«Eine Abstimmung wäre spannend gewesen»
Unterschriebener Kaufvertrag, zurückgezogene Volksinitiative: Politologin Giada Gianola ordnet im Interview die letzte Etappe im Ringen um den Kauf Schweizer Kampfjets ein. Obwohl sie eine Abstimmung spannend gefunden hätte, sei es kein Demokratie-Problem, dass die Regierung den Kaufvertrag für die Jets vor einer neuerlichen Volksabstimmung unterzeichnet hat.
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die Schweiz mit dem Kauf neuer Kampfjets. Bereits zwei Volksabstimmungen gab es zum Thema. Nun hat Verteidigungsministerin Viola Amherd den Kaufvertrag für 36 Jets des Typs F-35 unterschrieben.
Doch: Gegen den Kauf ebenjenes Modells aus den USA wurden Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt und eingereicht. Das Parlament hat aber entschieden, dass die Volksabstimmung nicht abgewartet werden soll.
Die «Allianz gegen den F-35» hat angesichts des unterzeichneten Kaufvertrags die Konsequenzen gezogen und die «F-35-Initiative» zurückgezogen. Dem Bündnis hinter der Initiative gehören unter anderem die sozialdemokratische und die grüne Partei, sowie die Gruppe Schweiz ohne Armee an.
SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf sagte dazu gegenüber den Tamedia-Zeitungen: «Wir wollen nicht Hand bieten für eine Pseudoabstimmung.» Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter sprach von einer demokratiepolitischen Farce.
Geht in der Schweiz gerade die direkte Demokratie kaputt? Politologin Giada Gianola vom Online-Jahrbuch Année Politique Suisse ordnet im Gespräch mit swissinfo.ch ein.
swissinfo.ch: Frau Gianola, haben hier Regierung und Parlament direktdemokratisches Volksrecht ausgehebelt?
Giada Gianola: Wir haben vor zwei Jahren über das Referendum gegen den Kredit für den Kampfjetkauf abgestimmt. 50,1% waren für den Kredit. Das war zwar knapp, aber trotzdem die Mehrheit.
Damals war auch im Abstimmungsbüchlein klar dargelegt, dass die Bevölkerung nicht über das Modell des Kampfjets abstimmt. Die USA unterzeichnete den Kaufvertrag bereits im Oktober 2021. Seither ist schon fast ein Jahr vergangen. Das schafft auch Druck. In den Vorgängen gab es meiner Ansicht nach kein grosses Demokratiedefizit.
Aber ein Volksentscheid über so ein Rüstungsprojekt scheint wichtig. Sind die Geschehnisse in der heutigen Politik einfach zu schnell, so dass das Schweizer System mit den Volksabstimmungen nicht hinterherkommt?
Die Initiative hätte früher starten können – und nicht erst im August 2021, ein Jahr nach dem Kampfjetreferendum. Welche Kampfjet-Typen in Frage kommen, war länger klar. Aber natürlich ist viel passiert in dieser Zeit: Es war bei der Abstimmung nicht klar, wie sich die Pandemie entwickelt.
Der Krieg in der Ukraine und jetzt auch die steigenden Preise durch die Inflation waren sicher auch Faktoren, warum der Bundesrat jetzt den Vertrag unterzeichnet hat.
Zudem muss man berücksichtigen, dass es hier um einen Spezialfall geht, wo eine Offerte auf dem Tisch lag, die verfallen wäre, hätte die Regierung nicht unterschrieben. Tatsächlich haben sich die politischen Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten verändert – und unser Demokratie-Verfahren ist gleich geblieben.
Wie könnte man denn die direkte Demokratie beschleunigen?
Soll die Demokratie überhaupt beschleunigt werden? Das Sammeln von 100’000 Unterschriften, deren Prüfung, dann, dass das Bundesrat und Parlament das Anliegen behandeln – all diese Vorgänge dauern. Dies verhindert aber auch Schnellschüsse.
Der Rückzug von Initiativen ist keine Seltenheit.
Zwischen 1908 und 2022 sind 105 Volksinitiativen zurückgezogen worden, also fast eine pro Jahr. Oft hängen die Entscheidungen zum Rückzug damit zusammen, dass das Parlament Anliegen der Volksinitiativen berücksichtigt und in die Politik aufnimmt – eben, um Volksabstimmungen zu verhindern.
Meist werden Volksinitiativen zurückgezogen, weil die Initiant:innen mit dem Gegenvorschlag des Parlaments zufrieden waren. Man muss sich bewusst sein, dass Volksinitiativen verschiedene Funktionen haben – etwa auch, dass ein Thema Öffentlichkeit bekommt und auf der Agenda des Parlaments landet. Es kann auch darum gehen, Wähler:innen zu mobilisieren.
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Hat es in der Vergangenheit oft Situationen gegeben, wo das Geschehen eine Initiative, wie jetzt beim F-35-Kampfjet, überholte und eine Abstimmung eigentlich keinen Sinn mehr macht?
Das ist selten. Die meisten Initiativen wurden zurückgezogen, weil ein direkter oder indirekter Gegenvorschlag formuliert wurde.
Seit der Lancierung der F-35-Initiative hat sich, im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine, die generelle Einschätzung der Sicherheitslage verändert und damit verlagerten sich auch Sympathien der Bevölkerung hin zu höheren Rüstungsausgaben. Hätte die F-35-Initiative in dieser Situation bei einer Abstimmung überhaupt noch eine Chance gehabt?
Der Kontext, mit dem Krieg in der Ukraine und der Inflation, hätte sicher eine Rolle gespielt. Man muss auch sehen, dass der Bundesrat aus der Gripen-Niederlage gelernt hat: 2014 war in der Volksabstimmung eine Mehrheit gegen den Kauf des Gripen-Kampfjets. Beim neuen Anlauf für die Kampfjetbeschaffung wollte er verhindern, dass sich diese Situation wiederholt.
Und darum wurde erst über den Kredit für den Kampfjetkauf statt über einen Typen entschieden. Eine Einschätzung, ob die F-35-Initiative angenommen worden wäre, ist schwierig. Aber eine Abstimmung wäre sicher spannend gewesen. Ich bin Politologin: Abstimmungen sind immer spannend.
War die F-35-Initiative jetzt für nichts?
Initiativen erfüllen unterschiedliche Funktionen. Wer eine Initiative plant, muss sich immer die Frage stellen, was diese erreichen will.
Bei der Lancierung müssen sich die Initiativkomitees sicher auch die Kosten-Nutzen-Frage stellen: Es braucht Geld. Man muss Leute mobilisieren, die unterschreiben und Unterschriften sammeln.
Nun ist das Kampfjet-Thema aber in allen Zeitungen, und bis zu den Wahlen dauert es nicht mehr lange. Auch das ist ein Aspekt, der bedacht werden muss.
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