«Wir wollen keine Kolonie der EU werden»
Die Schweiz müsse eigenständig bleiben und der Bundesrat müsse endlich und verbindlich erklären, dass ein EU Beitritt keine Option sei und sich gegen jegliche Übernahme von EU-Recht wehren, sagt SVP-Nationalrat Hans Fehr im swissinfo.ch-Interview.
Innerhalb der EU mehren sich die Stimmen, die sagen, der bilaterale Weg mit der Schweiz habe seine Grenzen erreicht. Vor wenigen Tagen haben die EU-Aussenminister die Schweiz aufgefordert, die bilateralen Abkommen an das sich weiter entwickelnde EU-Recht anzupassen.
Zur Überwachung der Anwendung der Abkommen verlangt die EU unabhängige Kontroll- und Gerichtsbarkeitsinstanzen. Ein Dorn im Auge bleiben der EU jene kantonalen Steuer-Regelungen, die Holding-Gesellschaften steuerlich privilegieren.
Hans Fehr ist Nationalrat der europakritischsten Regierungspartei, der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).
swissinfo.ch: Der Druck der EU auf die Schweiz wird zusehends grösser und unangenehmer. Wie soll sich das Land in dieser Situation verhalten?
Hans Fehr: Wir müssen Brüssel klarmachen, was wir wollen: eine unabhängige Schweiz, die ihre Handlungsfähigkeit bewahrt. Das ist das Ziel unserer Aussenpolitik gemäss Artikel 2 der Bundesverfassung.
swissinfo.ch: Heisst das, dass wir der EU sagen, dass wir nicht auf ihre Forderungen eintreten?
H.F.: Man muss mit der EU eine einheitliche, klare Sprache sprechen. In Brüssel hat man den Eindruck, dass der Bundesrat in die EU will. Man weiss gleichzeitig, dass das Volk nicht in die EU will. Denn wer will schon einer Fehlkonstruktion EU mit einer gescheiterten Einheitswährung beitreten und sich in den Schlammassel reissen lassen? Der Bundesrat muss endlich die Volksmeinung respektieren und das Beitrittsgesuch zurückziehen.
swissinfo: Der Bundesrat hat in den vergangenen Monaten und Jahren nie signalisiert, er wolle in die EU.
H.F.: Vordergründig beteuert er den bilateralen Weg. Gleichzeitig jammert die Elite in Bundesbern, der bilaterale Weg sei an Grenzen gestossen, es gäbe Schwierigkeiten und man müsse auf die EU zugehen. Die EU macht ihrerseits Druck, denn sie braucht Geld. Bundesbern muss endlich klarstellen, dass sich das Schweizer Volk für den bilateralen Weg entschieden hat, weil wir nicht in die EU wollen.
swissinfo.ch: Seit bald vier Jahren verhandelt die Schweiz mit der EU über ein bilaterales Abkommen zum Strommarkt. Ohne Erfolg. Die Verhandlungen stecken fest. Wie können Sie da noch an den bilateralen Weg glauben?
H.F.: Das ist eine Frage des politischen Willens. Nicht wir wollen ein Abkommen über den Strommarkt, sondern primär die EU.
swissinfo: Immerhin: Die schweizerische Stromindustrie will ein Abkommen.
H.F.: Ein Strommarkt-Abkommen ist auch aus Schweizer Sicht umstritten. Die EU will aber insbesondere neue Abkommen im Chemiebereich und zum Finanzplatz Schweiz, den sie schwächen will. Zudem will sie die Steuerhoheit der Kantone beseitigen. Da müssen wir klare Leitplanken setzen und sagen «bis hier und nicht weiter!“
Aber wenn Brüssel feststellt, dass die Mehrheit der Schweizer Regierung morgen oder übermorgen ohnehin der EU beitreten will, dann kann man nicht gut verhandeln.
swissinfo: Agieren die Unterhändler, die in Brüssel für die Schweiz verhandeln zu wenig geschickt?
H.F.: Das Problem liegt nicht bei den Unterhändlern, sondern beim Bundesrat, der zwiespältige Signale aussendet und keine klaren Verhandlungsmandate formuliert. In Brüssel plädiert er für den Beitritt, dem eigenen Volk gegenüber gaukelt er vor, am bilateralen Weg fest zu halten.
swissinfo: Die Schweiz profitiert von den bilateralen Verträgen. Nun verlangt die EU, dass die bestehenden Verträge an das sich weiter entwickelnde EU-Recht angepasst werden. Kann sich die Schweiz dem widersetzen?
H.F.: Erstens: Es ist vor allem die EU, die von den Verträgen profitiert. Zweitens: Selbstverständlich kann sich die Schweiz widersetzen, wir sind keine EU-Kolonie. Beim Schengen-Abkommen beispielsweise müssen wir unter Ausschaltung des Volkes immer wieder neues Recht übernehmen – in wenigen Jahren sind es rund 120 Anpassungen.
