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Zwangsläufige Anfreundung mit dem OECD-Standard

Altlasten regelt der AIA nicht. Keystone

Es ist eine Kehrtwende, aber sie ist unvermeidlich: Der Bankenplatz und die Politik bereiten sich auf den automatischen Informationsaustausch vor, an dem die Schweiz mitgearbeitet hat und den die OECD mit hohem Tempo weltweit einführen will. Nächster Halt: Das G20-Ministertreffen am Wochenende in Sydney.

Die Zeiten, als der Schweizer Finanzminister erklärte, das Bankgeheimnis sei nicht verhandelbar und in Granit gemeisselt, sind vorbei. Mehr noch: Am OECD-Musterabkommen, das am Treffen der G20 offiziell vorgestellt wird, hat die Schweiz mitgearbeitet und ihre Forderungen erfolgreich eingebracht.

«Es war sicher richtig, dass sich die Schweiz aktiv beteiligt hat, obschon ihr eigentlich die Idee zuwider ist. Die Forderungen machen Sinn, und sie liegen im Interesse der Schweiz», sagt der Zürcher Bankenexperte und dezidierte Bankgeheimnis-Verfechter Hans Geiger gegenüber swissinfo.ch.

Zu den Forderungen der Schweiz zählen die Gegenseitigkeit des Austausches von Bankkundendaten. Darin unterscheidet sich der OECD-Mustervertrag vom FATCA-Abkommen mit den USA. Weiter müssen Trusts die wirtschaftlich Berechtigten offen legen, und der Datenaustausch beschränkt sich auf den Bereich der Steuern, ist also dem Datenschutz unterstellt.

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«Ehefrau erfährt nichts»

Konkret bedeute das, dass beispielsweise der deutsche Fiskus «überprüfen wird, ob das Konto von Frau Schwarzer oder Herrn Müller tatsächlich in Deutschland versteuert wird. Die Steuerbehörde darf jedoch diese Informationen nicht an andere Behörden weiterleiten», sagt Peter V. Kunz, Ordinarius für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern gegenüber swissinfo.ch. Wenn Herr Müller ein Schwarzgeld-Konto habe, werde ein Steuerstrafverfahren eröffnet, aber der Fiskus dürfe «etwa bei einem Scheidungsfall, die Informationen nicht an ein Gericht oder an die Ehefrau weiterleiten. Das war für die Schweizer Banken ein wichtiges Anliegen».

Die Offenlegung der wirtschaftlich Berechtigten bei den Trusts werde «einen Wettbewerbsnachteil des schweizerischen Bankenplatzes gegenüber angelsächsischen Niederlassungen verhindern», so Kunz.

Privilegien für die USA

Der Fahrplan der OECD zur Einführung des AIA ist ambitioniert und konkret. Im September wird das G20-Ministertreffen in Cairns den entsprechenden Standard verabschieden. Mehr als 40 Länder – darunter die USA, Deutschland und Frankreich – haben bereits angekündet, dass sie ihn so schnell wie möglich einführen wollen. Dabei zeichnet sich ab, dass die USA für sich Privilegien in Anspruch nehmen , indem sie eine vollumfängliche Reziprozität ablehnen und bei den Trust- und Offshore-Regeln Ausnahmen einführen werden. Das werde unvermeidlich sein, ärgert sich Hans Geiger: «Die USA halten sich nicht an den Standard, das ist die Machtpolitik der Welt.»

Der OECD-Standard besteht im Wesentlichen aus einem Musterabkommen, das den Staaten als Grundlage dient, um untereinander entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abzuschliessen. Der AIA kann nicht rückwirkend angewendet werden und beinhaltet keine Regelung für die Vergangenheit, also für die Legalisierung der in der Schweiz gebunkerten Schwarzgelder.

Die Eckwerte für den AIA seien schneller entwickelt worden als erwartet, sagte die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung.

Deshalb sei nun «die Zeit knapper geworden, um (mit den EU-Staaten) eine Lösung für die Fragen zu finden, die uns wirklich umtreiben – den Marktzugang und eine Lösung für die Altgelder-Regulierung», sagte Widmer-Schlumpf.

Da mit dem AIA alle ausländischen Vermögen offengelegt werden, strebt die Schweiz für unversteuerte Gelder eine Globallösung mit anderen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Italien an.

