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Roger Jendly erhält den Hans Reinhart-Ring 2006

Roger Jendly, Träger des Hans-Reinhart-Rings 2006. swissinfo.ch

Der Schauspieler Roger Jendly erhält dieses Jahr den Hans Reinhart-Ring, die höchste Schweizer Auszeichnung im Theaterbereich.

Jendly wird für hervorragende Verdienste um das Theater in der Schweiz geehrt, wie die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur bekannt gibt.

Nach Benno Besson, François Rochaix, Bruno Ganz, Véronique Mermoud und Gisèle Sallin erhält jetzt der Freiburger Schauspieler diese Auszeichnung für sein Lebenswerk.

Seine Karriere begann in den 1960er-Jahren. Er spielte über 70 Rollen, namentlich in Klassikern von Marivaux, Molière und Tschechow, aber auch in Werken von Bertold Brecht und anderen zeitgenössischen Autoren.

Ausserdem spielte Jendly in gut 50 Kino- und Fernsehfilmen. Und er übernahm auch deutschsprachige Rollen.

swissinfo: Der Hans Reinhart-Ring ist die Krönung für ein grosses Engagement im Schweizer Theater. Welches waren Ihre besonderen Leistungen?

Roger Jendly: Da war zuerst das Théâtre populaire romand (TPR), das wir 1961 in La Chaux-de-Fonds gründeten. Damals gab es ausserhalb der grossen Städte nicht viele professionelle Theater, in der Romandie nur in Genf und Lausanne. Wir wollten das Berufstheater dezentralisieren und gingen damit in die Dörfer und Kleinstädte.

Das war auch ein politisches Engagement. Man fand, dass das Theater nicht nur Unterhaltung sei, sondern die Leute auch zum Nachdenken bringen sollte, um Veränderungen zu bewirken. Die Welt haben wir nicht verändert, aber wir waren 20 Jahre alt und leisteten hervorragende Arbeit, wir gingen auf das Publikum zu. Und dabei vergassen wir die Kinder nicht, wir machten auch viel für sie.

Ich blieb zehn Jahre dabei, dann half ich bei der Gründung von T’Act mit, einer selbst verwalteten Theaterdrehscheibe. Weil wir wegen der vielen nationalen Theatertruppen in Frankreich keine Subventionen erhielten, überlebte T’Act nicht lange.

swissinfo: Sie spielten klassische Rollen, wie dieses Jahr im Stück «Der Geizige» von Molière, von Gisèle Sallin im Théâtre des Osses in Freiburg inszeniert. Und Sie sind bekannt für Ihre «Charakterrollen». Erkennen Sie sich in diesem Begriff?

R.J.: Ich habe auch in vielen modernen Stücken gespielt. Was die Charakterrollen angeht – das ist eher eine Etikette!! Aber es stimmt schon, wenn man mir sagt: «Ah, Sie waren das in dieser Rolle, ich habe Sie nicht erkannt!» so ist das das grösste Kompliment, das man mir machen kann.

Das heisst, nicht wir stehen im Vordergrund, sondern die Rolle, wir stehen im Dienst der Rolle. Es wäre wunderbar, wenn man vollständig hinter der Rolle verschwinden könnte, vor allem für mich, ich bin nämlich ziemlich schüchtern!

swissinfo: Definieren Sie sich als Schweizer Schauspieler?

R.J.: Ja und nein. Nach dem TPR beschloss ich, nicht den üblichen Weg nach Frankreich zu gehen, obwohl man mich rief. Ich blieb in der Schweiz (fuhr aber oft für Dreharbeiten nach Frankreich), denn ich sagte mir, dass es hier genügend ausgezeichnete Leute gibt, mit denen man Theater spielen konnte.

Ich denke aber, es ist auch gut, mit anderen Regisseuren zu arbeiten, das ist immer bereichernd. Doch die Schweiz ist klein, und hier ist Sparen wichtiger als Theater. Man hat mir Steine in den Weg gelegt, und so bin ich 1988 doch nach Frankreich gegangen.

swissinfo: Sie spielten in ebenso vielen Filmen wie Theaterstücken. Was haben Sie lieber: Bühne oder Kino?

