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Schweizer Multis: globale Schwergewichte in Hochrisiko-Sektoren

Hauptsitz von Glencore im Kanton Zug
In der Schweiz befinden sich die Hauptsitze mehrerer weltweit führender Rohstoff-Produzenten. Wie etwa Glencore im Kanton Zug. Keystone / Alessandro Della Bella

Die Schweiz spielt in der Top-Liga, was die Dichte der ansässigen multinationalen Unternehmen betrifft - darunter Giganten der Rohstoff-, Lebensmittel- und chemischen Industrie. Die Konzernverantwortungs-Initiative will diese stärker in die Pflicht nehmen.

Steuereinnahmen und Arbeitsplätze: Multinationale Unternehmen spielen in der Schweizer Wirtschaft eine wichtige Rolle. Im Jahr 2019 zählte das Bundesamt für StatistikExterner Link (BFS) rund 30’000 Unternehmen, die zu einem multinationalen Konzern gehören. Diese beschäftigen rund 1,4 Millionen Menschen.

Mehr als 16’000 von ihnen, die zusammen fast 935’000 Arbeitsplätze bieten, gehörten zu einer Gruppe mit Hauptsitz in der Schweiz. Viele ausländische Firmen haben auch europäische Hauptsitze oder wichtige Geschäftseinheiten in der Schweiz angesiedelt.

Auf internationaler Ebene sind einige dieser multinationalen Unternehmen ebenfalls wichtige Akteure. Vierzehn in der Schweiz ansässige Unternehmen sind in der neusten globalen Fortune-500-RanglisteExterner Link der Top-500-Unternehmen aller Branchen aufgeführt. Sie beschäftigen weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Mehrere der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt haben sich in der Schweiz niedergelassen, nämlich fast zwei pro Million Einwohner.

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Weitere grosse Schweizer Multis würden in dieser Liste eine wichtige Rolle spielen, wenn sie all ihre Zahlen bekanntgeben würden. Zum Beispiel das Rohstoffhandelshaus Vitol mit seinem Jahresumsatz von 205 Milliarden Schweizer Franken. Zum Vergleich: Wäre Vitol ein Land, wäre es die 52. grösste Volkswirtschaft der Welt, zwischen Peru und Griechenland.

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Die Hälfte der Plätze in dieser Rangliste wird von chinesischen und amerikanischen Firmen belegt. Aber die Schweiz weist im Vergleich zur Bevölkerungszahl die höchste Dichte von Unternehmen in den «Global 500» auf.

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Für Grosskonzerne bietet die Schweiz viele Vorteile: wirtschaftliche und politische Stabilität, einen starken Finanzplatz, qualifizierte Arbeitskräfte, Rechtssicherheit, eine zentrale Lage im Herzen eines gut ausgebauten Verkehrsnetzes sowie eine günstige Besteuerung und flexible Regulierung.

Die Rohstoff-Giganten der Welt sind schweizerisch

Mit mehr als 500 Unternehmen, die im Rohstoff-Sektor tätig sind, ist die kleine Schweiz eine der weltweit führenden Plattformen für den Handel mit RohstoffenExterner Link – seien es Öl, Metalle, Mineralien oder landwirtschaftliche Produkte.

Hierzulande befinden sich die Hauptsitze der weltweit führenden UnternehmenExterner Link in den Sektoren: VitolExterner Link, GlencoreExterner Link, TrafiguraExterner Link, MercuriaExterner Link und GunvorExterner Link. SIe beschäftigen zusammen rund 180’000 Mitarbeitende weltweit und sind in Dutzenden von Ländern auf allen Kontinenten tätig.

Auch weitere Branchenriesen sind in der Schweiz präsent, wie etwa Cargill International, BHP, Koch, Bunge und die Louis Dreyfus Company. Die meisten dieser Unternehmen beschränken sich nicht auf den Handel und haben ihre Aktivitäten diversifiziert, indem sie sich in der gesamten Lieferkette engagieren. Zum Beispiel durch den Kauf von Bergwerken und Explorationslizenzen.

Zwar gibt es in der Schweiz eine Handelstradition, die bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Doch das Land zog in jüngerer Zeit auch neue grosse Rohstoff-Händler an. Dies dank «einer fiskalischen Verführungstaktik der Behörden in einigen Kantonen in den letzten zwanzig Jahren, besonders in Zug und Genf», sagt Paul Dembinski, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg. Heute stehen diese ausufernden multinationalen Unternehmen an der Spitze der Liste der grössten Schweizer Unternehmen.

