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Gebühr angenommen, aber Service public zunehmend unter Druck

Heute haben fast alle Menschen in der Schweiz einen Computer oder ein Smartphone, um die Angebote der SRG zu nutzen zu können. Deshalb ist jetzt die Gebührenzahlung für alle Haushalte obligatorisch. Keystone

Der knappe Ausgang als Fingerzeig, wie dringlich und umstritten eine Neuverhandlung des Auftrags der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG ist: Dies der Tenor der Kommentatoren in der Schweizer Presse zum "Herzschlag-Ja" des Schweizer Stimmvolkes zum neuen Gebührenmodell des grössten Medienunternehmens des Landes.

3696: Noch nie haben so wenig Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Ausschlag gegeben wie diese Zahl der Urnengänger am 14. Juni 2015. Sie sorgten am Sonntag für die hauchdünne Mehrheit von 50,08% zugunsten des neuen Bezahlmodells für die SRG-Gebühren. Diese werden von aktuell gut 460 Franken auf 400 Franken sinken.

Doch Euphorie bei der Siegerin und ihren Unterstützern sei keine angesagt, warnen die Schweizer Medien.

«Über dieses Ja kann sich die nationale Radio- und Fernsehanstalt nicht freuen», schreibt der Bund. «Die SRG muss zur Kenntnis nehmen, dass sie in der Bevölkerung weniger verankert ist, als sie sein müsste. So zu tun, als sei nichts passiert – das geht bei diesem Resultat nicht.»

Der Bundesrat müsse der SRG nun das Ziel setzen, die Gebühren mittelfristig substanziell zu senken, fordert die Zeitung aus Bern.

«Das ist eine Ohrfeige für die SRG! Die Radio- und TV-Gebühren sinken von 462 auf rund 400 Franken – und trotzdem haben die Schweizerinnen und Schweizer die Vorlage nur hauchdünn angenommen», schreibt der Blick.

Auch die Tribune de Genève wertet das Resultat als Zeichen eines starken Misstrauens gegenüber dem «Mammut». Dieses habe in den Augen seiner Gegner an «Bürokratie und Übergewicht» zugelegt.

Klares Ja der Fünften Schweiz

Die Auslandschweizer, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, sprachen sich klar für das revidierte Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) aus. Dies geht aus den Zahlen hervor, welche die Kantone Aargau, Basel-Stadt, Freiburg, Luzern, St. Gallen, Thurgau, Wallis, Waadt und Zürich veröffentlichten. Diese 10 Kantone weisen die Stimmen der registrierten, also stimmberechtigten Auslandschweizer, separat aus.

In allen zehn Kantonen sagte die Diaspora Ja zur Vorlage, während das heimische Stimmvolk diese nur in drei dieser zehn Kantone angenommen hat, nämlich in Basel-Stadt, Freiburg und Waadt.

Auslandschweizer müssen keine Radio- und Fernsehgebühren entrichten. Wollen sie Programme des Schweizer Fernsehen in Deutsch, Französisch oder Italienisch empfangen, können sie dies via Satellit resp. Sat Access tun. Das Angebot kostet pro Jahr 120 Franken, die notwendige Karte 60 Franken. Je nach Land kommen noch Mehrwertsteuern von 9% bis 20% dazu.

Die fünfte Schweiz zählt aktuell rund 740’000 Personen. Davon sind 155’000 registrierte Stimmbürger, die an nationalen Abstimmungen und Wahlen teilnehmen können.

«Das Ja ist kein Freipass für die SRG», schreibt auch das St. Galler Tagblatt. «Nun muss der Rahmen für die SRG definiert und in grosszügigen Pinselstrichen skizziert werden, was Service public sein soll. Die Förderung des Verständnisses der – gerade bei dieser Abstimmung weit auseinanderliegenden – Landesteile untereinander gehört dazu.»

«Service public reduzieren!»

«Das muss dem nationalen Mediengiganten, aber auch der Politik schwer zu denken geben. Beide müssen über die Bücher – und den Service public auf seinen Ursprung zurückführen», schreibt die Nordwestschweiz.

Die Berner Zeitung sieht konkret Bundesrat und Parlament in der Pflicht, «die nun – endlich – ein medienpolitisches Konzept zu erarbeiten haben, das diesen Namen auch verdient. Das heisst: Sie müssen der SRG verbindliche Schranken setzen, ohne sie zu demontieren. Denn unbestritten ist, dass die SRG in vielen Belangen Hervorragendes leistet und damit breite Akzeptanz geniesst.»

