Die Schweizer Diaspora hat die Rentenreform klar unterstützt
Die AHV21-Reform, die das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre anhebt, kam in der Abstimmung nur knapp durch. Die Auslandschweizer:innen sprachen sich jedoch weitaus deutlicher für ein Ja aus. Hätte nur die Fünfte Schweiz abgestimmt, wären zudem die Massentierhaltung abgeschafft und die Reform der Verrechnungssteuer angenommen worden.
Auch die Auslandschweizer:innen nahmen am Sonntag die beiden Vorlagen an, mit denen die Rentenreform in der Schweiz umgesetzt werden soll. Doch während die Änderung des Bundesgesetzes AHV 21, mit der das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre angehoben wird, auf nationaler Ebene nur äusserst knapp angenommen wurde, war die Zustimmung in der Schweizer Diaspora weitaus deutlicher.
In der Schweiz lehnten die lateinischen Kantone die Vorlage einstimmig ab, doch dieser «Röstigraben» war nicht grenzüberschreitend: Die im Ausland wohnhaften Romands stimmten mit Ja, mit Ausnahme derjenigen, die im Kanton Genf stimmberechtigt sind.
Die Reform war mit einer zweiten Vorlage gekoppelt: Der Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7,7% auf 8,1%, die eine zusätzliche Finanzierungsquelle für die AHV sicherstellen solle. Auch diese zweite Vorlage wurde von der schweizerischen Diaspora deutlicher angenommen.
Die Erklärung für die stärkere Unterstützung der AHV21 ist nicht im demografischen Profil der Auslandschweizer:innen zu suchen. Im Jahr 2021 bestand die helvetische Diaspora mehrheitlich aus Frauen, die in der Schweiz mehrheitlich eine treibende Kraft bei der Mobilisierung gegen die Reform waren. Ebenso sind Pensionierte in der Regel am stärksten für die Vorlage, stellen aber in der Fünften Schweiz nicht die Mehrheit.
Ein anderer Erkläransatz wäre, dass es meistens Industrieländer sind, die hinsichtlich ihrer Rentensysteme vor Herausforderungen stehen. Viele Regierungen haben bereits beschlossen, das Renteneintrittsalter von Männern und Frauen zu harmonisieren oder sogar weitergehende Rentenerhöhungen vorzunehmen. «Es gibt also sicherlich eine grössere Toleranz in diesen Fragen seitens der im Ausland lebenden Personen», argumentiert Martina Mousson, Politologin beim Institut gfs.bern. Ausserdem hat die Erhöhung des Rentenalters in der Schweiz weniger Auswirkungen auf die im Ausland arbeitenden Schweizer:innen, die im System ihres Wohnlandes eingegliedert sind.
Eine ähnliche Logik galt sicherlich auch für die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes, so Martina Mousson. «Da die Schweizer Diaspora in der Schweiz nicht konsumiert, ist sie von den finanziellen Folgen der Massnahme weniger betroffen», stellt die Politologin fest. Sie fügt hinzu, dass die Schweiz im internationalen Vergleich einen sehr niedrigen Mehrwertsteuersatz hat. Das könnte eine Erhöhung akzeptabler machen.
Die Expertin weist ausserdem darauf hin, dass sich der Trend zum Nein zur Rentenreform in der Schweiz in den letzten Momenten verstärkt hat, dank der Mobilisierung des Nein-Lagers nach den letzten Umfragen. Dies wirkte sich auf die nationalen Ergebnisse aus, nicht aber auf die Ergebnisse der Auslandschweizer:innen, die in der Regel früher abstimmen und von den Kampagnen weniger angesprochen werden.
Unterschiedliche Ausgänge für zwei Vorlagen
Im Gegensatz zum Rest des Landes stimmte in der Fünften Schweiz eine knappe Mehrheit mit Ja für die Initiative, die ein Verbot der Massentierhaltung in der Schweiz fordert. Martina Mousson führt als Erklärung den Geldbeutel an. «Das Bewusstsein für das Wohlergehen der Tiere ist auch in der Schweiz vorhanden, aber hier hat sich die Debatte stark auf die steigenden Preise kristallisiert, was die im Ausland lebenden Menschen nicht betrifft.»
Die Politologin erinnert daran, dass die Diaspora anders als der Rest des Landes bereits im Juni 2021 das CO2-Gesetz und zwei Initiativen, die Pestizide verbieten wollten, angenommen hätte. Damals waren die Gegenargumente mehr oder weniger dieselben. Dies deutet darauf hin, dass die Auslandschweizer:innen in ökologischen Fragen progressiver stimmen, während in der Schweiz die Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Lebensmittelpreise stärker berücksichtigt werden.
Auch in der Frage der Verrechnungssteuer stimmte die Fünfte Schweiz nicht wie der Rest des Landes ab und nahm die Massnahme knapp an. Hier hat das von der Linken vorgebrachte Argument der Steuerausfälle, das den Anstoss für das Referendum gegeben hatte, in der Auslandsgemeinschaft wenig bewirkt. «Diesmal stimmten die Auslandschweizer, wenn man vom Thema Massentierhaltung absieht, liberaler ab als ihre Landsleute», stellt Martina Mousson fest.
Durchschnittliche Wahlbeteiligung
Mit 52% war die nationale Wahlbeteiligung an diesem Sonntag eine der höchsten, die in den letzten fünf Jahren beobachtet wurde, und lag über dem Durchschnitt von 48%. «Wir hatten eher mit einer niedrigeren Wahlbeteiligung gerechnet», kommentiert Martina Mousson, «aber die abschliessende Mobilisierung des Nein-Lagers hat die Menschen sicherlich dazu gebracht, ihre Stimme abzugeben.»
Die Mobilisierung der Fünften Schweiz war hingegen durchschnittlich. In den zwölf Auslandschweizer-Bezirken wurden von 146’600 eingeschriebenen Personen rund 36’500 Stimmzettel eingezogen, was einer Stimmbeteiligung von 25% entspricht. Dieser Wert liegt zwei Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der Abstimmungen seit September 2017.
Wie bereits erwähnt, betreffen die Vorlagen, über die am Sonntag abgestimmt wurde, hauptsächlich Personen, die in der Schweiz leben, was laut Martina Mousson den Unterschied in der Mobilisierung erklärt.
Adaption aus dem Französischen: Giannis Mavris
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