Zankapfel Ukraine: US-Russland-Gespräche in Genf
Spitzen der amerikanischen und russischen Diplomatie tagen seit Montagmorgen in Genf, um über die russische Militäraufrüstung an der Grenze zur Ukraine zu sprechen. Russland und der Westen haben offensichtlich unvereinbare Forderungen gestellt. Was kann also von diesem Treffen, das bis am frühen Abend dauern soll, erwartet werden?
Der Ausgang der Genfer Gespräche sei ungewiss, sagt Laurent Goetschel, Direktor des Basler Friedensförderungs-Instituts Swisspeace. Aber es sei wichtig, dass sie stattfänden, zumal sie von Angesicht zu Angesicht erfolgen und Teil des Strategischen Stabilitätsdialogs (SSD) zwischen den USA und Russland sind. Dieser wurde nach dem Biden-Putin-Gipfel eingeleitet.
Es ist bereits die dritte Runde der bilateralen Gespräche zwischen den USA und Russland in Genf, seit sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin im Juni letzten Jahres zu einem medienwirksamen Gipfel in der Schweizer Stadt getroffen haben.
Die US-Delegation wird von der stellvertretenden Aussenministerin Wendy ShermanExterner Link geleitet, während die russische Delegation von einem anderen erfahrenen Diplomaten angeführt wird, dem stellvertretenden Aussenminister Sergei Riabkow.
«Das Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Reagan und dem sowjetischen Staatschef Gorbatschow 1985 in Genf markierte das Ende des Kalten Kriegs. Man wünscht sich, dass die kommenden Gespräche zwischen den USA und Russland über Sicherheitsfragen am 10. Januar ebenso bedeutsam sein mögen», sagte Emilia Nazarenko, eine in Genf lebende ukrainische Journalistin, in einem Interview mit SWI swissinfo.ch. Aber die Gespräche werden wahrscheinlich ein fortlaufender Prozess sein.
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«Der Kalte Krieg gewinnt wieder an Macht»
Beide Seiten haben im Vorfeld des Treffens die Erwartungen gedämpft: Die USA forderten Moskau zu einer Deeskalation in der Ukraine-Frage auf. Russland seinerseits erklärte, es werde «keine Zugeständnisse» machen. Ein Sprecher der US-Regierung sagte gegenüber der Presse, dass es bei diesen Gesprächen keine festen Zusagen geben werde. Die Gespräche seien «ernsthaft und konkret», aber sondierend.
Auf die Genfer Gespräche folgen am Mittwoch ein Russland-NATO-Treffen in Brüssel und am Donnerstag in Wien ein Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der auch die Ukraine angehört.
Säbelrasseln
Russland, das fast 100’000 Armeeangehörige an die Grenze zur Ukraine verlegt hat, erklärt, es bereite keine Invasion vor. Es wolle aber, dass der Westen seine Unterstützung für die ukrainische Regierung aufgibt und die Osterweiterung der NATO stoppt.
Washington hat bereits einige der Forderungen Moskaus als nicht durchführbar zurückgewiesen. In einem Telefongespräch mit Putin in der vergangenen Woche bekräftigte US-Präsident Biden, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten «noch nie dagewesene Sanktionen» verhängen würden, sollte Russland in die Ukraine eindringen. Putin entgegnete, Sanktionen könnten zu einem «völligen Zusammenbruch der Beziehungen» führen.
«Es ist wichtig, dass die Gespräche stattfinden, als eine Botschaft an den Rest der Welt, aber auch innerhalb der jeweiligen Länder», sagt Laurent Goetschel gegenüber swissinfo.ch. «Ein Interaktionsformat, das nicht unmittelbar nach einer Krise, sondern mehr oder weniger regelmässig stattfindet, ist sehr wichtig, um eine Situation zu entspannen und ein gewisses Mass an Vertrauen aufzubauen.»
Emilia Nazarenko, die als freie Mitarbeiterin für mehrere russischsprachige Medien arbeitet und bei der UNO in Genf akkreditiert ist, stimmt dem zu: «Ein Trost ist, dass es zumindest einen Dialog, Treffen und Gespräche gibt. Besser eine träge Feindseligkeit ohne Opfer als aktive Feindseligkeiten und Tod.»
Glaube man westlichen Militärexpertinnen und -experten, reiche die derzeitige Zahl der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze nicht für eine gross angelegte Invasion aus, sagt sie. Genau das aber sei die Befürchtung ihrer Freunde und Verwandten in der Ukraine, wie auch der dortigen Behörden. Sie hofft, dass Russland «die Ukraine nur als Sprungbrett für eine Konfrontation mit dem Westen nutzt».
Natürlich sei es möglich, dass Russland in die Ukraine einmarschieren könnte, sagt Goetschel. Aber er hält es für wahrscheinlich, dass «gewisse Bedenken geäussert und Drohbotschaften übermittelt werden. Aber in Wirklichkeit geht es nicht in erster Linie darum, eine Invasion der Ukraine vorzubereiten, sondern darum, vom Westen bestimmte Zugeständnisse auf politischer und diplomatischer Ebene zu erhalten».
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Die Rolle der Schweiz
Anders als beim Biden-Putin-Gipfel im Juni letzten Jahres in Genf, bei dem der Schweizer Bundespräsident Gastgeber war und die Gäste auf Schweizer Boden empfangen wurden, findet das Treffen am Montag in der US-Botschaft in Genf statt.
Laut Nazarenko waren wichtige Faktoren für die Wahl des Tagungsorts «der neutrale Status der Schweiz, ihre langjährige Erfahrung in der Organisation und Durchführung von Gipfeltreffen, ihre multilaterale Diplomatie und der Standort des UNO-Europabüros in Genf».
«Biden und Putin haben sich in Genf getroffen, und es unterstreicht natürlich die Kontinuität dieser Treffen, wenn sie am selben Ort stattfinden», sagt Goetschel. «Aber man kann auch sagen, dass die Schweiz und Genf in Bezug auf die Ost-West-Traditionen und mit Blick auf die Zeit des Kalten Kriegs jener Ort sind, an dem viele wichtige Begegnungen stattgefunden haben.»
Nazarenko weist darauf hin, dass im Juli 2022 in der Tessiner Stadt Lugano eine Konferenz über Reformen in der UkraineExterner Link stattfinden soll. «Ich hoffe, dass bis dahin die Gefahr eines Kriegs für die leidgeprüfte Ukraine für immer gebannt sein wird.»
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Das internationale Genf im Wandel
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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