Gleichstellung im Museum noch in der Warteschlaufe
Künstlerinnen sind in Schweizer Museen markant untervertreten: Mit unserer bahnbrechenden Recherche erregten wir vor zwei Jahren grosses Aufsehen. Hat sich seither betreffend Gleichstellung in den Kulturinstitutionen etwas getan? Leider nicht viel. Doch es gibt erfreuliche Initativen.
Wer sich heute für einen Besuch in einem der grossen Schweizer Museen entscheidet, kann im Kunstmuseum Bern Werke von August Gaul, im Zentrum Paul Klee von Adolf Wölfli und im Kunsthaus Zürich von Gerhard Richter sehen.
Wenn es um Werke von Künstlerinnen geht, ist das Kunstmuseum Basel im Moment die erste Adresse: Nach Sophie Taeuber-Arp ist dort Kara Walker zu sehen, bevor sie im Herbst von Camille Pissarro, Tacita Dean und Ruth Buchanan abgelöst wird.
Hier die drei Beiträge, mit denen wir 2019 zeigten, wie schlimm es um die Untervertretung von Künstlerinnen in Schweizer Museen wirklich steht:
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Warum in Schweizer Museen die weibliche Kunst fehlt
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Schweizer Museen zeigen wenig Kunst von Frauen
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«Die Schweizer Kunstmuseen müssen weiblicher werden»
Von den sieben grössten Kunstmuseen der Schweiz, wie sie in unserer repräsentativen Umfrage 2019 definiert wurden, ist das Haus in Basel das einzige, das in den letzten zwei Jahren ein egalitäres Programm präsentiert hat, mit sieben Einzelausstellungen von Frauen und elf von Männern – zwei davon als Kollektiv.
Zum Zeitpunkt unserer Umfrage erklärten mehrere Museen die Unterrepräsentation von Frauen in ihren historischen Sammlungen und Ausstellungen mit dem erhöhten Zeitaufwand, der erforderlich sei, um Frauen zu finden, die oft im Schatten ihrer Väter oder Brüder gestanden seien.
Die von der Pandemie diktierte Zwangspause hat der Sache der Frauen in den Museumshallen jedoch nicht geholfen. Stattdessen konzentrierten sich die Einrichtungen darauf, die Verbindung zu ihrem Publikum aufrechtzuerhalten, indem sie virtuelle Führungen auf Youtube oder Interaktionen mit dem Museumsteam in sozialen Netzwerken anboten.
Kleine Schritte für Frauen – was sonst
Infolge unserer Umfrage hat sich dennoch einiges getan: Institutionen und Akteurinnen und Akteure des Kultursektors haben sich des Themas angenommen, die Debatte wurde angestossen und der öffentliche Druck auf die Kunstmuseen hat zugenommen. Konkrete Veränderungen sind jedoch eher bescheiden: Das reine Frauenprogramm des Musée des Beaux-Arts in Le Locle im Jahr 2019 war ein einsamer Leuchtturm im Sturm.
- Kunstmuseum Luzern
Vivian Suter – Restrospektive (6.11.2021-13.2.2022) - MCBA Lausanne
Sandrine Pelletier –The Crystal Jaw (18.6.-29.8.2021)
Aloïse Corbaz — La folie papivore (22.10.2021-23.1.2022) - Kunstmuseum Basel
Kara Walker — A Black Hole Is Everything a Star Longs to Be (5.6-26.9.2021) - Aargauer Kunsthaus
Sammlung im Fokus: Sophie Taeuber-Arp in unbekannten Fotografien (27.3-24.10.2021) - Kunstmuseum St. Gallen
Martina Morger — Lèche Vitrines (17.9.2021-6.3.2022)
Marie Lund (30.10.2021-27.3.2022) - Muzeum Susch
Laura Grisi — The Measuring of Time (5.6.-5.12.2021) - Kunstmusem Solothurn
Kathrin Sonntag — ichduersiewirihrsie (19.6-12.9.2021) - Musée des Beaux-Arts Le Locle
Mauren Brodbeck — Anima (8.5-26.9.2021)
Anastasia Samoylova — Grand Canyons (8.5-26.9.2021)
Ester Vonplon — Flügelschlag (8.5-26.9.2021) - Kunsthalle Zürich
Lorenza Longhi — Minuet of Manners (12.6-5.9.2021) - Museum Haus Konstruktiv Zürich
Dora Maurer (10.6-12.9.2021) - Museo villa dei Cedri Bellinzona
Aoi Huber Kono — Acqueforti, acrilici, arazzi (29.7-5.9.2021)
In Zürich hat ein Kollektiv anonymer Künstlerinnen und Künstler begonnen, die Diskriminierung von Künstlerinnen in den Medien und in Kunstgalerien aufzudecken. Besonderes Augenmerk wird auf Bereiche gelegt, in denen öffentliche Gelder ausgegeben werden, wie zum Beispiel der Erwerb von Werken für den öffentlichen Raum der Stadt oder für den Neubau des Kunsthauses in Zürich.