Gleichzeitig explodieren die Kosten – und Schengen wird immer mehr zum Unsicherheitsraum. Mit sogenannten «institutionellen Lösungen», die derzeit von einer gemischten Arbeitsgruppe in Brüssel ausgebrütet werden, sollen wir künftig automatisch neues Recht übernehmen und uns fremden Richtern unterstellen. Das kommt für ein souveränes Land nicht in Frage.
swissinfo.ch: Ihre Partei warnt auch vor möglichen negativen Folgen der Personenfreizügigkeit. Wieso klammern Sie dabei aus, dass die Exportwirtschaft oder die Spitäler auch viele hoch qualifizierte Ausländer anstellen, die Steuern zahlen und konsumieren?
H.F. Auch mit den früheren Kontingenten haben wir die nötigen ausländischen Arbeitskräfte bekommen – ohne die negativen Seiten der Personenfreizügigkeit. Manager und Teile der Wirtschaft mögen von der Freizügigkeit kurzfristige Vorteile haben – eine grosse Auswahl von Arbeitskräften und tiefere Löhne. Aber die praktisch unkontrollierte Zuwanderung – die uns jedes Jahr einen Netto-Ausländer-Zuwachs von der Grösse der Stadt Winterthur beschert, ist gefährlich. Gefährdete Sozialsysteme, schlecht integrierte Ausländer, Probleme an unseren Schulen, die zunehmende Gewaltkriminalität sowie unübersehbare Symptome der sich anbahnenden Überbevölkerung zwingen uns zum Handeln. Wir müssen die Zuwanderung bremsen und ein besseres Abkommen aushandeln. Sonst kommen wir ab Mitte 2011, wenn auch noch die Ost-Personenfreizügigkeit gilt, vom Regen in die Traufe.
swissinfo.ch: Wenn die EU strengere Abgasnormen oder neue Normen für Kühlschränke einführt, ändert die Schweiz die Gesetze, passt sich an und nennt das autonomen Nachvollzug. Wo bleibt da die Souveränität?
H.F.: Bei technischen Normen haben wir kein Problem. Aber wenn das Volk ausgeschaltet wird, wenn zentrale Volksrechte ausgehebelt werden, dann müssen wir nein sagen. Die Handlungsfreiheit der Schweiz muss gewahrt bleiben, sonst werden wir zur Kolonie.
swissinfo: Eine Isolierung der Schweiz würde der Exportwirtschaft schaden. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
H.F.: Von Isolation kann keine Rede sein. Alle möchten ins «Paradies Schweiz“ kommen. Wir sind ein wichtiger Handelspartner für die EU. Wir bauen ihr gratis und franko die rund 30 Milliarden Franken teure NEAT, wir beschäftigen 230’000 Grenzgänger aus der EU, und rund 1,2 Millionen EU-Ausländer leben in unserem Land.
Wir importieren jährlich Güter für 20 Milliarden Franken mehr aus der EU als wir dorthin exportieren. Mit einem solchen Partner wird es Brüssel nicht verderben wollen.
Wir sind interessiert an guten Beziehungen zur EU, aber nicht um jeden Preis. Zudem liegen die Wachstumsmärkte vor allem Asien und Südamerika.
Der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, spricht sich für einen EU-Beitritt der Schweiz aus. Die Europäische Union würde so «kompletter» werden, sagte der luxemburgische Ministerpräsident in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 16. Dezember.
Der «weisse Fleck auf der europäischen Landkarte» sei ein «geostrategisches Unding», erklärte er in dem Interview weiter. «Ich wünsche mir einen EU-Beitritt der Schweiz, auch wenn ich weiss, dass dies dem Volkssouverän immer noch widerstrebt», sagte Juncker.
Ein Beitritt der Schweiz würde die EU zwar nicht verändern: «Aber der EU würde damit eine substanzielle Dosis an gesundem Menschenverstand eingeimpft werden.» Er sei auch deshalb für den EU-Beitritt der Schweiz, «weil wir dann nicht mehr so isoliert wären». Die Luxemburger seien die Schweizer der EU.
Da auch er aus einem kleinen Land komme, wisse er, dass kleinere Einheiten den Zuruf von aussen nicht sehr schätzten. «Die Eidgenossen wissen schon selbst, was in ihrem zukünftigen Interesse liegt.»
Juncker äusserte sich auch zu den jüngsten Ansinnen der SVP, unter anderem einer möglichen Initiative zu einem Schengen-Austritt. «Wer überall austritt, wird eines Tages allein sein.» Deshalb sei die SVP-Position «grundsätzlich eine rückwärtsgewandte und perspektivlose.»
Am Dienstag hatten die EU-Aussenminister einen Bericht zu den Beziehungen mit der verabschiedet. Darin wird mit keinem Wort ein möglicher EU-Beitritt erwähnt. Dagegen wurden die «Grenzen des bilateralen Wegs» herausgestrichen und eine «effizientere» und «dynamischere» Anpassung der bilateralen Abkommen an das sich entwickelnde EU-Recht gefordert.
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