Die Schweiz hat wieder ein E-Voting-System
Der Bundesrat gibt drei Kantonen grünes Licht für neue Versuche mit E-Voting. Das neue System kann auch bei den Wahlen im Herbst zum Einsatz kommen.
Es ist nach einer langen Phase von internen Tests und Prüfungen ein überschaubarer und dennoch mutiger erster Schritt: Die Schweiz setzt wieder ein E-Voting System in Betrieb.
Es ist ein komplett neues – beziehungsweise das «im Kern überarbeitete» System der Post, das 2019 wegen Sicherheitsmängeln ausser Betrieb genommen wurde, wie an einer Pressekonferenz am Freitag klar wurde. Nun hat es das Gütesiegel des Bundes erhalten. Drei Kantone sollen damit ab sofort ihre Erfahrungen machen.
E-Voting auch bei den Wahlen?
Laut Mitteilung vom Freitag gelten die Bewilligungen dafür bis Mai 2025. Möglich ist auch ein Einsatz bei den nationalen Wahlen vom Oktober dieses Jahres. Dafür brauchen die drei Kantone jedoch separate neue Bewilligungen des Bundesrates – und die gibt es nur, wenn bis dahin alles gut läuft.
«Wenn der Versuch bei den Abstimmungen vom kommenden Juni erfolgreich läuft, beabsichtigen die drei Kantone den Einsatz auch bei den Wahlen», sagte Barbara Schüpbach-Guggenbühl, die Staatsschreiberin des Kantons Basel-Stadt am Freitag vor den Medien.
Das neue E-Voting-System entwickelte also die Schweizerische Post, eng überwacht von externen Expertinnen und Experten und begleitet von der Schweizer Bundeskanzlei, die den Prozess auch weiter verantwortet.
«Der Quellcode dieses Systems und die Dokumentation sind seit 2021 veröffentlicht. Das System und sein Betrieb wurden seither in verschiedenen Schritten durch unabhängige Expertinnen und Experten und durch die Öffentlichkeit überprüft», teil der Bundesrat mit.
Bestandteile dieser Sicherheitsprüfung war ein Bug-Bounty-Programm und ein öffentlicher Intrusionstests. Zudem gab es eine unabhängige Überprüfung, deren Ergebnisse am Freitag ebenfalls publiziert wurden. Beides zusammen überzeugte die Schweizer Regierung, dass ein «Einsatz im begrenzten Rahmen der bewilligten Versuche möglich ist.»
«Es ist klar, dass es kein 100% perfektes System gibt. Systeme lassen sich aber technisch und betrieblich so konzipieren, dass die Hürde für Betrug möglichst hoch angesetzt ist und Manipulationsversuche mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können», sagte Bundeskanzler Walter Thurnherr. «Abstimmungen und Wahlen funktionieren nur, wenn Bürgerinnen und Bürger den Prozessen vertrauen», fügte er an.
Angebot für 1,2% der Stimmberechtigten
Profitieren von den neuen Tests sollen explizit die Auslandschweizer:innen, vorderhand jene, die in den Kantonen Basel-Stadt, Thurgau und St. Gallen registriert sind. Basel-Stadt und St. Gallen lassen auch Inlandschweizer Stimmberechtigte zu, letzterer in begrenzter Anzahl. So bilden vorerst rund 65’000 Stimmberechtigte das Elektorat dieses Tests, rund 1,2% aller Schweizer Stimmberechtigten.
«Wir werden diesen Kanal besser kontrollieren können als andere Kanäle», verspricht Bundeskanzler Walter Thurnherr. Mit den Erfahrungen im praktischen Einsatz soll das System kontinuierlich verbessert und überprüft werden, so das Kalkül.
Rückschläge in Serie
E-Voting-Systeme wurden in der Schweiz letztmals 2019 eingesetzt. Zuvor hatten verschiedene Kantone teils jahrelang insgesamt rund 300 Versuche unternommen und Erfahrungen gesammelt. Doch dann folgten Rückschläge in Serie, bis das Vertrauen in die Technologie vollends erodiert war. Die Schweizer Demokratie sei zu wertvoll für Experimente, hiess es 2019. Einzelnen Kantonen waren die Systeme zudem zu teuer.
Die Auslandschweizer-Organisation ASO, die sich für über 220’000 Stimmberechtigte im Ausland stark macht, sprach damals von einem «Debakel». Denn die Postwege der Unterlagen für Schweizer Urnengänge ins Ausland sind unzuverlässig, für viele Stimmbürger:innen im Ausland oft zu lang oder schlicht nicht tauglich.
«Ein starkes Signal»
E-Voting ist darum die Lösung, für die sich die ASO seit Jahren mit Nachdruck einsetzt. Der aktuelle Entscheid wird darum mit grosser Erleichterung aufgenommen. «Das ist ein Hoffnungsschimmer und ein starkes positives Signal für die 220’000 Auslandschweizer, die in einem Stimmregister eingetragen sind», freut sich die Direktorin der ASO, Ariane Rustichelli, die seit 2019 einen Rückgang der Beteiligung der Auslandschweizer an eidgenössischen Urnengängen beobachtet hat. «Der 18. Juni wird ein Termin sein, den man nicht verpassen darf. Eine erneute Panne würde dem Vertrauen in diesen Abstimmungskanal einen schweren Schlag versetzen», räumt sie ein.
Die ASO ist zuversichtlich, dass die Kantone Basel-Stadt, Thurgau und St. Gallen für die eidgenössischen Wahlen am 22. Oktober ein Zulassungsgesuch einreichen werden. «Die drei Kantone haben bereits ihr Interesse bekundet. Die Entscheidung wird im August fallen», bekräftigt sie. Bis dahin wird die Diaspora-Lobby ihre Sensibilisierungsarbeit bei den Kantonen, der Post, der Bundeskanzlei und in der Politik fortsetzen. «Die Bundeskanzlei hat nun eine stärkere Führungsrolle in diesem Dossier, das ist eine positive Entwicklung», meint Ariane Rustichelli.
Im Unterschied zu den Versuchen in der Vergangenheit erhalten die Kantone neu ein System mit vollständiger Verifizierbarkeit. Dies erachtet der Bundesrat als «wichtige Massnahme zur Gewährleistung der Sicherheit»: Sie erlaube es, anhand von Prüfcodes und mathematischen Beweisen allfällige Manipulationen festzustellen. Zudem werden die Versuche kontinuierlich weiter von unabhängigen Expert:innen begleitet.
Wie es weitergeht, hängt vom Erfolg der Tests ab. «Es gibt Hoffnung, dass wir diese Versuche gut bewältigen. Dann werden wird das je nach Entwicklung weiter hochskalieren», sagte Bundeskanzler Walter Thurnherr. Aber es gibt auch gesetzliche Grenzen. Erlaubt sind vorderhand nur Tests.
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