Die Neuenburger Blätter L’Express/L’Impartial fordern, die SRG müsse «sich reformieren, ihre wuchernden Strukturen reduzieren, sich an die Erwartungen ihres Publikums anpassen und technologische Entwicklung genauso wie die Veränderung der Medienlandschaft berücksichtigen».

«Die Hälfte ist unzufrieden», diagnostiziert der Zürcher Tages-Anzeiger und leitet daraus ab: «Der publizistische Auftrag der SRG muss angepasst werden.» Zentraler Punkt sei das Internet, wo sich die SRG zum Missfallen der privaten Konkurrenz stark ausbreite. «Die Politik muss definieren, wie viel publizistische Freiheit es für die SRG erträgt, damit dem Verfassungsauftrag nachgelebt wird, der zur Rücksichtnahme auf die Presse verpflichtet. Sie muss sagen, ob Budget und Angebot der SRG weiterhin so rasant wachsen sollen.»

Auch die Aargauer Zeitung nimmt ein «Unbehagen gegenüber der SRG» wahr und fordert ein Herunterfahren des Service public auf seinen Ursprung. «Dazu braucht es nicht 24 Sender. Und kein vollwertiges Online-Portal, wie es jedes grosse, private Medienunternehmen ebenfalls anbietet.»

Romandie als «Retterin»

«Die SRG wird künftig mit härterem Gegenwind rechnen müssen», prophezeit auch die Neue Zürcher Zeitung. «Ende 2017 läuft die Konzession des nationalen Rundfunks aus. Da werden die Befürworter einer Einschnürung der SRG einhaken. Eine zähe Debatte ist zu erwarten.»

Dazu titelt die Zeitung 24 Heures: «Die echte Debatte beginnt in einer grossen Verwirrung.» Denn der knappe «Etappensieg» erhitze nun die Diskussionen zusätzlich, was bei einem derart wichtigen Thema nicht förderlich sei.

Die Romandie habe das neue RTVG gerettet, hält der Quotidien jurassien fest. Doch: «Der Wind des Geschosses hat Doris Leuthard und all den Befürwortern dieser äusserst knapp angenommenen Vorlage die Frisur zerzaust.»

Die Neue Luzerner Zeitung plädiert für die Einhaltung klarer Grenzen in den Neuverhandlungen des SRG-Mandats. Gerade die Westschweiz, welche die Vorlage am stärksten unterstützte, habe das Angebot der SRG besonders nötig. «Die Voraussetzungen, dass der Markt dort ein allfälliges Informationsvakuum füllen kann, sind nicht gut. Deshalb braucht es jenseits des Röstigrabens wohl mehr SRG als in der Deutschschweiz. Dieses Fazit zur Service-public-Debatte scheint schon heute klar.»

«Nimbus als nationale Klammer verloren»

«Die Diskussion geht erst los», so die Südostschweiz. Doch zuerst einmal rechnete die Zeitung aus Graubünden ab. «Beinahe hätten es der Schweizerische Gewerbeverband und vor allem dessen argumentativ Amok laufender Direktor Hans-Ulrich Bigler geschafft, mit ihrer Desinformation ein Gesetz abzuschiessen, das die Gebühren für die allermeisten Radio- und Fernsehkonsumenten vergünstigt.» Biglers Argumentation bezeichnet der Kommentator als «eine der widerlichsten Abstimmungskampagnen in der Geschichte des Bundesstaates».

Die Zitterpartie zeige, dass der Service-public-Begriff, den die SRG so oft im Munde führe, schal geworden sei. In der nur erforderlichen Diskussion um die künftige Rolle der SRG » gilt es, Fragen nach dem sich rasch ändernden Mediennutzungsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten ebenso zu berücksichtigen wie jene nach der stark umstrittenen werbeunterstützten Präsenz im Internet», so die Südostschweiz. «Wie auch immer die Antworten ausfallen werden, klar ist, dass die SRG ihren Nimbus als nationale Klammer verloren hat. Gleichzeitig müsse sie viel Widerstandskraft gegen politische Einflussnahme-Versuche entwickeln. «Denn genau darum geht es der Anti-SRG-Allianz letztlich. Staatspolitisch wäre das verheerend.»

Auch die Internetplattform Watson thematisierte den Feldzug des Gewerbeverbandes gegen die Vorlage. Direktor Hans-Ulrich Bigler und sein Kommunikations-Verantwortlicher «scherten sich keinen Deut um den eigentlichen Inhalt der Vorlage, sondern platzierten gebetsmühlenartig ihre kreuzfalschen Botschaften: Das neue RTVG schaffe eine ‹Mediensteuer'».

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