Schweiz hat Kroatien-Protokoll unterzeichnet
Die Schweiz will die Personenfreizügigkeit auf Kroatien ausdehnen. Staatssekretär Mario Gattiker hat am Freitag Vormittag in Brüssel das entsprechende Zusatzprotokoll mit der EU unterzeichnet. Die Umsetzung muss bis am 9. Februar 2017 erfolgen, sonst droht der Rauswurf bei der Forschungsförderung im EU-Rahmenprogramm Horizon 2020.
Die Unterzeichnung war längst fällig. Aber seit Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative am 9. Februar 2014 war der Schritt blockiert. Nun zeichnet sich bei der umstrittenen Umsetzung der Volksinitiative eine Lösung ab, die Probleme bei der Personenfreizügigkeit können möglicherweise gelöst werden. Darum hat sich die Schweizer Regierung entschieden, das Protokoll doch zu unterzeichnen.
Der Bundesrat steht unter enormem Zeitdruck. Denn die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien wurde 2014 mit dem Forschungsabkommen Horizon 2020 verknüpft, das für den Forschungsstandort Schweiz von eminenter Bedeutung ist. Als provisorische Lösung handelte der Bundesrat damals einen teilweisen Anschluss aus.
Der Schweiz winkt sogar die volle Horizon-Assoziierung, jedoch nur, wenn das Kroatien-Protokoll bis am 9. Februar 2017 ratifiziert ist. Andernfalls fliegt die Schweiz definitiv aus der europäischen Forschungszusammenarbeit. Nun könnte der Ratifizierungsprozess aber noch gerade rechtzeitig abgeschlossen werden.
Kein SVP-Referendum
Der Nationalrat will das Geschäft schon in der Sondersession im April behandeln, der Ständerat wäre dann im Sommer an der Reihe. Möglicherweise gibt es nicht einmal ein Referendum gegen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Die SVP jedenfalls, die Urheberin der Initiative «gegen Masseneinwanderung», wird keine Unterschriften sammeln.
Das sagte Parteipräsident Toni Brunner am Westschweizer Radio. Die SVP werde sich auf die Kernfrage konzentrieren. Das sei die Umsetzung des Verfassungsartikels für die Begrenzung der Zuwanderung. Die Kroatien-Frage sei ein «Nebenkriegsschauplatz», sagte Brunner.
Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) zeigte sich erfreut über diese Entwicklung. Durch die Unterzeichnung des Kroatien-Protokolls bestehe die Möglichkeit, ab Ende 2016 die volle Assoziierung der Schweiz an Horizon 2020 sicherzustellen, heisst es in einer Stellungnahme. Dies sei für die Forschung und die Wirtschaft in der Schweiz von grösster Bedeutung. Die Beiträge aus dem europäischen Forschungsbudget belaufen sich laut SNF auf Dutzende Millionen Franken pro Jahr.
Ominöse Schutzklausel
Seine Vorschläge, wie der neue Verfassungsartikel umgesetzt und die Zuwanderung künftig gesteuert werden soll, legt der Bundesrat voraussichtlich ebenfalls heute Freitag vor. Die Masseneinwanderungs-Initiative verlangt, dass Inländer bei der Stellenbesetzung Vorrang haben und dass die Schweiz die Zuwanderung mit Kontingenten steuert.
Beides verträgt sich nicht mit der Personenfreizügigkeit. Dieses Abkommen, das Teil der Bilateralen I ist, will der Bundesrat aber nicht aufs Spiel setzen. Der wirtschaftliche und politische Schaden für die Schweiz wäre seiner Meinung nach zu gross.
Er hat nun lange darum gerungen, die neue Verfassungsbestimmung zur Zuwanderung und das Freizügigkeitsabkommen mit der EU unter einen Hut zu bringen. Im vergangenen Dezember kündigte er an, eine Schutzklausel einzuführen, mit der sich die Zuwanderung unter bestimmten Umständen einschränken liesse.
Briten bestimmen mit Brexit den Zeitplan
Diese Lösung möchte er im Einvernehmen mit der EU innerhalb des Regimes des Freizügigkeitsabkommens umsetzen. Dieses erlaubt Einschränkungen bei schweren wirtschaftlichen oder sozialen Problemen. Dass die Schweiz unter solchen leidet, dürfte gewissen Mitgliedstaaten schwer zu verkaufen sein. Ausserdem hat die EU ihre eigenen Probleme, darunter der Brexit, der drohende Austritt Grossbritanniens.
Offizielle Verhandlungen über eine Zuwanderungsbegrenzung gab es bisher nicht. Denn Brüssel hat bisher ganz klar gemacht, das die EU jegliche Begrenzung der Zuwanderung als Verletzung des freien Personenverkehrs taxiert. Es dürfte den Pragmatikern am EU-Hauptsitz zu verdanken sein, dass der Schweiz immerhin sogenannte Konsultationen zugebilligt wurden. Im Lauf dieser Gespräche ist der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass eine Schutzklausel die erfolgversprechendste Lösung ist.
Bis das Brexit-Referendum am kommenden 23. Juni über die Bühne gegangen ist, darf die Schweiz aber mit keinerlei Zugeständnissen der EU rechnen. Es wird dem Bundesrat daher möglicherweise nichts anderes übrig bleiben, als dem Parlament die Schutzklausel vorerst ohne den Segen Brüssels vorzulegen. Eine einvernehmliche Lösung will er dem Parlament nachreichen, sobald eine solche vorliegt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch