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«Wir haben durchaus Trümpfe in der Hand!»

Toni Brunner steigt mit seiner SVP aus einer Position der Stärke in die Eidgenössischen Wahlen vom Herbst. Keystone

Im Hinblick auf die Schweizer Parlamentswahlen vom Herbst 2015 und die neue Legislatur beansprucht die SVP auch eine Führungsrolle in Wirtschaftsfragen: Mit einem Deregulierungspakt, zu dem sie die anderen bürgerlichen Parteien eingeladen hat, soll der Frankenschock für die stark exportabhängige Schweizer Wirtschaft abgefedert werden, sagt Präsident Toni Brunner im Interview.

Die gemäss Eigendeklaration rechts politisierende, liberal-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP)Externer Link steigt aus einer Position der Stärke in die nächsten Eidgenössischen Wahlen: Die Kernthemen Zuwanderung und Unabhängigkeit von der EU machten sie in den letzten Ausmarchungen stets zur Nr. 1 in Sachen Wählerstärke.

swissinfo.ch: 2007 schaffte die SVP 29% Wähleranteil, 2011 wie schon 2003 knapp 27%. Für die kommenden Wahlen wollen Sie markant zulegen. Ist die 30%-Marke Ihr Ziel?

Toni Brunner: Wir wollen unser letztes Ergebnis konsolidieren und wenn immer möglich übertreffen. Da wir bereits mit Abstand wählerstärkste Partei der Schweiz sind, können wir nicht mehr unendlich wachsen. Schliesslich sind wir in einem freien Wettbewerb.

Aber wenn wir wollen, dass in der Schweiz die aktuelle Mitte-Links-Politik in Parlament und Regierung beendet wird, dann muss die SVP zulegen.

swissinfo.ch: Welches sind die zwei höchsten Prioritäten Ihrer Partei für die nächste Legislatur?

T.B.: Zum einen verhandelt der Bundesrat mit der Europäischen Union über eine institutionelle Anbindung unseres Landes. Hier geht es um das Selbstverständnis und die Selbstbestimmung der Schweiz. Diese wollen wir um alles in der Welt erhalten. Auf dem Spiel stehen nichts weniger als unsere Staatssäulen der direkten Demokratie, der Mitbestimmung der Bevölkerung, der Freiheit, Neutralität und des Föderalismus.

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Als zweites wollen wir attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen in der Schweiz schaffen. Damit können wir Arbeitsplätze sichern. Das heisst insbesondere, dass wir die Steuer- und Abgabeseite im Auge behalten müssen. Nach dem Entscheid der Nationalbank zur Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses ist es wichtig, dass wir einen Deregulierungspakt schliessen. Hier hat die SVP die Federführung übernommen und mit FDP und CVP ein Paket zur Stärkung der Wirtschaft geschnürt.

swissinfo.ch: Die Wirtschaft dürfte einen Abbau von Regulierungsdruck begrüssen. Aber in einem anderen Punkt haben Sie die Wirtschaft gegen sich: Der Dachverband Economiesuisse warnt dringlich vor einem Ende der Bilateralen mit der EU, das durch Umsetzung Ihrer Initiative «gegen Masseneinwanderung» drohen könnte. Befindet sich die SVP in einem Clinch mit der Schweizer Wirtschaft?

T.B.: Nein, wir sind mit der Wirtschaft in einem Dialog. Wir haben einen Volksauftrag in Form einer neuen Verfassungsbestimmung, dass die Schweiz die Zuwanderung künftig wieder selber steuert und reduziert. Der Weg ist mit Kontingenten, Höchstzahlen und Inländervorrang vorgezeichnet.

SVP

Die Schweizerische Volkspartei ging 1971 aus der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, 1936 gegründet) und der Demokratischen Partei (DP) der Kantone Graubünden und Glarus hervor.

Die SVP ist nach eigener Definition liberal-konservativ ausgerichtet und zählt rund 90’000 Mitglieder (Stand 2014).

Präsident ist seit 2008 der 40-jährige St. Galler Nationalrat Toni Brunner.

Zentrale Themen der SVP sind Unabhängigkeit gegenüber der Europäischen Union (EU), Begrenzung der Zuwanderung und strikte Neutralität gegenüber dem Ausland.

Mit Volksinitiativen zu diesen und anderen politischen und gesellschaftlichen Themen versteht es die SVP wie keine andere Partei, die politische Debatte in der Schweiz zu prägen.

Prägend in der SVP ist Unternehmer Christoph Blocher (Ems-Chemie), der die Partei auch finanziell unterstützt.

Blocher ist Vizepräsident und Chefstratege der Partei. 2003 wurde Blocher in den Bundesrat gewählt, aber 2007 vom Parlament wieder abgewählt. Heute ist die SVP in der siebenköpfigen Regierung nur noch mit Verteidigungsminister Ueli Maurer vertreten.

Das angepeilte gute Resultat bei den kommenden Wahlen soll der SVP auch dazu dienen, den verlorenen zweiten Sitz in der Regierung zurückzuerobern.