Für die innenpolitische Umsetzung des AIA strebt Widmer-Schlumpf schon im kommenden Jahr eine Vorlage ans Parlament an.

Schwerstarbeit für die Regierung

In den meisten Ländern hat die Regierung die nötige Kompetenz, den AIA einzuführen. In der Schweiz bedingt ein solcher Schritt Gesetzesänderungen und neue völkerrechtliche Verträge, also einen parlamentarischen Prozess und möglicherweise auch eine Volksabstimmung.

«Die innenpolitische Sicht spielt eine grosse Rolle. Es kommt einiges an politischer Arbeit auf den Bundesrat zu», sagt Peter V. Kunz: «Er muss versuchen, bei den Verhandlungen mit den Staaten etwas für die Aufgabe des Bankkundengeheimnisses zu bekommen. Eine grosse Herausforderung ist die Bereinigung der Altlasten durch Steuer-Amnestien, Selbstanzeigeprogramme oder eine Abgeltungssteuer im jeweiligen Land.» Im Fokus der Verhandlungen wird auch der freie Marktzugang für Schweizer Banken im Ausland stehen.

Wenn es nicht gelinge, für die Altlasten, also für die Legalisierung des Schwarzgeldes, eine Lösung zu finden, dann müsse «die Schweiz damit rechnen, dass vor der Einführung des AIA Gelder in Steuerparadiese abfliessen werden», so Kunz.

Der AIA bedeutet einen Paradigmenwechsel im internationalen Kampf um Steuergerechtigkeit.

Für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt er eine Weiterentwicklung des Informationsaustauschs auf Anfrage dar. Ziel des AIA ist es, im Ausland deponierte Schwarzgelder sichtbar zu machen.

Das Fiskalkomitee der OECD, dem die Schweiz angehört, hat den Standard des AIA soweit festgelegt, dass er am 22. und 23. Februar anlässlich des G20-Ministertreffens in Sydney vorgestellt werden kann.

Der Bundesrat hat im Juni 2013 der Verwaltung den Auftrag erteilt, an der Erarbeitung eines Standards mitzuarbeiten.

Im Juni 2014  wird das Fiskalkomitee der OECD den neuen Standard genehmigen. Im September wird die G20 diesen voraussichtlich auch auf politischer Ebene verabschieden.

Der Standard umfasst ausdrücklich keine Regelung der Altlasten.

Kehrtwende der Banken

Der Bundesrat möchte den Gesetzgebungs- und den administrativen Prozess zur Einführung des AIA zügig vorantreiben. Innenpolitischer Widerstand ist vor allem seitens der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei programmiert. Die Banken jedoch haben den Widerstand aufgegeben. «Seit Anfang 2013 Luxemburg und Österreich ihre Vorbehalte aufgegeben haben, ist uns klar, dass wir uns offen zeigen müssen. Das ist eine internationale Entwicklung, und dieser kann man sich nicht verschliessen. Wir wollen und sind bereit, den AIA umzusetzen», sagt Sindy Schmiegel Werner, Leiterin Public Relations bei der Schweizerischen Bankiervereinigung gegenüber swissinfo.ch.

Die Schweiz habe sich «zwangsläufig mit dem AIA angefreundet, weil man gesehen hat, dass er sich zum internationalen Standard entwickeln wird. Das tut er schneller, als wir angenommen haben. Es macht aber keinen Sinn, sich gegen das Unvermeidliche zu sträuben», sagt Peter V. Kunz: «Nicht nur die Banken haben eine Kehrtwende gemacht, sondern auch die offizielle Politik der Schweiz.»

Gegen Treu und Glauben

Hans Geiger sieht im AIA zwar eine «polizeistaatliche Methode», die im «totalen Widerspruch» stehe zum » Prinzip von Treu und Glauben zwischen Staat und Bürger». Deshalb werde die Schweiz im Inland beim «Modell der Selbstdeklaration bleiben, also das Bankgeheimnis aufrecht erhalten».

Im internationalen Kontext habe die Schweiz «resigniert» und den Standard akzeptiert, aber das sei «wahrscheinlich auch richtig» und entspreche der «praktischen Realität.»

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