Wunden lecken nach der gescheiterten Armeereform
Am Tag nach der Versenkung der in fünfjähriger Arbeit aufgegleisten Modernisierung der Schweizer Armee machen die Kommentatoren der Schweizer Presse neben den Armeegegnern die rechtskonservative Partei SVP und auch deren Verteidigungsminister Ueli Maurer für die Pleite verantwortlich. Aber auch Parlament und Regierung stehen in der Verantwortung.
Zu gross! Zu klein! Zu teuer! Zu schlecht ausgerüstet! Zu träge!…. Die Diskussionen um Reformen der Schweizer Armee gehören zur Schweizer Politik wie die direkte Demokratie. «Im epischen Drama um die nächste Armeereform hat der Nationalrat ein weiteres Kapitel geschrieben», leitet die Neue Zürcher Zeitung ihren Kommentar ein. Dies ist gewissermassen ein Stehsatz der Schweizer PresseExterner Link.
Halbierung des Bestandes von bisher 200’000 auf 100’00 Mann und ein Jahresbudget von 5 statt den aktuellen 4,7 Milliarden Franken: Dies waren die Eckwerte der Armeereform, die der Ständerat als Erstrat vor einigen Monaten guthiess.
Bei der Debatte in der Grossen Kammer vom letzten Donnerstag wollte die Linke, bestehend aus Sozialdemokraten und Grünen, hinunter auf 80’000 Mann. Die Rechte, sprich die Schweizerische Volkspartei (SVP), beharrte auf 140’000 Mann und der Festschreibung eines Jahres-Etats von 5 Milliarden in einem Gesetz. Keine Seite kam durch, Links und Rechts fand sich im Nein. Fünf Jahre Arbeit am Projekt «Weiterentwicklung der Armee» (WEA) sind vom Tisch. Und damit Tür und Tor geöffnet für die nächste Runde im innenpolitischen Poker um die Armeereform.
«Maurers Marignano»
«Unheilige Allianz richtet Armeereform hin», so die Waadtländer 24 heures. «Armeereform: Getroffen und versenkt», schreiben L’Express / L’Impartial aus Neuenburg. «Nach sieben Stunden Debatte stürzt die Armeereform ab», schreibt Die Südostschweiz. «Scherbenhaufen: Nationalrat versenkt die Armeereform», so der Bote der Urschweiz. «Armeereform stürzt ab», titelt der Walliser Bote. «Armeereform verschwindet in der Schublade», die Westschweizer 20 minutes.
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Auf Truppenbesuch
Der Zürcher Tages-Anzeiger spricht von «Maurers Marignano»: «Das hatten wir doch schon mal: einen SVP-Verteidigungsminister, brüskiert von der eigenen Partei, die mit der Linken eine Armeevorlage torpediert.» Aber der Tagi taxiert Maurer nicht als Opfer. Dieser müsse sich vielmehr vorwerfen lassen, erneut laviert und die Vorlage zu wenig überzeugend vertreten zu haben. «Wie bereits beim Gripen-Fiasko könnte er am Ende mit leeren Händen dastehen – und dereinst als Verteidigungsminister in die Geschichtsbücher eingehen, dem die Erneuerung der Armee gründlich misslungen ist.»
Für die Aargauer Zeitung ist die Luft nun gefüllt mit «Pulverdampf und Pistolenrauch». Ein Scheitern der Reform wäre zwar aus Sicht von Verteidigungsministerium und Armeespitze «mehr als nur eine verlorene Schlacht», so der Kommentator. «Doch im Herbst sind Wahlen. Maurer als ehemaliger Parteipräsident weiss nur allzugut: Bis zum Wahltag sind nicht freundliche Kompromisse und sachdienliche Lösungen Trumpf, sondern Profilierung und Abgrenzung. Und genau darum geht es der SVP mit dem Pulver, das sie gestern im Bundeshaus verschossen hat.»
So bedauerlich dieser parlamentarische Leerlauf sein möge: «Glücklich das Land, das sich derlei Ränkespiele erlauben kann», so die Aargauer Zeitung.
Kritik an SVP
«Heikler Poker der SVP – Die Armee als Spielball», so die NZZ. Dass Maurer von den linken Ratsbänken keinen Applaus erwarten könne, stehe fest. «SP und Grüne waren nur zu gerne bereit, sich mit der Volkspartei ins Lotterbett zu legen.» Demgegenüber setze die SVP darauf, dass im parlamentarischen Differenzbereinigungsverfahren mit der kleinen Kammer ein verbindlicher Budgetrahmen von minimal 5 Milliarden Franken – lieber noch einige hundert Millionen mehr – gesetzlich festgezurrt werde. «Das wäre ein finanzpolitisch völlig verqueres Manöver», urteilt die NZZ.
«Die SVP bringt die Armeeplaner ins Schleudern», schreibt die Berner Zeitung. «Unheilige Allianz? Ein teuflischer Pakt? Egal, wie man es bezeichnen mag: Das Nein des Nationalrats in der Gesamtabstimmung ist ein Rückschlag für die Armee.» Anfang 2017 solle die Reform umgesetzt sein. «Angesichts der Zusatzschlaufe, welche die Vorlage nun macht, scheint dieser Termin utopisch. Auch dringend notwendige Korrekturen werden so verzögert und gefährden die Auftragserfüllung der Armee. Die Verantwortung dafür trägt die SVP – also jene Partei, die sonst immer nach Sicherheit schreit.»
Unrealistischer Bundesrat
«Die Politik versagt im Kern», konstatiert die Basler Zeitung und stellt die interne Armeedebatte in einen grösseren Zusammenhang. Die Bundespolitik sei in einem zunehmend unsicheren Umfeld nicht in der Lage, glaubwürdig Sicherheitspolitik zu betreiben. «Verantwortlich ist das Parlament, das den Planern fünf Jahre lang Eckwerte vorgibt, die plötzlich nicht mehr gelten», so die Basler Zeitung weiter. «Verantwortlich dafür ist der Bundesrat, der dem Parlament ein rein finanzgesteuertes Reformprojekt vorlegt, das sich nicht an der unangenehmen Realität der verschärften Sicherheitslage orientiert.»
«Nach dem Scheitern des Gripens bestätigt die Rückweisung der Armeereform durch eine unheilige Allianz von der Linken mit der SVP die tiefe politische Krise bezüglich Konzept und Finanzierung der Armee», schreibt Le Temps. Der Entscheid sei auch ein neuerlicher Rückschlag für den Verteidigungsminister, der nach dem Nein zum neuen Kampfflugzeug sein Projekt zur Armeereform zwei Finger breit vom Scheitern sieht», so die Zeitung aus Genf.
«Die Armeedebatte verstrickt sich in konservativen Interessen der Konservativen», titelt Le Matin. Diese würden die Entwicklung hin zu schlankeren Strukturen verhindern. «Die Armee aber benötigt ein ‹Fitnessprogramm›, wie in der Bundesverwaltung gern betont wird. Aber im Moment, wo man sich an die ‹Mammuts» des Service Public macht, entkommt Ueli Maurers Dinosaurier.»
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