Schpuele ir Mättu
Was da unverständlich daherkommt, heisst "Matteänglisch". Um diese alte (Geheim-)Sprache aus dem Berner Matte-Quartier ranken sich viele Geschichten, Legenden und Deutungen. Nur eines weiss fast niemand: Dass es sich in Wirklichkeit um zwei Sprachen handelt.
«Weimer nah dr Tschagge i Wäudu?» Diesen Satz werden alte Leute aus der Berner Matte wohl noch verstehen. Den gleichen Satz würden die «Mätteler» vor gut hundert und mehr Jahren auch so gesprochen haben: «imerwe ihne iggetsche i iduwe?» Der erste Satz ist Matteberndeutsch, der zweite Mattenenglisch. Beide heissen schlicht: «Wollen wir nach der Schule in den Wald?» Wobei Schule in Matteberndeutsch «Tschagge» heisst und Wald wird zu «Wäudu». Alles klar? Wunderbar!
Versuchen wir dieses Sprachgewirr etwas zu ent-wirren. Bekanntlich (oder auch nicht) sprechen die deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizer «Schweizerdeutsch» eine Sprachform, die aus dem Hochalemannischen stammt. Jeder Kanton hat wiederum seine sprachlichen Eigenheiten.
In Bern wird dann also Berndeutsch gesprochen. Das Matteberndeutsch ist noch einmal eine lokale Abart des Berndeutschen. Sein Ursprung geht auf das ausgehende 16. Jahrhundert zurück.
Die Stadt Bern wurde in eine Flusshalbinsel gebaut. Die Stadt liegt etwas erhöht, das Quartier Matte nicht. Es liegt am Ufer der Aare und war früher von der eigentlichen Stadt getrennt. Nur eine recht steile Strasse führte von unten nach oben und umgekehrt.
Die Leute in der Matte entwickelten so eine Eigenständigkeit, wie Peter Hafen, der Präsident des «Matteänglisch-Club Bern» erklärt. Die Matte war Haupthandelsplatz, das Industriequartier des Alten Bern. Die Leute waren demnach Flösser und Schiffer oder Handwerker und Schiffbauer.
Oben wohnten, so erzählt Hafen, «die wohlhabenden Berner, die übrigens französisch sprachen, unten die in der Matte, die Arbeiter, raue Gesellen und Gesellinnen; Handwerker und Flösser also.»
Sprache zum Abgrenzen
Die Bewohner der Matte zogen per Schiff auf die grossen Märkte des Unterlandes. Der grösste war derjenige von Zurzach im heutigen Kanton Aargau. Dort traf man mit Händlern, Gauklern, Zigeunern und sonst allerlei Leuten zusammen, die alle ihre Sprachen und Ausdrücke mitbrachten.
Dort lernten die Berner Mattenbewohner fremde Ausdrücke kennen. Die nahmen sie mit und versetzten ihre Sprache damit. Mit der Zeit entwickelte sich so eine eigene Sprache, die für Aussenstehende schwer verständlich wurde: Das Matteberndeutsch, das kein Mattenglisch (wir kommen noch dazu) ist! Kommt noch dazu, dass eigene Ausdrücke geschaffen wurden. Eine Eigenart, die heute noch in Bern «gepflegt» wird.
«Matteberndeutsch», so Peter Hafen, «ist eine etwas vulgäre Sprache, die normale Umgangsprache in der Berner Matte war.» Hafen nennt einige Wörter, die aus dem Rotwelschen, der Zigeunersprache oder gar dem Hebräischen stammen: «greme» (kaufen), «schpuele» (sprechen), ein «Wänter» ist ein Zwanzigrappenstück, das Fünfrappenstück heisst «Füngger», «pichere» meint fischen und Fisch heisst demnach «Picher», dem Mann sagten die Mätteler «Hach», der Frau «Moss», die junge Frau wurde zu «Mosseli» und das Schulmädchen heissst «Modi», der Knabe wurde zum «Giu». Brot zum Beispiel heisst «Lehm» aus dem hebräischen «Lehem».
Etliche dieser Wörter finden sind noch heute im berndeutschen Sprachgebrauch, gelten aber als nicht sehr schicklich, wurden und werden heute noch den Kindern ausgetrieben. Berühmtes Beispiel, dieses Wort kennt die ganze Schweiz, «Scheiche» für Beine.
Das Ächten des Mattenberndeutsch begann im 19. Jahrhundert, als vor allem die Schule Jagd machte auf mattenberndeutsche Ausdrücke. Das war mit ein Grund für den Niedergang der Sprache.
Ein weiterer Grund war die Industriealisierung und damit verbunden die Abwanderung der Leute aus der Matte. Die Geschlossenheit des Quartiers wurde gesprengt.
Heute spricht niemand mehr Matteberndeutsch. Die Sprache existiert als Unikum noch. Es gibt Bücher, wo Ausdrücke und Wörter gesammelt sind. «Leute, die 50jährig und mehr sind, kennen noch matteberndeutsche Wörter und gebrauchen sie in der täglichen Umgangssprache. Die jungen Leute kennen die Ausdrücke nicht mehr», sagt Peter Hafen.
Das Matteenglisch als Geheimsprache
Eigenartigerweise hat sich neben dem Matteberndeutsch noch eine andere Geheimsprache entwickelt, welche Matteberndeutsch als Grundlage hat.
Mattenglisch aber ist eine konstruierte Sprache, die einem genau definierten Schema folgt.
«Sein Ursprung ist nicht bekannt», sagt Matteänglisch-Club-Präsident Peter Hafen, «man hat Quellen in Norddeutschland (Braunschweig) gefunden, wo im 16. Jahrhundert auch eine Geheimsprache konstruiert wurde, die ähnlich dem Matteenglisch aufgebaut ist. Man geht davon aus, dass es von dort den Weg nach Bern gefunden hat.»
Wie geht die Umwandlung? Peter Hafen: «Von einem Wort werden die ersten Buchstaben bis und mit dem ersten Vokal abgetrennt. Dieser Teil wird hinten ans Wort gehängt. An den Wortanfang kommt nun immer der Buchstabe «i». Und am Schluss des Wortes haben wir immer einen Vokal, der wird immer zu «e».
Es gibt noch weitere Regeln, aber der hochdeutsche Satz: «Wollen wir nach der Schule in den Wald» heisst Matteberndeutsch: «Weimr nach dr Tschagge i Wäudu?» Dieser Satz wird nun nach der oben genannten Regel zu: «Imwerwe ihne dr iggetsche i iduwe?»
Recht kompliziert das alles. Aber, und das ist das fast Unglaubliche, die Bewohner der Matte vor gut hundert und mehr Jahren konnten sich fliessend in diesem «Matteänglisch» unterhalten. Da verstand ein Aussenstehender gar nichts mehr und genau das war der Sinn der Übung.
Irse Irerme (Urs Maurer)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch