Auswandern mit der Familie: Was tun, wenn das Kind nicht mit will?
Neue Umgebung, neue Schule, neue Freunde – Bei Kindern kann eine Auswanderung Ängste wecken. Zwei Expertinnen geben Tipps.
Sie träumen von dem angenehmen Klima, einer neuen Kultur, jeden Tag surfen oder dem höchst attraktiven Karriereschritt. Ihre Tochter hingegen weint bittere Tränen. Freude auf das neue Leben im Ausland? Kommt bei ihr nicht wirklich auf.
Weitere hilfreiche Artikel zum Auswandern und Leben im Ausland finden Sie auf unserer Ratgeber-Seite.
Meist ist eine Auswanderung für die Eltern ein spannender neuer Lebensabschnitt, für die Kinder jedoch häufig erst einmal ein grosses Problem. Diese 13 Schritte können beim Auswandern mit Kindern helfen:
1. Ziehen Sie alle Beteiligten in den Entscheid ein
«Berufen Sie eine Familiensitzung ein», empfiehlt Claudia Doron, die beruflich Auswander:innen coacht. Es sei wichtig, die Kinder von Anfang an in den Prozess einzubeziehen, auch wenn der Entscheid aus verschiedenen Gründen nicht immer gemeinsam getroffen werden könne. «Ein neuer Lebensabschnitt in der Ferne geht schliesslich alle etwas an.»
2. Sprechen Sie offen über Sorgen und Ängste
Sie sollten sich darauf einstellen, dass ihre Kinder – je nach Altersphase – auf die Pläne erst mal ablehnend reagieren. «Da können durchaus Tränen fliessen.» Zeigen Sie Verständnis und Geduld. Denn während die Eltern sich mit der Auswanderung oft einen Lebenstraum verwirklichen möchten, bedeutet ein Umzug für die Kinder zuerst einmal Abschied.
3. Nehmen Sie Ihre Kinder ernst
«Hören Sie aufmerksam zu und notieren Sie sich die Einwände und Sorgen Ihrer Kinder», empfiehlt Claudia Roebers, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern, die selbst mit ihrer Familie von Deutschland in die Schweiz eingewandert ist. «Das Gespräch bei Widerstand einfach abzubrechen und Sätze wie: Papa hat eine grossartige Karrierechance im Ausland und ihr müsst jetzt einfach auf die Zähne beissen, sind Gift», warnt Roebers.
Gewisse Bedenken zum Auswandern mit Kindern sind nicht unbegründet, gerade bei Jugendlichen. Eine Langzeitstudie der University of Manchester zeigt, dass Umzüge die psychische Gesundheit vor allem von zwischen 12- und 14-Jährigen negativ beeinflussen. «In diesem Alter ist man stark auf Beziehungen ausserhalb der Familie angewiesen und erlebt im Alltag ohnehin bereits viele Unsicherheiten.» Zudem haben Jugendliche in der Heimat Wurzeln geschlagen und stehen vielleicht auch den Grosseltern nahe. «Wird ein Teenager dann aus der vertrauten Umgebung herausgerissen, kann das Folgen haben.»
Dazu kämen schulische und sprachliche Herausforderungen. «Die Kinder können durch eine Auswanderung zurückgeworfen werden. Sie kommen sowohl leistungsmässig als auch sozial-emotional in ein Vakuum; und es ist bei jedem Kind und jedem Jugendlichen anders, wie schnell sie da wieder herausfinden.»
Für Kleine unter zehn ist es meist einfacher. Ihre Hauptbezugspersonen sind die Eltern und sie knüpfen rasch Kontakte zu neuen Gspänli. Doch auch hier sollte man nicht alles durch die rosarote Brille sehen. «Mit einem Umzug verschiebt sich innerhalb des Familiensystems etwas. Vertraute Strukturen und Sicherheiten brechen weg, Beziehungsnetze werden zerschnitten – je weiter weg gezügelt wird, desto mehr – und andere geknüpft. Jeder Einzelne muss sich neu orientieren.» Dabei, so Roebers, könne es sowohl Gewinner als auch Verlierer geben.
4. Versuchen Sie Probleme abzufedern
Ängste erkennen, Chancen ergreifen: Um das Auswandern möglichst kinderfreundlich zu gestalten, kann es hilfreich sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die den Übergang erleichtern. Das könnte beispielsweise bedeuten, den Kontakt zu Freunden in der Schweiz aufrechtzuerhalten und gewisse Kompromisse auszuhandeln. Claudia Roebers: «Vielleicht dürfen die Kinder einmal pro Jahr für eine Woche jemanden in die neue Heimat einladen. Oder regelmässig online zusammen gamen.»
Auch jährliche oder halbjährliche Besuche in der Schweiz ermöglichen es Kindern, ihr soziales Umfeld in der Heimat zu pflegen. Es ist wichtig, individuell auf die Bedürfnisse jedes Kindes einzugehen. «Manche knüpfen dank ihrer offenen Art schnell Kontakte und haben womöglich andere Sorgen und Anliegen als die introvertierten Geschwister.»
