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Wieso nicht alle Schweizer werden wollen

swissinfo.ch

Einbürgerung ist in der Schweiz ein heisses Eisen: Angesichts der steigenden Einwanderungszahlen soll die Einbürgerungspraxis verschärft werden. Aber nicht alle Ausländer, die berechtigt wären, wollen sich auf dieses lange Verfahren einlassen.

Die Studie Einbürgerungslandschaft Schweiz, die 2012 von der Eidgenössischen Kommission für Migration (EKM) in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass 2010 rund 900’000 Personen in der Schweiz ihre Einbürgerung hätten beantragen können. Pro Jahr erhalten aber nur 36’000, das sind zwei Prozent der in der Schweiz lebenden Ausländer, die Schweizer Staatsbürgerschaft.

«Im Vergleich zu anderen Ländern hat die Schweiz sehr strenge Einbürgerungsvorschriften, welche ein Grund sein könnten für die relativ hohe Zahl von Personen mit Ausländerstatus», sagt Halua Pinto de Magalhães, Ko-Präsidentin der Migranten-Organisation Second@s Plus gegenüber swissinfo.ch.

Allerdings gibt es dafür noch andere Gründe, zum Beispiel für die Britin Mary Ann Reynolds, die zusammen mit ihrem kanadischen Mann in Appenzell wohnt: «Ich lebe seit 12 Jahren hier, mein Mann seit bald 20 Jahren. Keiner von uns will Schweizer werden. Es gibt keine Veranlassung dafür, wenn man Staatsbürger eines respektieren Landes ist.» 

Bibiana* [Name der Red. bekannt], aus Slowenien, Mitglied der EU, hat nie darüber nachgedacht, Schweizerin zu werden. «Ich hatte das nie nötig.» Sie lebt seit 14 Jahren in Bern. Ihr Partner, der aus Südamerika stammt, hat einen Diplomatenpass. Das Paar will nach Südamerika zurückkehren, bevor das älteste Kind mit der Schule beginnt.

Und Per Jessen, ein Däne, wohnhaft im Kanton Zürich, ist hin- und hergerissen. Er würde zwar gerne Schweizer werden, müsste dann aber seine dänische Staatsbürgerschaft abgeben. «Es geht um eine gefühlsmässige Zugehörigkeit», und nicht darum, dass der EU-Passwort wertvoller sei, meint er.

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Das war einmal…

Hat der rote Pass in den letzten 50 Jahren also an Wert verloren? «Wahrscheinlich schon», schätzt Walter Leimgruber, Leiter des Instituts für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Basel.

«Ein Pass der neutralen Schweiz war ein gutes Reisedokument in der Nachkriegszeit und während des Kalten Krieges», sagte er gegenüber swissinfo.ch. «Er konnte Türen öffnen, die zum Beispiel für Bürger aus Mitgliedstaaten der NATO oder des Warschauer Paktes geschlossen blieben.» Diese Vorteile existierten heute nicht mehr oder seien nicht mehr gross, so Leimgruber.

Das Verfahren ist kompliziert, umso mehr, als die Gesuche sowohl auf nationaler, kantonaler wie kommunaler Ebene behandelt werden. Wer seit 12 Jahren in der Schweiz wohnhaft ist, kann auf nationaler Ebene ein Gesuch einreichen. Je nach Gemeinde ist es aber unterschiedlich, wie lange man dort gelebt haben muss.

Wer einen Schweizer oder eine Schweizerin geheiratet hat, kann nach fünf Jahren um Einbürgerung ersuchen. Das Paar muss aber drei Jahre zusammengelebt haben.

Wenn ein ausländisches Paar sich zusammen einbürgern lassen will, muss nur eine Person 12 Jahre in der Schweiz gelebt haben, die andere lediglich fünf.

Bei jungen Ausländern, die in der Schweiz geboren wurden, werden die Aufenthaltsjahre zwischen dem Alter von 10-20 zur Zeit doppelt gezählt.

Gesuchsteller müssen auch mit dem Leben in der Schweiz sowie den Sitten und Traditionen vertraut sein sowie die Schweizer Gesetzgebung respektieren und sie dürfen für die innere oder äussere Sicherheit des Landes keine Gefahr darstellen.

Die Schraube anziehen

In der Schweiz ist eine Verschärfung des Einbürgerungsverfahrens geplant. Im März hatte der Nationalrat über die Revision des Bürgerrechtsgesetzes diskutiert, das seit 1952 in Kraft ist und seither mehrmals revidiert wurde. Sollten die vom Nationalrat beschlossenen Änderungen (s. Infobox) auch vom Ständerat angenommen werden, wird eine Einbürgerung noch schwieriger.

Die Meinungen über das künftige Einbürgerungsgesetz gehen zwischen den politischen Parteien stark auseinander, insbesondere zwischen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Sozialdemokratischen Partei (SP).

Laut der SVP hat «die Schweiz ein ernsthaftes Einwanderungs-Problem….Fast die Hälfte aller in der Schweiz verübten Verbrechen werden von Ausländern begangen.»

