Würden Sie einen Asylsuchenden längere Zeit bei sich aufnehmen?
Die Grenzen schliessen oder Asylsuchende in Privathäusern aufnehmen. Zwei Ideen, wie mit dem Zustrom von Asylsuchenden in der Schweiz umgegangen werden soll. Die jüngere Generation hat ihre eigenen Ideen zum Thema, ihre Reaktionen hängen aber davon ab, wie genau sie gefragt werden.
Mit seiner langen Grenze zu Italien ist der Kanton Tessin die Haupt-Einreiseregion für Asylsuchende aus dem Süden. Deshalb ist die Asylfrage dort ein heiss diskutiertes Thema. Einige Politiker verlangen eine komplette Überarbeitung des Systems.
Im Juni schlug der Präsident der rechtsgerichteten Lega dei Ticinesi vor, die Schweizer Grenze gegen Italien zu schliessen, um den Zustrom an Migranten komplett zu stoppen, wie dies Frankreich gemacht hatExterner Link.
Politbox, die politische Quiz-App der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR, zu der auch swissinfo.ch gehört, fragte 1555 ihrer Nutzerinnen und Nutzer aus der Schweiz und dem Ausland, was sie von einer Grenzschliessung halten. Folgende Grafik zeigt ihre Antworten:
Die Journalisten hinter Politbox fragten auch junge Menschen auf den Strassen der Tessiner Stadt Lugano, ob sie einen Asylsuchenden über längere Zeit bei sich beherbergen würden. Von Angesicht zu Angesicht fiel die Antwort eher positiv aus. Von fünf Befragten gab nur eine Person an, das käme für sie nicht in Frage, weil es komisch wäre, mit jemand zu leben, den man nicht kennt. Eine junge Frau erklärte, «ich würde mich in diese Person hineinversetzen. Wäre ich in der gleichen Situation, wäre ich auch froh, wenn mir die Leute helfen würden».
Als die Politbox-App aber die gleiche Frage stellte und anonym geantwortet werden konnte, sahen die Antworten etwas anders aus: Eine Mehrheit wollte niemanden bei sich aufnehmen. Ältere Umfrageteilnehmer gaben eher an, dass sie ihr Haus mit Asylsuchenden teilen würden, als jüngere. Befragte aus dem Kanton Tessin waren sich nicht einig: 40% sagten Ja, 40% Nein und 20% waren unschlüssig.
Unterdessen platziert die Schweizerische Flüchtlingshilfe Asylsuchende in Privathaushalten von interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Laut Stefan Frey, Sprecher der Organisation, will sie nur solche Flüchtlinge bei Privatpersonen unterbringen, die gute Chancen haben, in der Schweiz bleiben zu dürfen, weil man diese Aktion als Integrationsmassnahme sehe, wie er dem Tages-Anzeiger erklärte.
Unterkunft in Studentenhäusern
In Bern sorgten zwei Studenten für Schlagzeilen mit ihrer Idee, Asylsuchende und Flüchtlinge in Wohngemeinschaften von Studierenden unterzubringen. Ihr Projekt «Wegeleben»Externer Link wird mit Unterstützung des Hilfswerks Caritas organisiert.
«Ich merkte relativ rasch, dass es besonders für junge Menschen auf der Flucht sehr schwierig ist, eine Wohnung zu finden, ohne in eine kulturelle Isolation zu geraten», sagte Mitgründerin Méline Ulrich, die bei Caritas ein Praktikum mit jungen Migranten absolviert hat.
Sie und ihr Projektpartner Gian Färber führen Informationsveranstaltungen für interessierte Gruppen von Jugendlichen durch, die Migranten einen Platz in ihrer Wohngemeinschaft anbieten möchten. Bisher konnten sie eine Person in eine WG platzieren: eine Frau, die im September einziehen wird.
Das Projekt akzeptiert nur so genannte «vorläufig aufgenommene Personen» oder anerkannte Flüchtlinge. Die Miete wird von den Sozialämtern der jeweiligen Gemeinden übernommen.
Für Caritas könnte das Projekt helfen, die grosse Knappheit an Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende und Flüchtlinge, die voraussichtlich längere Zeit in der Schweiz bleiben werden, zu verringern. Judith Ledesma von Caritas erklärt, solche Menschen stünden oft mit Personen mit tiefem Einkommen in Konkurrenz um die wenigen erschwinglichen Wohnungen.
Politische Lösungen
Die Frage, ob die Schweiz mehr dafür machen solle, um Flüchtlingen zu helfen, die nach Europa kommen, bejahten die jungen Befragten in Lugano. Die Schweiz könne mehr tun, sowohl im In- wie auch im Ausland.
«Ich finde es komisch, dass wir hier so viel Geld ausgeben, während Flüchtlinge anderswo an Hunger und Durst sterben», sagte eine junge Frau. «Wir sollten zuerst etwas dort tun, wo sie sind. Wir müssen ihnen helfen, wo wir können, denn wir haben genug Platz und Geld.»
Auch ihr Begleiter war der Meinung, dass mehr getan werden sollte. «Aber sie sollten nicht einfach hierher kommen können und von unseren Mitteln profitieren, ohne etwas dafür zu tun… Sie sollten in Gegenzug etwas machen, um dem Staat zu helfen.»
Derweil festigen und verteidigen im Vorfeld der Wahlen vom Herbst viele Parteien ihre Positionen in der Asylpolitik. Gegenwärtig wird in der Schweiz über eine Reform des Asylgesetzes diskutiert, die unter anderem die Stärkung der Aufnahmezentren des Bundes vorsieht. Das Projekt, das im September im Parlament diskutiert werden soll, wird jedoch durch die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) bekämpft, die mit dem Referendum dagegen droht.
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Die Asylpolitik dominiert den Wahlkampf
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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