R.J.: Ich liebe beides. Das Kino ist jedes Mal ein neues Abenteuer, ein anderes Metier. Trotzdem habe ich das Theater etwas lieber, denn es bringt einmalige Kontakte mit dem Publikum, das ist vor uns, das reagiert.

Im Kino dagegen ist alles ganz eng. Und es herrscht immer absolute Stille. Wenn ich zum Beispiel in einer Komödie spiele, denke ich oft: «Oh je, das wird wohl ein Flop für mich, es lacht ja niemand…».

swissinfo: Heute sind Sie 68 und «weise». Denken Sie, dass das Theater noch Zukunft hat?

R.J.: Ich glaube nach wie vor, dass man mit Unterhaltung die Leute zum Nachdenken bringen kann. Deshalb mache ich weiter…

Im Übrigen geht es dem Theater nicht schlecht, es geht ihm sogar gut. Natürlich gibt es nach all den Jahren des Sparens nicht mehr viele professionelle Truppen, weil das Geld fehlt. Aber es gibt zum Beispiel heute allein im Kanton Waadt gut vierzig Theatergesellschaften.

Laientheatergruppen, die aber regelmässig und gut spielen. Hier liebt man das Theater, es gibt noch Publikum. Auf jeden Fall kann man etwas dazu tun, um das Bedürfnis zu wecken.

swissinfo: Sie spielen weiter, namentlich im nächsten Frühling im Théâtre des Osses in Freiburg. Keine Pensionierung?

R.J.: Ein Schauspieler geht nicht in Pension. Natürlich könnte man sagen, dass all diese Preise das Ende einer Karriere andeuten, nicht wahr? Aber Herr Moser, der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur, die den Hans Reinhart-Ring vergibt, sagte mir: «Machen Sie sich keine Sorgen, der Ring wird zwar jemandem für sein Lebenswerk verliehen, aber auch dafür, dass es weitergeführt wird.»

Das hat mich natürlich beruhigt!

Interview swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Der Hans Reinhart-Ring ist nach seinem Gründer, dem Zürcher Dichter und Mäzen Hans Reinhart (1880-1963) benannt.
Seit 1957 vergibt ihn die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur jedes Jahr, mit Unterstützung des Bundesamtes für Kultur. Die Wahl wird von einer unabhängigen Jury getroffen.
Frühere Preisgewinner waren unter anderen Reinhart Spörri (1983), der Regisseur Werner Düggelin (1987) und der Schauspieler Mathias Gnädinger (1996).

Roger Jendly wird 1938 in Freiburg geboren.

Er besucht in Paris den Schauspielunterricht von René Simon. Er ist Mitbegründer des «Théâtre populaire romand» (TPR) in La Chaux-de-Fonds, in dem er von 1961 bis 1971 spielte, und später von «T’Act». Ab 1988 arbeitet er in Frankreich.

Er spielt auf allen grossen Bühnen in der Schweiz und in Europa, verkörpert rund 70 Rollen, spielt auch in vielen Kino- und Fernsehfilmen, insbesondere mit Claude Goretta, Raymond Vuillamoz, Antoine Plantevin, in Filmen von Alain Tanner, Markus Imhoof, Villi Hermann, Jean-Luc Godard, Yves Boisset, Romain Goupil, Michel Piccoli, usw.

2005 erhält er den Genfer Prix du Comédien, 2006 den Kulturpreis des Kantons Freiburg, und am 5. November wird er im Théâtre de Vidy in Lausanne mit dem Hans Reinhart-Ring ausgezeichnet.

«La beauté sur la terre» von Antoine Plantevin (1999
«Alors voilà» von Michel Piccoli (1997)
«La femme de Rose Hill» von Alain Tanner (1989)
«Matlosa» (1981) und «San Gottardo» von Villi Hermann (1977)
«Jonas qui aura 25 ans en l’an 2000» von Alain Tanner (1976)
«L’invitation» von Claude Goretta (1973)

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