Was junge Menschen bei der UNO erreichen wollen
Das Young Activists-Gipfeltreffen bringt junge Menschen aus der ganzen Welt bei der UNO in Genf zusammen. Aber welche Bedeutung hat die 76 Jahre alte internationale Organisation für diese Aktivistinnen und Aktivisten?
Morgen werden junge Menschen im Rahmen des Young Activists Summit (YAS) 2021Externer Link bei der UNO in Genf das Wort ergreifen. Im Lauf des Tages erhalten sechs junge Aktivistinnen und Aktivisten aus der ganzen Welt die Gelegenheit, ihre Arbeit zur Bewältigung globaler Herausforderungen vorzustellen und sich auszutauschen mit anderen jungen Entscheidungstragenden, die an der Veranstaltung persönlich oder online aus der Ferne teilnehmen.
Die YAS-Initiative will weltweit junge Menschen, die sich für Nachhaltigkeit oder Menschenrechte einsetzen, stärken und ihnen helfen, konkrete Ergebnisse zu erzielen. Der Gipfel zielt darauf ab, Frieden, kulturelle Toleranz und internationale Zusammenarbeit zu stärken.
Die Jüngste, Gitanjali Rao, ist erst 15 Jahre alt. Sie ist eine amerikanische Wissenschafterin, deren Erfindungen dazu beigetragen haben, mit Blei verunreinigtes Trinkwasser aufzuspüren sowie Opioidabhängigkeit und Cybermobbing zu verhindern. Für diese Errungenschaften wurde sie 2020 vom Time Magazine als «Kid of the Year» ausgezeichnet.
Der Älteste, Lual Mayen, ist 26 Jahre alt. Er wurde im vom Krieg zerrissenen Südsudan geboren und wuchs in einem Flüchtlingslager auf. Heute entwickelt er Videospiele, um Frieden zu fördern.
«Wir suchen nicht nur Perfektion oder Wunderkinder, denn beim Aktivismus geht es auch darum, Ideen zu haben, zu versuchen, diese umzusetzen, zu testen und zu verbessern», sagt Marina Wutholen, Direktorin der Medien-NGO Dev.tv und Gründerin des YAS.
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Young Activists Summit 2021
Die sechs nach Genf eingeladenen Aktivist:innen hätten zwar beeindruckende Lebensläufe, sagt Wutholen. Doch das Wichtigste sei, dass sie an konkreten Lösungen arbeiten, die junge Menschen in anderen Ländern dazu inspirieren könnten, sie nachzuahmen und ähnliche Probleme anzugehen. «Wenn Lösungen in Kenia erfolgreich sind, können sie auch in Asien oder Südamerika erfolgreich sein», sagt sie.
Zu den Lösungen der jungen Aktivist:innen gehören Wege zur Wiederherstellung von Korallenriffen, die Verhinderung der Genitalverstümmelung von Frauen, die Förderung von Recycling, die Bekämpfung der Armut und die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft.
>> Videoprofil von Louise Mabulo, eine der sechs jungen Changemaker, die in diesem Jahr vorgestellt werden:
Von Jungen geleiteter Aktivismus
In den letzten Jahren standen vermehrt jüngere Menschen an der Spitze von Aktivist:innen-Bewegungen. Greta Thunberg hat Millionen von Schülern und Schülerinnen weltweit dazu inspiriert, die Schule zu schwänzen, um von ihren politischen Spitzenkräften Klimaschutz-Massnahmen zu fordern. Wie ist dieser Trend zu erklären?
«Ich denke, was sich wirklich verändert hat, sind Bildung und Ausbildung. Diese jungen Menschen sind in einer Zeit aufgewachsen, in der Fragen der Nachhaltigkeit, der Umwelt- und Klimakrise in den Schulen intensiv diskutiert werden», sagt Jasmine Lorenzini, eine leitende Forscherin an der Universität Genf.
Dieser breitere Zugang zu Informationen und das gesteigerte Bewusstsein, gepaart mit einem langfristigen Trend des schwindenden Vertrauens in politische Institutionen, hätten einen fruchtbaren Boden geschaffen, auf dem sich Schlüsselfiguren wie Thunberg entfalten und globale Bewegungen auslösen könnten, sagt Lorenzini.
Eine Studie über den «Greta-Thunberg-Effekt»Externer Link hat ergeben, dass jene Befragten, welche die junge schwedische Aktivistin besser kennen, eher glauben, dass auch sie selber etwas bewirken können. Sie waren auch eher bereit, sich für die Umwelt einzusetzen.
