktion Ende Oktober 2023: Islam Alijaj ist am 22. Oktober für die SP des Kanton Zürichs in den Nationalrat eingezogen. Die kosovarische Gemeinschaft in der Schweiz ist durch ihn nun erstmals im Eidgenössischen Parlament vertreten.
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