Wie sehr setzt sich die Welt für eine stärkere WHO ein?
Die Weltgesundheitsversammlung, das oberste Entscheidungsgremium der wichtigsten globalen Gesundheitsorganisation, tagt derzeit in Genf. Sie hat eine Woche Zeit, um die Welt besser auf die nächste Pandemie vorzubereiten.
«Wenn es in diesem, im nächsten oder im übernächsten Jahr eine neue Pandemie gäbe, wären wir weitgehend an der gleichen Stelle wie im Dezember 2019.» Das sagte Helen Clark, ehemalige Ko-Vorsitzende des Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response (IPPPR), bei einem Pressegespräch Anfang Mai.
Das IPPPR wurde 2020 eingerichtet, um Lehren aus der Pandemie zu ziehen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Reformen vorzuschlagen, die es ihr ermöglichen würden, künftigen Gesundheitsbedrohungen besser zu begegnen. Die ehemaligen Ko-Vorsitzenden haben in diesem Monat einen Bericht veröffentlicht, um die erzielten Fortschritte zu bewerten.
«Was die Reformen betrifft, so wurden zwar einige kleine Schritte unternommen, aber wir halten sie nach wie vor für unzureichend», sagt Michel Kazatchkine, ein ehemaliges Mitglied des IPPPR.
Die Pandemie hat ein Schlaglicht auf die Rolle der WHO als wissenschaftliche Ratgeberin in Gesundheitsfragen geworfen. Sie machte auch die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Welt an die WHO und ihrem unterfinanzierten Budget deutlich.
Es wird erwartet, dass die Weltgesundheitsversammlung (WHA) einer Reform der Finanzierung der WHO zustimmt. Sie wird auch versuchen, einen lang erwarteten Pandemievertrag voranzubringen. Wie weit die Versammlung dabei kommen wird, hängt jedoch davon ab, inwieweit die 194 Mitgliedstaaten ihre manchmal widersprüchlichen Prioritäten in Einklang bringen können.
Mehr Geld
Eine der wichtigsten Lehren aus der Pandemie war die unzureichende Finanzierung der WHO. Derzeit decken die festgesetzten Beiträge – die Mitgliederbeiträge der WHO-Mitgliedstaaten – nur etwa 16% des Haushalts der Organisation.
Der Rest wird durch so genannte freiwillige Beiträge von Ländern, anderen internationalen Organisationen sowie privaten Akteurinnen und Akteuren finanziert. Diese Gelder sind weitgehend an bestimmte Programme gebunden.
Die freiwilligen Beiträge sind unvorhersehbar und gefährden nach Ansicht mancher die Unabhängigkeit der WHO, da sie auf eine kleine Anzahl einflussreicher Geberinnen und Geber angewiesen ist. Die Bill and Melinda Gates Foundation beispielsweise ist nach Deutschland und vor den Vereinigten Staaten die zweitgrösste Beitragszahlerin der WHO. Ihre Mittel fliessen jedoch hauptsächlich in die Ausrottung der Kinderlähmung.
«Die Welt wird erst dann sicher sein, wenn wir eine besser finanzierte WHO haben», sagt Björn Kümmel, stellvertretender Leiter der Abteilung Globale Gesundheit im deutschen Bundesministerium für Gesundheit und Vorsitzender der WHO-Arbeitsgruppe für nachhaltige Finanzierung. Vor allem, weil Investitionen zur Vermeidung von Gesundheitskrisen immer wieder vernachlässigt worden seien, sagt er.
Diese Arbeitsgruppe wurde 2021 vom Exekutivrat der WHO eingerichtet, um Lösungen für die finanziellen Probleme der Organisation zu finden. Doch bis vor kurzem konnten sich die Mitgliedsstaaten nicht auf eine Erhöhung ihrer Beiträge einigen.
Die Gruppe hat nun einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der noch von der WHA angenommen werden muss. Danach sollen die Pflichtbeiträge schrittweise erhöht werden, um bis 2030-2031 due Hälfte des WHO-Haushalts zu decken.
Fachleuten zufolge wäre eine solche Einigung historisch, aber der Zeitplan bleibt ein Problem. Finanzielle Ungewissheit wird auch in den kommenden Jahren die Norm bleiben.
«Wir sprechen über eine enorme prozentuale Erhöhung, aber wir fordern keine enorme Erhöhung in absoluten Zahlen», sagt Kümmel. Er fügt hinzu, dass sich die Erhöhung über acht Jahre auf 1,2 Milliarden Dollar belaufen soll. Die Rechnung wird auf 194 Mitgliedstaaten aufgeteilt, wobei grössere und reichere Länder wie die USA, China, Japan und Deutschland den grössten Teil der Erhöhung tragen sollen.
Eine geringe Investition im Vergleich zu dem Preis, den die Länder für die Bekämpfung der Pandemie zahlen mussten, sagt Kümmel.
Verbindliche Regeln
Ein weiterer grosser Schritt zur besseren Vorbereitung auf einen künftigen globalen Ausbruch war der Entscheid der WHA im vergangenen Jahr, Verhandlungen über einen Pandemievertrag aufzunehmen. Aber auch dies ist ein langsamer Prozess.
«Der Vertrag kommt nur im Schneckentempo voran», sagt Kazatchkine. «Die Verhandlungen schreiten nicht in demselben Tempo voran wie das Virus oder die nächste Epidemie.»
Die Ausarbeitung eines internationalen Abkommens ist ein bekanntermassen komplexer und zeitaufwändiger Prozess. Das derzeitige zwischenstaatliche Verhandlungsgremium wird erst in zwei Jahren einen Textentwurf vorlegen. Eine Einigung könnte frühestens auf der WHA im Mai 2024 erzielt werden. Und bis zum Inkrafttreten wird wahrscheinlich noch mehr Zeit vergehen.
