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Wie sich die syrische Opposition organisiert

Ein Soldat der Freien Syrischen Armee in den Gässchen des Dorfes Kourin. Timo Vogt/Bildrand

Der Nationale Rat Syriens ist uneins und deshalb untätig. Die Opposition im Inland organisiert sich um die Syrian Revolution General Commission (SRGC). swissinfo.ch befragte dazu das in der Schweiz lebende SRGC-Mitglied Nidal Darwish.

Nidal Darwish ist Leiter des Politbüros des SRGC. Von Genf aus steht er in ständigem Kontakt mit den Oppositionsgruppierungen, die in Syrien selbst operieren.

Für swissinfo.ch geht der Menschenrechts-Aktivist genauer auf die Möglichkeiten ein, die sich für sein leidendes Land ergeben.

swissinfo.ch: Für was steht die SRGC und welches ist ihr Bezug zu den militärischen und politischen Räten der Revolution?

Nidal Darwish: Die Kommission umfasst die gesamte Protestbewegung des syrischen Volks, friedlich oder bewaffnet. Wir unterhalten Verbindungsbüros in allen syrischen Landesteilen. Damit lassen sich einige der Gemeinden einbinden, die der staatlichen Kontrolle entglitten sind.

Das ist zum Beispiel in der Region El Kassir der Fall. Dort sind die Revolutionäre selber um die Sicherheit der Bürger besorgt, dort zahlen sie den Behörden den Lohn und kümmern sich um das Recht. Unsere Tätigkeiten laufen ausserhalb des Nationalen Rates Syriens und dem auf türkischem Boden operierenden Aussenposten der Syrischen Befreiungsarmee.

Seit mehr als zwei Monaten beschäftigen wir uns mit der Frage des bewaffneten Widerstands. Wichtig für uns ist die gute Koordination dieses Widerstands im Feld. Nur sie zählt, und nicht jene, die aus der Türkei oder einem anderen Land heraus organisiert wird.

Ebenfalls viel liegt uns an einer guten Absprache zwischen den militärischen und zivilen Revolutionsräten, und zwar in Übereinstimmung mit dem im Land selber operierenden Teil der Syrischen Befreiungsarmee.

swissinfo.ch: Bisher galt der Nationale Rat als einziger legitimer Teil der Revolutionsbewegung. Heute ist er aufgesplittert. Hat dies einen Einfluss auf die Legitimität der Revolution?

N.D.: Struktur und Funktionsweise des Nationalen Rates haben zu einer, wie ich es nenne, politischen und diplomatischen Trägheit geführt. Grund ist das fragile Tragwerk des Rats und seiner Ideologien.

Im Land selber erwartet man kaum noch etwas vom Rat. Im Ausland hat er Mühe, sich auf dem diplomatischen Parkett zu bewegen. Seit der Versammlung der Freunde Syriens in Istanbul ist seine politische Glaubwürdigkeit im Ausland angeschlagen.

Statt die wichtigste Körperschaft der Revolution zu sein, ist der Rat nun nur ein Teil davon. Burhan Ghalion, der zurückgetretene Präsident dieses alten Rates, hat vorgeschlagen, unter anderen Prämissen einen neuen Rat zu gründen. Wir von der Kommission waren aufgefordert, uns von Beginn an diesem Rat anzuschliessen. Das haben wir damals abgelehnt, weil wir der Ansicht waren, er müsste erst überarbeitet werden.

swissinfo.ch: Man spricht von Aufspaltungen innerhalb der Syrischen Befreiungsarmee, nachdem unterschiedliche Erklärungen abgegeben wurden, je nachdem, ob deren Mitglieder in Syrien selbst oder in der Türkei weilten. Was sagen Sie dazu?

N.D.: Meiner Einschätzung nach hat die Direktion dieser Syrischen Befreiungsarmee, auf türkischem Boden Riad El Asa’ad und Mustafa El-Cheikh, keinen Einfluss auf den bewaffneten syrischen Widerstand oder auf die militärischen Räte. Soweit reichen deren Kompetenzen nicht.

swissinfo.ch: Mit anderen Worten, es sind der zivile und militärische Arm Ihrer Kommission sowie die militärischen Räte der in Syrien operierenden Befreiungsarmee, die das ganze Gewicht des Widerstandes tragen?

N.D.: Ja, bis zum Fall des Baschar-al-Assad-Regimes. Wir wollen die syrischen Institutionen nicht zerschlagen, sondern einen Staat aufbauen, der die Rechte und Freiheiten seiner Bürger respektiert.

swissinfo.ch: Führen der Misserfolg der Kofi-Annan-Mission und das russisch-chinesische Veto unvermeidlich zu einer Aufrüstung des syrischen Widerstands?

