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Schliessung von Primarschulen beschneidet Bildungsgerechtigkeit

Bei Primarschülerinnen und -schülern halbierte sich der Lernfortschritt während den Schulschliessungen, wie Forschende der Uni Zürich feststellten. KEYSTONE/GAETAN BALLY sda-ats

(Keystone-SDA) Zürcher Forscher haben die pandemiebedingten Folgen der Schliessung der Primar- und Sekundarschulen im Frühling anhand von Daten untersucht. Demnach halbierte sich der Lernfortschritt der jüngeren Schüler und die Unterschiede zwischen den Kindern nahmen deutlich zu.

Was macht es mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie wochenlang nicht zur Schule gehen und stattdessen zu Hause büffeln? Bisher spekulierten Fachleute darüber etwa anhand von Beobachtungen während Schulschliessungen wegen Unwettern, Kriegen oder den Sommerferien.

Wissenschaftler der Universität Zürich (UZH) liefern nun Daten, wie sich die Schulschliessungen während der Corona-Pandemie auf Kinder auswirkten. Sie analysierten die Lernkurven von mehr als 20’000 Grund- und Sekundarschülern aus der Deutschschweiz in Deutsch und Mathematik unmittelbar vor und während der Schulschliessungen im März und April.

Die Wochen während des Unterrichts zu Hause wirkten sich demnach nicht auf die Lernfortschritte und deren Unterschiede zwischen den Sekundarschülerinnen und -schülern aus. Demgegenüber halbierte sich der Lernfortschritt bei Primarschülern. «Das allein ist bildungspolitisch bereits von höchster Relevanz», sagte der UZH-Entwicklungspyschologe Martin Tomasik im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Bildungsgerechtigkeit aufrechterhalten

Noch viel erschütternder sei jedoch die Erkenntnis, dass die Lerngeschwindigkeiten bei Primarschülern während den Schulschliessungen deutlich auseinander drifteten. Davor stiegen die individuellen Lernkurven etwa im selben Tempo an. Unterschiede zwischen Mädchen und Knaben oder fremdsprachigen Kindern und Kindern mit Muttersprache Deutsch stellten die Forschenden keine fest. Ihre Studie wird im Fachmagazin «International Journal of Psychology»erscheinen.

«Primarschulen zu schliessen ist aus unserer Sicht mit Blick auf die Bildungsgerechtigkeit nicht vertretbar», sagte der Entwicklungspsychologe. Während die aktuelle Studie zwar keine nachhaltigen Effekte des Lockdowns zeige, wiesen andere darauf hin, dass sich die Nachteile für die Kinder auch im späteren Leben manifestieren und sich später etwa aufs Einkommen niederschlugen.

Augenmerk auf sozial schwächer gestellte Kinder

Wieso die Heterogenität bei Primarschülern dermassen stark zugenommen hatte, darüber lasse sich nur spekulieren, sagte Tomasik. Denn aus datenschutzrechtlichen Gründen liefert die Studie keine Informationen zum sozioökonomischen Status der Kinder. Dennoch wäre es gut möglich, dass Kinder aus bildungsnahen Haushalten eher zu Hause unterstützt wurden oder zumindest einen genügend grossen und ruhigen Arbeitsplatz für den Fernunterricht zur Verfügung hatten.

Für den Fall, dass Schulschliessungen im Zuge der Corona-Pandemie wieder unumgänglich werden würden, plädiert der Forscher dafür, wenigstens die sozial schwächer gestellten Primarschülerinnen und -schüler in kleinen Gruppen in Schulzimmern unterrichten.

Parallele zur Weltwirtschaftskrise 1930

Die Unterschiede zwischen Primar- und Sekundarschülern erklärt sich Tomasik unter anderem damit, dass Jugendliche reifer seien als Kinder und ihnen das selbstständige Lernen leichter falle. Ebenfalls eine Rolle gespielt habe die Fähigkeit, mit digitalen Geräten umzugehen.

Und er zieht eine Parallele zu einer Studie von vor fast hundert Jahren: Während der Weltwirtschaftskrise 1930 zeigte sich, dass Kinder besonders darunter litten, wenn ihre Eltern im Zuge der Krise die Arbeit verloren, zur Flasche griffen oder gewalttätig wurden. Jugendliche hingegen seien selbstständiger geworden und hätten mit Nebenverdiensten das Familieneinkommen aufgebessert – und dadurch sogar in ihrer Entwicklung profitiert von der Krise.

In einem Bericht wiesen die Vereinten Nationen (Uno) und die Weltbank auf die negativen Auswirkungen des Lockdowns im Frühjahr auf die Bildung von Kindern hin – vor allem in ärmeren Ländern. Sie sprachen sich für eine Beibehaltung des Schulbetriebs während der Pandemie aus, trotz der Infektionsrisiken. Der Bundesrat erlaubte am Mittwoch den Präsenzunterricht an Schulen, ausgenommen den Hochschulen, fortzuführen.

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