5. Sorgen Sie für tolle Ausblicke
Ist die Tochter eine begnadete Tänzerin? Zeigen Sie ihr doch das Angebot der tollen Tanzschule vor Ort, damit sie sich auf etwas freuen kann. Oder träumt sie schon lange vom Rugby-Spielen und bisher hat es nie geklappt? Am neuen Wohnort gibt es vielleicht ein Team. So könnte die Vorfreude bald grösser sein als der Abschiedsschmerz.
6. Entdecken Sie die neue Wahlheimat
Planen Sie gemeinsam eine Reise an den möglichen neuen Wohnort, um die Umgebung zu erkunden. «Gestalten Sie den Aufenthalt möglichst unterhaltsam und als Familienabenteuer«, empfiehlt Auswanderungs-Coach Claudia Doron. Zuhause können Filme, Bücher oder selbst gekochte traditionelle Gerichte dabei helfen, sich auf die mögliche neue Heimat einzustimmen.
7. Seien Sie flexibel
Der Bildungsweg Ihrer Kinder könnte, je nach Alter, an einem kritischen Punkt unterbrochen werden. In solchen Fällen kann es Sinn machen, den Umzug zu überdenken oder die Jugendlichen etwas zeitversetzt nachziehen lassen. «Eine Möglichkeit könnte sein, das Auswandern zu verschieben oder, dass das Kind für ein Jahr zu den Grosseltern zieht, damit es die Schulzeit in der gewohnten Umgebung abschliessen kann», sagt Claudia Roebers.
Es sei entscheidend, dass auch solche Entscheidungen nicht über die Köpfe der Jugendlichen hinweg getroffen werden. «Stellen Sie Fragen und hören Sie auf die Bedürfnisse Ihres Kindes.“
8. Melden Sie Ihre Kinder für einen Sprachkurs an
Wenn der Umzug-Entschluss gefasst ist, sollten die Kinder so bald wie möglich mit dem Erlernen der Sprache des neuen Heimatlandes beginnen. Die Sprache ist ein Schlüssel zur Integration und hilft, sich schneller in der neuen Umgebung zurechtzufinden und sich wohlzufühlen.
9. Kontaktieren Sie die neue Schule
Bitten Sie die Schule, Ihnen einen Überblick zum Unterrichtsstoff zu schicken, damit Ihr Kind sich vorbereiten kann. Zudem hilft ein Austausch zwischen Kind und Lehrperson: Möchte es lieber vorne oder hinten im Klassenzimmer sitzen, würde ein Platz neben einer besonders offenen Klassenkamerad:in helfen oder bietet es sich allenfalls an, dass die Lehrer am Starttag der Klasse etwas über die Schweiz erzählen? «Selbst kleine Details können den Eingewöhnungsprozess erleichtern und dem Kind ein Gefühl von Sicherheit geben», meint Claudia Doron.
Auswandern mit schulpflichtigen Kindern
Hilfreich kann in diesem Zusammenhang auch dieser Artikel der Genossenschaft Soliswiss über die verschiedenen SchulformenExterner Link sein.
10. Lassen Sie Ihre Kinder ihr neues Zimmer gestalten
Das steigert die Vorfreude und ermöglicht es den Kindern, aktiv am Umzug mitzuwirken. Am besten richten Sie das Zimmer dann auch als erstes ein. So haben Ihre Kinder sofort einen vertrauten Raum.
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11. Lassen Sie Freiheiten beim Packen
Den ganz Kleinen kann es helfen, im Handgepäck das Lieblingsspielzeug zu verstauen. Etwas Vertrautes beim Auswandern bei sich zu haben, gibt Sicherheit.
In diesem Artikel finden Sie Tipps für die logistischen Schritte eines Umzugs ins Ausland.
12. Helfen Sie bei der Integration im Ausland
Üben Sie sich in der Neue-Freunde-Akquise und unterstützen Sie Ihre Kinder beim Finden neuer Freunde. Organisieren Sie Spieltreffen für die Kleineren. Wenn es dem Teenager schwerfällt, in der Schule neue Freundschaften zu schliessen, bieten Sie ihm an, einen neuen Sportkurs oder eine Jugendgruppe zu besuchen.
Alternativ können Sie den Kontakt zu anderen Auslandschweizer:innen und Ihren Familien suchen, die ihre Erfahrungen im Auswandern mit Kindern teilen. Vernetzen Sie sich mit anderen Swiss Abroad über die Auslandschweizer-OrganisationExterner Link, über diverse Facebook-Gruppen wie «AuslandschweizerExterner Link«, «Swiss People Living In The USAExterner Link» oder «Schweizer in DeutschlandExterner Link«.
In diesem Artikel geben Expert:innen Ratschläge zur Integration im Ausland.
13. Geben Sie Ihren Kindern Zeit
Auf die Kinder stürzt in dieser Zeit viel Neues ein. Seien Sie kulant, wenn einmal Schwierigkeiten auftauchen und geben Sie ihnen Zeit, richtig anzukommen.
Das sind einige hilfreiche Bücher zum Thema:
- «Wir ziehen um!» von S. Barroux und Alice Brière-Haquet
- Auswandern mit Kindern: «Gut planen – Traumziel erreichen» von Utta Müller
- «Ins Ausland mit Kindern und Jugendlichen» von Rolf Daufenbach und Andreas Bittner
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