Das kleine Ja, das die Debatte über den Service public nicht beendet
Mit 50.08% hat das Schweizer Stimmvolk dem neuen Gebührensystem für Radio- und TV denkbar knapp zugestimmt. Weil nun das Schwarzhören und -sehen nicht mehr möglich ist, sinken die Gebühren. Einig sind sich Gegner und Befürworter darin, dass die Debatte über den Service public im Medienbereich erst am Anfang steht.
Die eigentlich «harmloseste Abstimmung» habe sich zu einem «regelrechten Hitchcock entwickelt», sagte die Schweizer Medienministerin Doris Leuthard zum knappen Resultat und zum heftig geführten Abstimmungskampf.
«Die Debatte um den Service Public wird uns zweifellos weiterbeschäftigen. Bei dieser Gesetzesrevision ging es aber nur um die Modernisierung des Erhebungssystems, und nicht um mehr.»
Darüber, dass mit dem Ja zum Systemwechsel bei der Gebührenerhebung die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst begonnen hat, sind sich die Gegner und die Befürworter der Abstimmung einig.
Die nationale Rundfunkanstalt SRG SSR freut sich in einer Mitteilung über das Ja und hält fest: «Im Umbruch der Medienwelt ist die öffentliche Diskussion über die Fortentwicklung des Service public von Radio und Fernsehen nötig und wichtig.»
Diskussion um den Leistungsauftrag
Nach dem knappen Abstimmungsergebnis müsse der Bundesrat «nun rasch handeln», fordert der Schweizerische Gewerbeverband, der gegen die Revision das Referendum ergriffen hatte und fordert «noch in diesem Jahr eine breite und fundierte Diskussion über den Leistungsauftrag des Service public».
«Die Abstimmung hat ein grosses Unbehagen gegenüber einer immer grösser werdenden und weitgehend intransparenten SRG aufgezeigt. Dem ist Rechnung zu tragen», schreibt der Gewerbeverband.
Es müsse geklärt werden, was ein nationales Medienunternehmen zum Zusammenhalt der Schweiz zu leisten habe, sagte Albert Rösti, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Klar sei, dass die Schweiz ein eigenständiges Fernsehen brauche, das auch den Wünschen der Minderheiten und Sprachregionen Rechnung trage.
Für den freisinnigen Nationalrat Christian Wasserfallen ist auch klar, in welche Richtung es punkto Service public künftig gehen soll: «Die SRG soll nur noch das produzieren, was Private mit ihren Mitteln nicht tun können.»
Auch der christdemokratische Nationalrat Martin Candinas der das neue Gebührensystem befürwortet, will sich einer Service-Public-Debatte nicht verschliessen. «Diese wird kommen, und wir müssen sie ernst nehmen.»
Respekt gegenüber Minderheiten
Als «Bekenntnis zum nationalen Zusammenhalt» und als «Zeichen des Respekts gegenüber den Sprachminderheiten» wertet die Sozialdemokratische Partei der Schweiz das Ja zum RTVG: «Nachdem die SRG gestärkt aus der Abstimmung hervorgeht, muss die seit Jahren laufende Diskussion über den medialen Service public wieder aufgenommen werden.»
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Abstimmungsresultate 14.06.2015
Die Einigkeit zwischen links und rechts, Gegnern und Befürworten des Service public im Radio- und TV Bereich über die Notwendigkeit einer Debatte ist auch darauf zurück zu führen, dass SRG-Kritiker Unterschriften für eine Volksinitiative zur Abschaffung der Gebühren sammeln. Eine erste Initiative mit diesem Anliegen war nicht zustande gekommen.
Mit dem Ja zur Revision des RTVG ist der Weg frei für ein neues Gebührensystem: Die geräteabhängige Gebühr wird durch eine allgemeine Abgabe ersetzt.
Graben zwischen den Sprachregionen
Resultat könnte als eines der knappsten in die Geschichte eingehen. Insgesamt stimmten rund 1’128’400 Personen Ja, rund 1’124’700 legten ein Nein in die Urne. Gerade mal 3996 Stimmen gaben den Ausschlag.
Die Deutschschweizer Kantone und das Tessin lehnten die Revision mit Ausnahme von Basel Stadt ab. Die frankophone Schweiz sagte geschlossen und deutlich Ja.
Gebühren sinken
Mit der Revision will das Parlament der Tatsache Rechnung tragen, dass die meisten Haushalte über Empfangsgeräte verfügen, da Radio- und TV-Programme heute auch auf dem Handy und dem Computer empfangen werden können.
Die Anmeldung bei der Inkassogesellschaft Billag entfällt, und auch Kontrollen braucht es keine mehr. Während einer fünf Jahre dauernden Übergangsfrist können sich Medienabstinente von der Gebühr befreien lassen. Dauerhaft befreit sind alle Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen.
Weil es keine Schwarzseherinnen und Schwarzhörer mehr gibt, wird die Gebühr sinken – nach Angaben des Bundesrates auf rund 400 Franken. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass das Volk am Ende doch Ja gesagt hat.
Private profitieren
Auch wenn es sich um eine technische Vorlage handelte, ist es den Gegnern im Abstimmungskampf gelungen, eine breite Debatte zur Rolle der SRG SSR ins Rollen zu bringen. Federführend im Lager der Gegner war der schweizerische Gewerbeverband, der behauptete, es handle sich beim Systemwechsel um die Einführung einer neuen Steuer.
Dass der Gewerbeverband gemeinsam mit bürgerlichen Parteien das Gesetz bekämpfte, hängt mit den neuen Regeln für Unternehmen zusammen. Zwar werden rund drei Viertel der Unternehmen – jene mit einem Umsatz von unter 500’000 Franken pro Jahr – von der Abgabe befreit, und Unternehmen mit einem Umsatz von 500’000 bis zu einer Million Franken müssen weniger bezahlen als heute.
Bei einem Umsatz von einer Million Franken liegt die Abgabe aber bei 1000 Franken und soll dann stufenweise steigen. Grossunternehmen dürften mit dem Ausgang der Abstimmung also nicht zufrieden sein.
Dafür profitieren private Radio- und Fernsehveranstalter. Sie erhalten künftig einen grösseren Anteil aus dem Gebührentopf – bis zu 81 Millionen Franken im Jahr statt wie bisher 54 Millionen.
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