Zeid Rad’ad al Hussein: «Die UNO soll sich nicht mit den Mitgliedstaaten anfreunden»
Jeder UNO-Hochkommissar und jede UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte bringt die eigene Persönlichkeit und eigene Erfahrungen in das Amt ein. Der Jordanier Zeid Ra'ad al Hussein bildete da keine Ausnahme.
Zeid Ra’ad al Hussein war von 2014 bis 2018 in dieser Funktion tätig und war bekannt für seine unverblümten Aussagen, etwa im Gegensatz zu Louise Arbour (Hochkommissarin von 2004 bis 2008), die vor zu vielen öffentlichen Verurteilungen von Menschenrechtsverletzungen warnte (sie sprach von «Rufen in der Wüste»).
Die UNO sei nicht dazu da, sich mit den Mitgliedsstaaten anzufreunden, argumentierte Zeid. Um ernst genommen zu werden, müssten UNO-Diplomatinnen und Diplomaten seiner Meinung nach Klartext reden. Davon ist er bis heute überzeugt.
Von Jordanien über Jugoslawien bis nach New York
Zeid ist in privilegierten Verhältnissen in Jordanien aufwachsen (er ist sogar Mitglied der jordanischen Königsfamilie). In diesem Ambiente habe er nie an eine Karriere im Bereich der Menschenrechte gedacht: «Ich war als junger Mann viel zu unreif, um hochtrabenden Ideen und tiefgründigen Gedanken nachzugehen.»
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Aber ein Job bei der UNO-Schutztruppe während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien öffnete ihm die Augen für die Brutalität, zu der Menschen fähig sind.
Dabei wurde ihm auch die häufig bemängelte Unzulänglichkeit der UNO-Diplomatie klar. Er ist fest davon überzeugt, dass die Dinge eine schlimme Entwicklung nehmen, wenn sich die UNO zurückhält.
«Ich wusste von meinen Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien, dass die UNO katastrophale Dinge bewerkstelligt, wenn sie glaubt, sich unter Freunden zu bewegen.»
Hat er mit der Zusage gezögert, als er angefragt wurde, ob er UNO-Menschenrechtskommissar werden wolle? Er erinnert sich, dass er dieses Amt eigentlich gar nicht anstrebte.
Zeid hatte geplant, die UNO zu verlassen, aber in New York zu bleiben. Stattdessen blieb er dann bei der UNO und verliess New York in Richtung Genf.
Im Jahr 2023 hat SWI swissinfo.ch einen Schwerpunkt auf den 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gelegt – diesem bahnbrechenden Grundsatzpapier, das – fun fact – das meistübersetzte Dokument der Welt sein soll.
Der derzeitige UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, beschreibt die Erklärung als «ein transformatives Dokument… als Antwort auf die katastrophalen Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs».
Die Allgemeine Erklärung wurde bereits 1948 verfasst. Trotzdem dauerte es bis 1994, bis mit dem Ecuadorianer José Ayala Lasso der erste UN-Kommissar ernannt wurde. Der Posten als Kommissar gilt seither vielen als der härteste Job der UN.
Für unseren Podcast Inside Geneva-Podcast haben wir sämtliche ehemaligen UNO-Hochkommissarinnen und -kommissare für Menschenrechte interviewt und gefragt, wie sie den Einfluss der Menschenrechtserklärung und ihres Amtes und die Entwicklung der Welt sehen.
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Gute Schlagzeilen
Journalist:innen erinnern sich daran, dass Zeid immer für eine Schlagzeile gut war. In seiner ersten Rede vor dem UNO-Menschenrechtsrat im Jahr 2014 verurteilte Zeid, der erste Muslim in diesem Amt, den Islamischen Staat vorbehaltlos und nannte ihn ein «Bluthaus».
Er richtete seinen kritischen Blick aber auch auf einige der ältesten Demokratien der Welt. Grund: Viele von ihnen zeigten seiner Meinung nach Risse und wandten sich einem Populismus mit rassistischen Elementen zu.
In einer Rede im Jahr 2016 in Den Haag verurteilte er «nationalistische Demagogen» wie den Niederländer Geert Wilders, Marine le Pen in Frankreich und Nigel Farage im Vereinigten Königreich. Er beschuldigte diese, «eine von Hass erfüllte Atmosphäre zu schaffen.»
Und als Donald Trump als Kandidat der Präsidentschaftswahlen 2016 sagte, er würde die Folter von Terrorverdächtigen befürworten, erklärte Zeid, dass seiner Meinung nach Trumps Wahl «eine Gefahr» darstelle.
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Er bereut nichts
Bereut er heute, einige dieser schlagzeilenträchtigen Äusserungen gemacht zu haben? Offenbar nicht, dann er lacht immer noch herzlich bei der Erinnerung an den Wirbel, den seine Bemerkungen über Trump auslösten.
Aber er weist vor allem darauf hin, dass während seiner Amtszeit viel Arbeit geleistet wurde, die für wenige grosse Schlagzeilen sorgte, von Syrien über Myanmar bis hin zu Venezuela.
Zeids Vision für die UNO ist verlockend. Er glaubt, dass diese Organisation viel mehr Macht entfalten könnte, wenn ihre Führungspersonen nur den Mut hätten, sich entschiedener für die Grundrechte und Grundwerte sowie für den Multilateralismus einzusetzen.
Viele halten seine Vision für unrealistisch. Ihnen hält er entgegen, dass in diesem Jubiläumsjahr des 75. Jahrestags der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das grundlegende Ziel der UNO in gewisser Weise recht bescheiden ist.
«Wir streben an, einen besseren Menschen zu schaffen. Das ist es, was wir mit der Menschenrechtsagenda zu erreichen versuchen, nämlich uns selbst und unser eigenes Verhalten zu verbessern. Wir wollen unsere Stimme erheben und gewaltfrei gegen Zustände protestieren, die grundlegend ungerecht und unfair sind. Das sollte niemand bestreiten können.»
Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob
Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob
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