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Saure Weinbauern

Früchte des Zorns: Mitglieder der Protestgruppe "Raisins de la colère gegründet." zvg

Westschweizer Winzer schlagen Alarm: Nicht erst seit der Corona-Pandemie steht die Weinbranche unter Druck. Schuld ist das Ausland – und die Deutschschweiz.

Die Situation ist paradox: 2018 und 2019 hätten für die Schweizer Weinproduktion nicht besser sein können. Rekordernte, ausgezeichnete Qualität des Weins, volle Keller. Doch statt des Geschäfts ihres Lebens zu machen, blieben viele Winzer auf ihrem Wein sitzen. «Ich mache mir grosse Sorgen um die Zukunft des Weinbaus in der Schweiz», sagt Alexandre Fischer, ein 36-jähriger Weinbauer aus Yens-sur-Morges.

Deshalb hat der Waadtländer mit anderen Winzern aus der Westschweiz und dem Tessin letzten Oktober die Protestbewegung Raisins de la colère gegründet, Früchte des Zorns. Ungefähr 400 mehrheitlich junge Winzer haben sich angeschlossen. Im Dezember protestierte die Gruppe vor dem Bundeshaus in Bern und sprach bei Wirtschaftsminister Guy Parmelin vor, Bundesrat und selbst ein ehemaliger Winzer.

«Bis Ende Jahr gibt es zahlreiche Konkurse»: Protest-Winzer Alexandre Fischer. zvg

Nun hat die Corona-Krise ihre Lage noch verschärft: Nicht nur hat die Schliessung der Restaurants zu Einbussen geführt, auch kommt der Verkauf jetzt nur schleppend wieder in Gang. Es fehlen die Festivals, die Sportveranstaltungen, die Konferenzen, all die Gelegenheiten, bei denen Flaschen geöffnet und Gläser gehoben werden. «Unsere Keller sind voll, dabei sollten wir jetzt Platz schaffen für die nächste Ernte», sagt Fischer. Bald herrscht Hochbetrieb in den Schweizer Reben, im September müssen die reifen Trauben geerntet werden. Die Lese ist stets der Höhepunkt im Weinbaujahr. Aber Fischer schaut ihm diesmal düster entgegen; «Bis Ende Jahr wird es zu zahlreichen Konkursen kommen», prophezeit er.

Höhere Produktion, tiefere Konsumation

Um die Trinkfreude der Schweizer steht es aus Produzentensicht ohnehin schlecht.  Zwar wurden in der Schweiz letztes Jahr 255 Millionen Liter Wein konsumiert – etwa 40 Flaschen pro Person –, doch die Tendenz ist seit Jahren abnehmend. Nicht nur sei die Produktion wegen des Klimawandels gestiegen, erklärt Louis-Philippe Bovard, der das renommierte Weingut Bovard in Cully in zehnter Generation führt. Auch hätten sich die Konsumgewohnheiten verändert: «Früher war Wein ein Alltagsgetränk, denn er war leicht kohlensäurehaltig und hatte wenig Alkohol. Gerade in der Westschweiz war es durchaus üblich, um 11 Uhr ein Dreierli zu bestellen», sagt der 85-jährige Winzer.

Inzwischen sei Wein zum Genussmittel, insbesondere in Begleitung zu gutem Essen, geworden. Mit anderen Worten: Schweizer Wein ist zu gut, und des Guten gibt es zu viel.

Was Raisins de la colère aber besonders stört, ist nicht der tiefere Weinkonsum, sondern die Konkurrenz aus dem Ausland: Schweizer Wein hat einen Marktanteil von gerade einmal 35 Prozent. Gegen den Billigwein aus dem Ausland könnten einheimische Produzenten nicht mithalten, klagen die Winzer.

«Im Lavaux sind die Produktionskosten erheblich höher, da die Reben am Hang stehen und man deshalb nicht auf Maschinen, sondern auf Handarbeit setzen muss», sagt auch Bovard. Zudem sind die Löhne höher, die Auflagen strikter. Die Weinterrassen im Lavaux etwa stehen seit 2007 als UNESCO-Weltkulturerbe unter Schutz und dürfen nicht verändert werden.

Kreative Distributionskanäle: Laura Paccot vom Weingut «La Colombe» in Féchy. Dominique Derisbourg/zvg

Es braucht etwas Innovationsgeist, um mit diesen Krücken gehen zu könne. Und der ist durchaus da. Bovards Weingut hatte durch den Lockdown zwar ebenfalls einen Ausfall zu verzeichnen, allerdings haben langjährige Kunden besonders viel Wein gekauft. So auch bei Laura Paccot, Nachwuchswinzerin des bekannten Weinguts La Colombe in Féchy: «Normalerweise verkaufen wir die Hälfte unseres Weins an Händler und Gastronomiebetriebe, dieser Teil fiel im März auf einen Schlag weg. Deshalb haben wir uns kurzerhand angepasst und vor allem auf Privatlieferungen umgestellt.» So hätten sie zumindest einen Teil des Verlusts wiedergutmachen können. Doch gerade kleinere Weinbauer, die nicht selber keltern, sondern ihre Reben weiterverkaufen, haben wenig Spielraum für andere Geschäftsmodelle.

Qualitätswein für Fertigsuppen

Dass die Weinbranche unter der Corona-Pandemie leidet, realisierte man auch in Bern: Bundesrat Guy Parmelin stellte zehn Millionen Franken für die Deklassierung von Qualitätswein bereit, um wenigstens etwas Platz in den Kellern zu schaffen. Pro Liter Wein mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung erhielten die Winzer zwei Franken Subventionen, um ihre Produkte zu Tafelwein zu deklassieren, wie er etwa für Fonduemischungen oder Fertigsuppen verwendet wird. En Tropfen auf den heissen Stein, sagen die Winzer.

Nicht nur vor dem Bundeshaus protestieren Winzer. Um auf die verzweifelte Lage aufmerksam zu machen, trat der Genfer Weinbauer und Präsident der Schweizerischen Vereinigung der selbsteinkellernden Weinbauern, Willy Cretegny, letzten Oktober in einen zwölftägigen Hungerstreik. Doch das ist noch nicht alles: «Es ist bereits zu Suiziden gekommen. So kann es nicht weitergehen!», warnt Alexandre Fischer.

Das Hauptproblem hat mit Corona aber wenig zu tun. Es ist typisch schweizerisch: Was Schweizer produzieren, ist selbst den Schweizern zu teuer. Der Markt sei verzerrt, der Billigwein aus dem Ausland werde mit Exportzuschüssen der EU subventioniert, sagen die Winzer. Raisins de la colère fordert deshalb Massnahmen vom Staat. Viele wünschen sich eine Begrenzung des (noch nicht ausgeschöpften) Importkontingents von 170 Millionen Liter. Doch das würde eine Neuverhandlung der Verträge mit der Welthandelsorganisation (WTO) bedeuten und wäre wenig realistisch. Eine andere Forderung betrifft den Einkauftourismus: Nur noch zwei statt fünf Liter Wein soll man zollfrei einführen dürfen.

Eine weitere Möglichkeit zur Absatzförderung des Schweizer Weins wäre die Inlandleistung bei der Vergabe der Zollkontingente, wie sie etwa bei Rindfleisch gilt, sagt Fischer. Sie verpflichtet Händler, gleichzeitig zur importierten auch Schweizer Ware in den Handel zu bringen und wäre dank des Artikels 22 des Landwirtschaftsgesetzes mit den WTO-Verträgen kompatibel. Das verlangt auch eine Motion, die im Mai von CVP-Parlamentarierin Marianne Maret im Ständerat und von CVP-Parlamentarier Benjamin Roduit im Nationalrat eingereicht wurde.

Regionalität auch bei Getränken

Es ist nicht die erste Motion, die den Weinbauern zur Rettung kommen soll, doch bislang hatten solche Motionen im Parlament wenig Erfolg. Von protektionistischen Massnahmen hält auch Winzerin Laura Paccot wenig: «Die Öffnung der Grenzen hat sicherlich dazu beigetragen, die Qualität des Schweizer Weins zu verbessern. Eine gesunde Konkurrenz tut dem Markt gut. Allerdings darf man die Marktverzerrung nicht unterschätzen, denn wir haben viel höhere Lohnkosten, damit unsere Arbeiter ein anständiges Leben führen können.»

Zwar ist auch sie besorgt um die Zukunft der Weinbranche, aber sie findet, Schweizer Winzer müssten selber innovativ werden und mit Qualität punkten, «dann sind die Konsumenten auch bereit, mehr zu bezahlen.» Genau das sieht Robert Cramer, Präsident von Swiss Wine Promotion, aber kritisch: «Viele Schweizer gehen liebend gern im Lavaux spazieren und erfreuen sich an den schönen Weinterrassen. Doch dann kaufen sie trotzdem ausländischen Wein, weil er günstiger ist», sagt er. Dies betreffe vor allem die Deutschschweiz: Während die Romandie und das Tessin über 85 Prozent des Schweizer Weins herstellen, wird der Grossteil des Weins in der Deutschschweiz getrunken. Doch gerade dort griffen viele oftmals zu einer italienischen Flasche.

Schweizer Wein im Ausland?

Cramer wie auch andere Winzer wünschen sich deshalb mehr Mittel zur Vermarktung: «Vom Bund erhalten wir gerade mal drei Millionen Franken pro Jahr für die Promotion von Schweizer Wein. Länder wie Italien erhalten Beträge von über 100 Millionen – für sie ist die Schweiz ein sehr lukrativer Markt.» Bislang findet man im Ausland äusserst selten Schweizer Wein auf der Getränkekarte: Nur gerade mal zwei Prozent werden exportiert.

Louis-Philippe Bovard, der 85-jährige Winzer, sagt: «Ich habe schon einige solcher Krisen gesehen». Er schlägt etwas anderes vor: «Eigentlich müsste man die Produktion senken.»

Aber wie?

«Rebstöcke ausreissen.»

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