Bis heute haben sich die Länder nur einmal auf einen rechtsverbindlichen WHO-Vertrag geeinigt. Dabei handelt es sich um das Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) aus dem Jahr 2003. Es regelt den weltweiten Verkauf und die Vermarktung von Tabakerzeugnissen.
Was genau ein Pandemievertrag beinhalten würde, ist noch nicht bekannt. Fachleute haben empfohlen, der WHO die Befugnis zu geben, Expertinnen und Experten zur Untersuchung neuer Ausbrüche entsenden zu können, ohne die Länder um Erlaubnis fragen zu müssen. Einige befürchten jedoch, dass der derzeitige Prozess nicht der richtige Ansatz ist.
«Ich glaube nicht, dass es zum jetzigen Zeitpunkt genügend Gründe für einen neuen Pandemievertrag gibt», sagt Nicoletta Dentico, Leiterin des globalen Gesundheitsprogramms bei der «Society for International Development», im Podcast von Inside Geneva.
Ihrer Meinung nach wäre eine Aktualisierung der aktuellen Internationalen Gesundheitsvorschriften – einer Reihe von rechtsverbindlichen Regeln für gesundheitliche Notfälle – ein produktiverer Ansatz.
Diese Ansicht wird von den Ländern geteilt, die Änderungen an den Vorschriften vorgeschlagen haben. Einige Expertinnen und Experten befürchten aber, dass es sich dabei um Versuche handelt, durch den Pandemievertrag der WHO mehr Macht zu geben.
Die USA haben einen Änderungsentwurf vorgelegt, den die WHA prüfen wird. Darin wird vorgeschlagen, das derzeit zweijährige Änderungsverfahren zu verkürzen. Damit sollen künftige Überarbeitungen schneller in Kraft treten können. Die Überarbeitungen selbst stehen jedoch derzeit nicht auf der Tagesordnung.
Die Zeit läuft ab
Mehr als 2,7 Milliarden Menschen auf der Welt warten noch immer auf ihre erste Impfdosis. In Ländern mit niedrigem Einkommen sind weniger als 15% der Bevölkerung vollständig geimpft. Dieses Versäumnis sei «ein kollektiver moralischer Schandfleck in unserer Geschichte», sagt Joanne Liu, ein ehemaliges Mitglied des IPPPR-Gremiums.
Einige Fachleute sind der Meinung, dass ein Pandemievertrag auch die gerechte Verteilung von Impfstoffen und anderen medizinischen Gütern berücksichtigen sollte. Aber auch das wird schwierig werden. Bei der Welthandelsorganisation (WTO) feilschen die Mitgliedstaaten seit fast zwei Jahren um eine Ausnahmeregelung für die Rechte an geistigem Eigentum für Technologien, die im Zusammenhang mit Covid-19 entwickelt wurden, konnten aber keine Einigung erzielen.
«Und das nur für eine Ausnahmeregelung für eine Krankheit. (…) Sie können sich vorstellen, dass es schwierig sein wird, eine Einigung über so schwierige Fragen wie das geistige Eigentum zu erzielen, die wir in einem umfassenderen Pandemieabkommen behandeln müssen», sagt Suerie Moon, Co-Direktorin des «Global Health Centre» am Geneva Graduate Institute.
Die Impfstoffe wurden in Rekordzeit entwickelt, waren aber nicht alle für einkommensschwache Länder geeignet. Die mRNA-Impfstoffe mussten bei sehr niedrigen Temperaturen gelagert werden. Der Covax-Mechanismus, der einen fairen und gerechten Zugang zu Impfstoffen für jedes Land gewährleisten sollte, stiess indessen an seine Grenzen. Die reicheren Länder nutzten ihn, um überschüssige Dosen zu entsorgen – das war zu wenig und zu spät.
«Wenn wir mit der Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen beginnen, müssen wir bereits an den Zugang für alle denken. Und nicht erst an jenen für die reichsten Menschen, und erst danach nach Mechanismen suchen, damit er auch den Ärmsten zugutekommt», sagt Kazatchkine.
Die WHA findet zu einer Zeit statt, in der viele Länder glauben, die Pandemie hinter sich zu haben. Der Krieg in der Ukraine hat die Welt polarisiert und die internationale Zusammenarbeit erschwert. Gesundheitsfachleute fordern die WHA-Mitgliedstaaten auf, den Kampf gegen Covid-19 nicht aufzugeben.
«Die Uhr tickt. Wenn sich die Länder mit hohem Einkommen aus dieser Pandemie zurückziehen, wird sie unsichtbar. Und wenn sie für die Länder mit hohem Einkommen unsichtbar wird, bedeutet das, dass sie nicht mehr existiert – auch wenn die Länder mit niedrigem Einkommen immer noch dagegen ankämpfen», sagt Liu.
Mitarbeit: Imogen Foulkes
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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Wahnsinn! Warum sollte jemand der WHO vertrauen, solange sie von der derzeitigen Generaldirektorin geleitet wird? Die derzeitige Generaldirektorin hat China überhaupt nicht gedrängt, den Ursprung von Covid-19 herauszufinden, und hat Chinas Erklärung akzeptiert, so dass wir nur Vermutungen über den Ursprung anstellen können. Die WHO ist aufgrund der Unterstützung des derzeitigen Generaldirektors zu freundlich zu China, als dass man ihr die Leitung eines globalen Gesundheitsprogramms anvertrauen könnte.
Wow! Why would anyone trust the WHO while under the direction of the current director general. The current director general didn’t press China at all to find the origins of Covid-19 and accepted China’s explanation which leaves us to only make guesses as to its origins. The WHO is too friendly to China because of their support of the current director general to be trusted to lead any global health program.
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