Scholz stellt Vertrauensfrage mit Wahlkampfrede im Bundestag
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Rede zur Vertrauensfrage im Bundestag zu heftiger Kritik am früheren Koalitionspartner FDP genutzt.
(Keystone-SDA) Dessen «wochenlange Sabotage» habe nicht nur der Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. «In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.» CDU/CSU-Fraktionschef und -Kanzlerkandidat Friedrich Merz nannte die Attacke in seiner Erwiderung «nicht nur respektlos», sondern sie sei auch eine «blanke Unverschämheit».
Scholz› «Ampel»-Koalition war am 6. November im Streit um die Schuldenbremse zerbrochen. Scholz hatte damals Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner entlassen. Lindner hatte sich gegen eine Aussetzung der Schuldenbremse gewehrt.
Scholz bekräftigte im Bundestag, dass er die Vertrauensfrage mit dem Ziel einer um sieben Monate vorgezogenen Wahl des Parlaments stellt. «Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben, darum geht es», sagte er vor den Abgeordneten. «Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler.»
Den grössten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte Scholz dann dafür darzulegen, mit welchem Programm er in den Wahlkampf ziehen will. Stabile Renten, Erhöhung des Mindestlohns, Senkung der Mehrwertsteuer, Nein zur Lieferung der Marschflugkörper Taurus in die Ukraine sind nur einige Punkte. Die Wählerinnen und Wähler bat er «um ihr Vertrauen und ihre Unterstützung».
Vertrauensfrage einziger Neuwahl-Hebel des Kanzlers
Für Scholz ist die Vertrauensfrage die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Er hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt. Ursprünglich wollte er sie erst im Januar stellen.
Seitdem führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Mehrheit bei 367 Stimmen – SPD hat 207
Dass Scholz bei der Abstimmung gegen seinen Willen die notwendigen 367 Stimmen erreicht, um das Vertrauen des Bundestags zu behalten, gilt als ausgeschlossen. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will ihrem Kanzler zwar das Vertrauen aussprechen. Die Grünen-Fraktionsspitze hat ihren 117 Parlamentariern allerdings eine Enthaltung empfohlen. Damit will sie ausschliessen, dass Scholz etwa durch Stimmen der AfD unbeabsichtigt doch noch eine Mehrheit bekommt.
Würden die Grünen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Dann hätte AfD mit ihren 76 Abgeordneten Scholz rein rechnerisch zu einer Mehrheit verhelfen können.
Drei AfD-Abgeordnete wollen für Scholz stimmen
Nach Angaben von AfD-Chefin Alice Weidel wollen aber nur drei Abgeordnete für Scholz stimmen. Diese sorgten sich «um einen Kriegskanzler Friedrich Merz», der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge ausserdem enthalten, hiess es weiter.
Besuch im Schloss Bellevue bei verlorenem Vertrauen
Wenn Scholz wie beabsichtigt und erwartet keine Mehrheit im Bundestag bekommt, wird er gleich nach der Sitzung ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.
Der hat dann 21 Tage Zeit sich zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt. Da es im Bundestag eine grosse Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung Steinmeiers als sicher. Er hat auch schon signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin 23. Februar einverstanden ist.
Scholz bleibt voll handlungsfähig
Auf den Status des Kanzlers und die Regierung hat die Vertrauensfrage keine Auswirkung. Der Kanzler und seine Regierung bleiben im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestags höchstens 30 Tage nach der Wahl endet laut Artikel 69 Grundgesetz das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition noch nicht abgeschlossen sind, kann der Bundespräsident die alte Regierung bitten, die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung der neuen weiterzuführen.