In der Schweiz haben die von jungen Menschen angeführten Bewegungen auch ältere Generationen auf den Plan gerufen. Dies könne zum Teil auf die historischen Umweltbewegungen in der Schweiz zurückgeführt werden, sagt Lorenzini.
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In den 1970er- und 1980er-Jahren waren Anti-Atomkraft- und Umweltgruppen im Land aktiv und besetzten Standorte künftiger Atomkraftwerke. Einige der damals Aktiven könnten inspiriert worden sein, sich wieder einer Bewegung anzuschliessen, als junge Menschen begannen, gegen den Klimawandel zu protestieren, vermutet die Forscherin.
«Wir sprechen oft von Jugendbewegungen – was insofern richtig ist, als sie die Organisator:innen sind –, aber es ist zu kurz gegriffen, wenn wir uns überlegen, wer all die Menschen sind, die auf die Strasse gehen und diese Bewegungen verteidigen.»
Laut Lorenzini besteht die Gefahr, dass einige Leute absichtlich falsche Vorstellungen über diese Bewegungen nutzen, um deren Gewicht zu minimieren und zu behaupten, dass sie nicht die Meinung der Bevölkerung reflektierten.
Jugend bei der UNO
Was zieht jüngere Menschen angesichts des schwindenden Vertrauens in politische Institutionen zu einer Organisation wie der UNO, die nicht immer mit Agilität und Aktionismus in Verbindung gebracht werden dürfte?
Es bringe ein gewisses Prestige und Mass an Anerkennung mit sich, wenn junge Aktivist:innen ihre Lösungen während dem YAS bei der UNO vorstellen könnten, sagt Wutholen. Sie und ihre Mitarbeitenden organisieren auch Sitzungen für die Aktivist:innen, damit diese mit Expertinnen und Experten in Genf und anderswo in Kontakt treten und von ihnen beraten werden können.
«Wir haben festgestellt, dass es für die meisten der teilnehmenden Aktivisten und Aktivistinnen ein Vorher und ein Nachher gab.»
Geneva Youth Call (GYC)Externer Link ist eine weitere Genfer Initiative, die darauf abzielt, die Stimmen der Jugend bei den Vereinten Nationen einzubringen. Das Projekt wurde Anfang 2020 von Studierenden der Universität Genf ins Leben gerufen.
«Ein grundlegendes Problem, das wir angehen wollten, ist die Tatsache, dass es derzeit keinen gemeinsamen Raum gibt, in dem sich die Jugend der Welt mit globalen Themen beschäftigen kann», sagt Eva Luvisotto, Mitbegründerin von GYC.
2021 hat GYC eine digitale Plattform lanciert, auf der junge Menschen weltweit die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, und die Lösungen, die sie finden, miteinander teilen können.
Die Inhalte der Plattform werden in eine internationale Jugendcharta einfliessen, die der UNO eine universelle Position der Jugend vermitteln könnte. Im April 2022 will die GYC-Initiative ihre erste globale Jugendversammlung veranstalten, um ihre Charta zu verfeinern.
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Ist die UNO bald hinfällig?
Luvisotto argumentiert, ein Grossteil der Kritik an der UNO, z.B. dass sie zu bürokratisch sei, beziehe sich nicht direkt auf die Ziele der Vereinten Nationen – wie etwa die Förderung des Weltfriedens –, sondern auf die Arbeitsweise der Organisation.
Und solche Probleme könnten durch Reformen angegangen werden. GYC hoffe, dafür Lösungen zu finden, sagt Luvisotto, die auch ein Praktikum beim UNO-Koordinationsbüro für humanitäre Hilfe (OCHA) absolviert.
«[Die UNO] repräsentiert etwas sehr Wichtiges in der Welt», sagt Noa Rakotoarijaonina, die internationale Beziehungen studiert und Kernmitglied des GYC-Teams ist.
Jugendbewegungen knüpften zunehmend Verbindungen zu etablierten Organisationen wie den Vereinten Nationen, mit denen sie gemeinsame Werte teilten und die an ähnlichen Problemen arbeiteten, aber andere Strategien und Ressourcen einsetzten, sagt Wutholen. «Die UNO hat Zwänge, die Jugendgruppen nicht haben, und umgekehrt. Und deshalb ist es wirklich wichtig, die Kräfte zu bündeln.»
Die UNO setzt sich für den Schutz von Flüchtlingen ein, für den Schutz der Ozeane, für die Beendigung von Armut und Hunger, für den Klimaschutz und die Gleichstellung der Geschlechter.
Und das tun auch die jungen Menschen, die diese Woche nach Genf eingeladen wurden. Sie entwickeln konkrete Lösungen, welche die Aufmerksamkeit und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft verdienen.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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