Jetzt geht es um die Ausgestaltung und die Umsetzung. Niemand will die bilateralen Verträge als Gesamtes in Frage stellen. Aber allen ist bewusst: Das Dossier Personenfreizügigkeit muss mit Brüssel nachverhandelt werden, anders geht es nicht.

Die Freizügigkeit hat Systemfehler. Sie bringt eine enorme Zuwanderung von einem Prozent der Bevölkerung jährlich und hat uns zusätzliche Bürokratie gebracht. Denken Sie etwa an die flankierenden Massnahmen. Auch Vertreter anderer Parteien finden es wichtig, dass die grosse Migration in die Schweiz gesenkt werden kann, nur ist bisher nichts passiert.

swissinfo.ch: Brüssel lässt gegenüber dem Bundesrat bisher keinen Spielraum über eine Einschränkung des freien Personenverkehrs erkennen. Also wird eine Abstimmung über die Weiterführung der Bilateralen Klarheit bringen müssen. Wird diese für die SVP «die Mutter aller Abstimmungsschlachten»?

T.B.: Keine Seite wird die Bilateralen als Gesamtes ohne Not kündigen. Dies müsste wenn schon die Schweiz tun, falls Brüssel nicht verhandeln will. Aber ich denke, es ist durchaus im gegenseitigen Interesse, dass man nach einer sinnvollen Lösung sucht.

Die Frage einer überproportional hohen Zuwanderung in die Schweiz ist eine Sache, welche in Europa verstanden wird, wenn man erklärt, um was es geht. Eine jährliche Nettoeinwanderung von bald 100‘000 Personen und das auf 8 Millionen Einwohner ist einfach zu viel.

Ich bin aber nur dann zuversichtlich, dass man zu einem Ergebnis kommt, wenn die Schweizer Regierung klar deklariert, «wir haben einen Volksauftrag umzusetzen. Wollt ihr nicht verhandeln, müssen wir kündigen». Ob das die EU will? Ich bezweifle dies.

Natürlich gibt es auch in der Schweiz Kreise, die jetzt schon nach einer Abstimmung rufen, weil sie das Verdikt vom 9. Februar 2014 nicht akzeptieren und gar keine Zuwanderungsbegrenzung wollen. Sollte dies aber der Fall sein, so wird es auf eine grundsätzliche Abstimmung hinauslaufen bei der wir die Trümpfe auf unserer Seite haben. Hier wir, die ein selbstbestimmtes, weltoffenes Land wollen das kooperiert versus jenen, die sich der EU gegenüber anbiedern und sich integrieren wollen.

swissinfo.ch: Die Bilateralen werden von Regierung, Wirtschaft und der Linken bis weit ins bürgerliche Lager als Erfolgsfaktor dafür gewertet, dass die Schweiz die Folgen der Finanzkrise besser bewältigt als die europäischen Nachbarn.

T.B.: Man muss schon einmal Aufräumen mit dem Mythos, wir hätten unseren Wohlstand den Bilateralen und der Personenfreizügigkeit zu verdanken. Wie gesagt: Niemand hat etwas gegen die Bilateralen – das sind für mich Verträge auf Augenhöhe und unter gleichberechtigten Partnern. Sie sind notwendig. Aber die Schweiz ist weltoffener, als dass sie nur mit den europäischen Staaten geschäftet.

Grösster Erfolgsfaktor der Schweiz ist unser einmaliges politisches System mit der direkten Demokratie. Das gibt auch für die Politik eine andere Denk- und Handelsweise vor, wenn man weiss, Politiker können nicht tun und lassen was sie wollen, das letzte Wort hat das Volk.

Die Schweiz ist Spitzenreiter punkto Weltoffenheit, wie Studien belegen. Man kann nicht quantifizieren, ob Bilaterale und Personenfreizügigkeit Wohlstandsgaranten sind. Umso mehr, als wir jetzt wissen, dass man etwas vorsichtig sein muss, das Wachstum des BIP als Erfolgsfaktor herbeizuziehen. Denn neuerdings werden auch Schwarzarbeit, Drogenhandel und Prostitution am BIP-Wachstum der Schweiz berücksichtigt. Das relativiert das Wirtschaftswachstum doch um einiges (lacht).

swissinfo.ch: In den letzten Jahren sorgte der Islam für Gesprächsstoff; Kopftuch-Debatte, Radikalisierung, islamistischer Terrorismus. Welchen Platz soll der Islam in der Schweizer Gesellschaft haben?

T.B.: Die Schweiz ist ein christlich geprägtes Land, schon in der Präambel der Bundesverfassung steht «Im Namen Gottes». Wir haben in unserem Land aber die Toleranz gegenüber anderen Religionen, damit also Religionsfreiheit. Dazu gehören die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, sämtliche Grundrechte, damit vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Das bedingt aber auch, dass sich andere Religionen und Kulturen unserem Wertesystem anzupassen haben, wenn sie in der Schweiz leben und deren Freiheiten auch beanspruchen wollen. Es muss allen bewusst sein: Wer hier lebt, hat sich an die hiesige Ordnung zu halten.


(Das Interview wurde im März 2015 geführt)

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