Anstelle von Gorillamasken hat sich dieses Kollektiv – dessen Aktion an die berühmten Guerrilla Girls erinnert, die diese Protestbewegung in den 1980er-Jahren in den USA ins Leben gerufen haben – für die Erschaffung einer fiktiven Figur entschieden. Ihr symbolträchtiger Name: Hulda Zwingli. Sie nutzt die sozialen Netzwerke, um die Fragen zu stellen, die sich bei ihren Spaziergängen durch die Bahnhofstrasse oder die Europaallee, zwei berühmte Zürcher Locations, stellen.
In der Westschweiz hat die Kunsthistorikerin Marie Bagi den Verein Espace Artistes Femmes gegründet, um die Anerkennung von Künstlerinnen zu fördern. Der Raum ist vorerst nur virtuell zugänglich, wird aber im November in Lausanne Realität werden.
«Jetzt, wo es einen gewissen Druck gibt, sehen wir mehr Einzelausstellungen und Anfragen für Frauen als Museumsleiterinnen», sagt Chus Martinez, Direktorin des Kunstinstituts der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Aber das kann sich ändern: Wenn Menschen sich weniger beobachtet fühlen, könnten sie ihre Schritte zurücknehmen.»
«Dies sollte nicht nur ein Trend sein, sondern die Gesellschaft sollte nachhaltige Veränderungen fordern. Quoten sind meiner Meinung nach von grundlegender Bedeutung, solange diese Entscheidungen nicht selbstverständlich sind», so Martinez.
Die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Kulturbereich wurde auch in die Botschaft über die Kulturförderung für den Zeitraum 2021-2024 aufgenommen, welche die Schweizer Regierung Anfang 2020 verabschiedet hatte. In einem ersten Schritt geht es darum, vertiefte statistische Daten zu erheben.
Eine von Pro Helvetia in Auftrag gegebene Vorstudie hat kürzlich bestätigt, dass die Ungleichheiten nicht auf die Wände der Museen beschränkt sind. Die Schweizer Kulturstiftung hat auch «Start Diversity»-Workshops ins Leben gerufen, um u. a. die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der Institutionen zu fördern.
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Die vom Bundesamt für Kultur an die Museen vergebenen Mittel enthalten vorerst aber keine Gleichstellungsklausel. «Das BAK gibt keine zusätzlichen Richtlinien zur Geschlechterrepräsentation für diese Beiträge an Museen heraus», sagt BAK-Direktorin Isabelle Chassot. Dies sei jedoch ein Thema für die Zukunft, welches die Behörde wieder aufgreifen werde, sobald die ersten Daten vorlägen. «Sie werden es mir ermöglichen, die Realität in den Museen besser zu verstehen», so Chassot.
Andere Länder, andere Künstlerinnen-Förderung
Die Sichtbarkeit von Künstlerinnen ist ein Thema, das auch zahlreiche andere Länder bewegt. In Kanada hat die National Gallery of Canada zwei Stellen zur Förderung der Diversität geschaffen. In Spanien hat das Nationalmuseum El Prado seine Sammlung überarbeitet, um mehr Werke von Künstlerinnen zu zeigen. Sie sind jedoch immer noch in der grossen Minderheit (13 Frauen gegenüber 130 Männern).
Das Baltimore Museum of Arts schliesslich erwarb im Jahr 2020 ausschliesslich Werke von Frauen.
Nach 14 Jahren Forschung, Restaurierung und Ausstellungen hat die 2009 in Florenz gegründete Nichtregierungsorganisation Advancing Women Artists, eine NGO zur Förderung von Künstlerinnen, ihre Tätigkeit soeben mit der Identifizierung von 2000 Werken abgeschlossen, die in den Katakomben italienischer Museen vor sich hinlagern.
In Frankreich gründete Camille Morineau, ehemalige Kuratorin des Centre Pompidou, 2014 AWARE, eine Vereinigung, deren Ziel es ist, Künstlerinnen des 19. und 20. mehr Visibilität zu verschaffen.
Perspektivenwechsel
Aber bald schon dürfte es nicht mehr möglich sein, die Karte der Unsichtbarkeit auszuspielen. Wird der Diskurs dann zur Frage der Qualität zurückkehren? «Wir müssen unsere Augen und Sinne auf neue Qualitäten einstellen. Wir dürfen nicht nachahmen, was der weisse Mann für Qualität hält, aber es liegt an den weissen Männern zu verstehen, was unsere Qualitäten sind», erwidert Chus Martinez. «Wir können sagen ‹diese Frauen haben nicht die Qualitäten, die wir suchen› oder wir können sagen ‹dieser Mann hat die Werte und Qualitäten, die wir anbieten, nicht verstanden›.»
Die Tatsache, dass mehrere Museen inzwischen von Frauen geleitet würden – zuletzt erfolgte die Berufung von Ann Demeester an das Kunsthaus Zürich – sei ein gutes Zeichen, löse das Problem aber nicht, sagt die Professorin. «Können sie die Änderungen, die sie vornehmen wollen, selbst vornehmen, oder fühlen sie sich von Strukturen vereinnahmt, die diese Änderungen niemals akzeptieren werden? Es geht nicht nur darum, Männer zu ersetzen und Frauen in bestimmte Positionen zu berufen, das ist erst der Anfang. Man muss auch sehr vorsichtig sein, wenn es um die Entscheidungsprozesse im Verwaltungsrat geht.»
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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