N.D.: Ja, die Aufrüstung des Widerstands ist nötig, nur schon angesichts der Massaker, die das Regime begangen hat. Auch haben die Syrer das Gefühl, von der internationalen Gemeinschaft allein gelassen worden zu sein.

Auf den Plan von Kofi Annan hat Assad mit noch mehr Verbrechen geantwortet. Die Anzahl der Festnahmen hat sich seither verdoppelt. Seit Beginn der Annan-Mission verloren 1600 Menschen ihr Leben.

Das führte innerhalb der offiziellen Armee und den obersten Behörden zu Meinungsverschiedenheiten. Das Massaker von Hula dürfte diese Dissidenz noch verstärken.

Einige der benötigten Waffen werden über die Grenzen durchgereicht, andere stammen aus den Zeughäusern der Armee.

swissinfo.ch: Dem Nationalen Rat wird diplomatisches Nichtstun vorgeworfen. Haben Sie innerhalb Ihrer Kommission Kontakte zu Ländern wie Russland oder der Schweiz?

N.D.: Die Kommission führt einen Dialog mit arabischen und europäischen Ländern und weiteren, die ein Gewicht bei den Entscheidungen haben. Da der Nationale Rat untätig bleibt, ist es normal, dass diese Länder einen Gesprächspartner suchen, der einen Dialog aufrecht zu erhalten vermag.

Mit Russland haben wir bisher keinen Kontakt gehabt, wegen der speziellen Beziehung, dass dieses Land mit Syrien pflegt. Für Russland ist es wichtiger, mit den USA, Europa und den Golfländern zu kommunizieren. Russland weiss, dass das Assad-Regime im Sterben liegt. Hält es die Beziehungen dennoch aufrecht, so hat das mit den eigenen Interessen in Syrien zu tun.

swissinfo.ch: Das syrische Regime hat häufig die Gefahr eines Religionskrieges heraufbeschworen. Wie schätzt Ihre Kommission diese Gefahr ein? Treffen Sie Massnahmen, damit es nicht soweit kommt?

N.D.: Das Regime hat mit dieser Angst gespielt in der Hoffnung, die Revolution in einen Bürgerkrieg ausarten zu lassen. Tatsächlich beobachten wir ab und zu konfessionelle Zusammenstösse.

Doch die Revolutionäre sind sich der Problematik bewusst. Sie wissen, dass wenn ein Religionskrieg losbricht, dies nur den Interessen des Regimes hilft.

swissinfo.ch: Wie sehen Sie die Zukunft?

N.D.: Was in Hula geschehen ist, markiert einen Wendepunkt. Jetzt hat der Protest ein grosses Potenzial erreicht. Die Stadt Aleppo hat sich nun der revolutionären Bewegung angeschlossen, die Terrain gewinnt. Unsere Strategie ist es, das Assad-Regime von Region zu Region zu vertreiben.

Die Syrian Revolution General Commission (SRGC) wurde 2011 gegründet und umfasst über 40 Gruppen, Koordinations-Komitees und Koalitionen, die revolutionär aktiv in Syrien sind.

Sie wird als jene Organisation angesehen, welche die Mehrheit der aktiven Revolutionskräfte im Land gegen Präsident al-Assad umfasst.

Das längerfristige Ziel der Koalition ist die Schaffung «eines demokratischen und zivilen Staates sowie von Institutionen, die Freiheit, Gleichheit, Würde und dem Respekt der Menschenrechte aller Bürger verpflichtet sind», wie es in einer Mitteilung der Kommission heisst.

(Quelle: AFP)

Vor dem Aufstand war Nidal Darwish Mitglied des Verwaltungsrats der Bewegung für die Verteidigung der demokratischen Freiheiten und Menschenrechte in Syrien.

Vor dem Aufstand war er auch Gründungsmitglied der Syrian Revolution General Commission. Innerhalb der SRGC leidet er das Politbüro.

Sein Auftrag lautet, die verschiedenen Oppositionsgruppen gegen das Assad-Regime mittels Dialog zu vereinen.

Darwish ist der einzige Syrer in der Schweiz, der im September 2011 an der Gründung des Nationalen Rates Syriens in Istanbul teilnahm.

In Syrien leben 22,5 Millionen Menschen, die Hälfte in Städten; 52% sind unter 25.

89% sind Araber; andere ethnische Gruppen sind Kurden, Armenier, Assyrer, Tscherkessen und Turkmenen.

Daneben leben einige hunderttausend palästinensische und irakische Flüchtlinge im Land.

72% sind Moslems sunnitischen Glaubens. Daneben gibt es Schiiten und einige muslimische Sekten wie Alawiten (zu denen die Assad-Familie gehört) und Ismaeliten. Rund 10% sind Christen (Ostkirche und Katholiken, wenige Protestanten).

(Übertragen aus dem Arabischen von swissinfo.ch)

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