Die Sozialdemokratin Silvia Schenker konterte jedoch während der Parlamentsdebatte, dass es durchaus Ausländer gebe, welche das Schweizer Bürgerrecht verdienten. «Wir sprechen hier nicht über kriminelle Ausländer, Asylsuchende oder Migranten. Es geht um Leute, die seit Jahren hier leben, arbeiten und Steuern bezahlen.»

Ebenfalls im März hatte Justizministerin Simonette Sommaruga einen Integrationsplan vorgelegt. Wer eine Niederlassungsbewilligung erhalten oder seine Aufenthaltsbewilligung verlängern will, muss eine Landessprache beherrschen, um seinen Alltag meistern zu können. Zudem müssen die Einwanderer und ihre Familienmitglieder die in der Schweizer Verfassung verankerten Werte respektieren, wie etwa die Gleichberechtigung für Mann und Frau. Sie müssen auch arbeiten oder in Ausbildung sein und dürfen nicht vorbestraft sein.

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Abschreckend und entmutigend

Um Schweizer zu werden will, braucht es viel Zeit und Energie. Nur wer seit mindestens 12 Jahren in der Schweiz lebt, kann ein Einbürgerungsgesuch beantragen. Danach kann das Verfahren noch bis zu drei Jahren dauern, während denen der Gesuchsteller nicht in eine andere Gemeinde umziehen darf.

Viele ausländische Staatsangehörige geben sich mit den Vorteilen zufrieden, die sie mit einer Niederlassungsbewilligung haben, wie etwa die Reynolds aus Appenzell, Inhaber zweier Unternehmen: «Wir werden respektiert und fühlen uns willkommen», sagt Mary Ann. «Ein Schweizer Pass würde keinen grossen Unterschied machen» – ausser dass ohne das Stimm- noch Wahlrecht entfällt.

EU-Bürger wie Per Jessen würden oft zweimal darüber nachdenken, ob sie ihren Pass gegen einen Schweizer Pass tauschen wollten, sagt Leimgruber von der Uni Basel.

«Im Moment ist es nicht sehr wichtig, ob man einen Schweizer oder einen EU-Pass hat, weil man mit beiden problemlos in all diese Länder reisen kann. Man weiss aber nicht, ob die bilateralen Abkommen für immer bestehen werden.»

Für junge Männer stellt sich auch die Frage des obligatorischen Militärdienstes. swissinfo.ch sprach mit verschiedenen Eltern minderjähriger Söhne. Sie vertraten die Meinung, ihre Söhne sollten selber entscheiden, ob sie sich einbürgern lassen wollten, um dann auch Militärdienst zu leisten.

Hinzu kommt, dass Ausländer, die in Gemeinden leben, wo das Stimmvolk bei Einbürgerungen mitreden kann, sich davor fürchten, ihr Gesuch könnte abgelehnt werden.

«Wenn man in einer Stadt lebt, ist das kein Problem – es handelt sich um ein administratives Verfahren», sagt Magalhães of Second@s Plus. Wer aber in einem kleinen Dorf lebt, für den kann es sehr unbequem werden, wenn die Leute, die er kennt, über seine Einbürgerung befinden.»

Folgende Vorschläge wurden im März vom Nationalrat beschlossen:

Keine Einbürgerung ohne Niederlassungsbewilligung

Mindestaufenthaltsdauer für Einbürgerung neu bei zehn Jahren

Aufenthaltsjahre zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr werden für Mindestaufenthaltsdauer nicht mehr doppelt gezählt.

Bei gemeinsamem Gesuch um Einbürgerung müssen beide Ehepartner 12 Jahre in der Schweiz gelebt haben.

Junge Leute

Sich zu integrieren ist für «Secondos», Ausländer zweiter Generation, die hier aufgewachsen sind, meistens kein Problem. Dennoch wollen sich nicht alle von ihnen einbürgern lassen.

«Es sind Menschen, die sich nicht einkaufen wollen», sagt de Magalhães. «Ihrer Meinung sollte jeder, der in einem Land lebt, eine Stimme haben. Aus Prinzip stellen sie deshalb kein Einbürgerungsgesuch.»

Gemäss Leimgruber sollte das Bürgerrechtsgesetz «vor allem junge Menschen ermutigen, Schweizer Bürger zu werden und zu partizipieren. Es mache wenig Sinn, wenn viele junge Menschen hier die Einstellung haben, ‹okay, wir leben zwar hier, aber niemand interessiert sich dafür, was wir auf sozialen oder politischem Gebiet tun›.»

Reynolds achtjähriger Sohn wurde in der Schweiz geboren. «Mit seinem perfekten Schweizerdeutsch kann man ihn von seinen Freunden nicht unterscheiden», sagt Mary Ann. Sie glaubt aber, dass er «mit seiner britischen und kanadischen Staatsbürgerschaft die Möglichkeit hat, die Welt zu bereisen. Und ich bezweifle, dass die Schweiz für ihn das Zentrum des Universums ist».

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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