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Hauptakteure in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie

Zu den grössten multinationalen Schweizer Unternehmen gehören auch globale Schwergewichte in anderen Bereichen. Das ist etwa der Fall bei Nestlé, seit mehreren Jahren die weltweite Nummer EinsExterner Link im Bereich Lebensmittel und Getränke.

Roche und Novartis gehören zu den führenden Unternehmen in der pharmazeutischen IndustrieExterner Link und rangieren in allen Rankings unter den Top 10 der Welt. Dasselbe gilt für Lafarge Holcim im Baustoff-SektorExterner Link und ABB in der MaschinenindustrieExterner Link.

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Mit Richemont und Swatch Group sind auch zwei der zehn grössten Luxuskonzerne der Welt schweizerisch. Dies zeigt der von der Firma Deloitte erstellte Bericht «Global Powers of Luxury Goods»Externer Link.

Zudem ist die Schweiz auch Sitz des weltweit zweitgrössten Zeitarbeits-UnternehmensExterner Link (Adecco), der weltweit zweitgrössten ContainerreedereiExterner Link (MSC Mediterranean Shipping Company) und des weltweit zweitgrössten LogistikanbietersExterner Link (Kühne + Nagel International).

Schliesslich gehören die Detailhandels-Riesen Coop und Migros im Deloitte-Ranking der 250 weltweit führenden EinzelhändlerExterner Link zu den Top 50. In der weltweiten chemischen Industrie belegt der Agrochemie-Hersteller Syngenta Platz 29Externer Link, im Segment der Pestizide den ersten Platz.

Gewisse Sektoren sind besonders riskant

Nun kommt in der Schweiz am 29. November die Volksinitiative «für verantwortungsvolle Unternehmen» (Konzernverantwortungs-Initiative) zur Abstimmung. Diese will internationale Unternehmen mit «Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz» zu einer Sorgfaltspflicht betreffend der Einhaltung international anerkannter Menschenrechte und Umweltstandards verpflichten.

Firmen sollen für mögliche Verstösse ihrer Tochtergesellschaften oder der von ihnen kontrollierten Betriebe im Ausland vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden können.

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Verantwortung von Konzernen, ein grosses Fragezeichen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Nach jahrelangen Diskussionen liegen die Karten auf dem Tisch. Es kommt definitiv zu einer Volksabstimmung über die Konzernverantwortungs-Initiative.

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Das Bundesamt für StatistikExterner Link (BFS) unterscheidet zwischen «schweizerischen multinationalen Unternehmen», die ihren Hauptsitz im Land haben, und «ausländischen multinationalen Unternehmen», die auf dem Territorium präsent sind, aber aus dem Ausland kontrolliert werden.

Es gibt keine universelle und streng abgegrenzte Definition, was ein multinationales Unternehmen ist. In den Köpfen der meisten Menschen sind Multis jene riesigen internationalen Konzerne, die an der Börse kotiert und der breiten Öffentlichkeit bekannt sind.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. In Übereinstimmung mit Eurostat betrachtet das BFS eine Unternehmensgruppe als multinational, wenn sie aus mindestens zwei juristischen Personen mit Sitz in verschiedenen Ländern besteht. Nach dieser Definition können also auch kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) multinationale Unternehmen sein.

Die Gegner befürchten, dass auch diese KMU von der Konzernverantwortungs-Initiative erfasst werden könnten. Der Text sieht jedoch vor, dass die Last der Due Diligence von der Grösse der Unternehmen abhängt und dass KMU davon ausgeschlossen sind. Es sei denn, sie sind in risikoreichen Sektoren tätig. Grosse Akteure sollten daher am meisten betroffen sein.

Der Text betreffe nur Unternehmen, «die starke Verzweigungen in Ländern haben, in denen der regulatorische Kontext in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt unter international anerkannten Standards liegt», sagt Paul Dembinski, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg und Direktor des «Observatoire de la Finance». «Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich um Unternehmen handelt, die eine stark ausgebaute Tätigkeit in Entwicklungsländern haben.»

Bei einigen dieser grossen Unternehmen besteht tatsächlich ein grösseres Risiko, dass bei ihren Tätigkeiten Menschenrechte oder Umweltstandards verletzt werden. Skandale, die von der NGO Public Eye in den letzten Jahren aufgedeckt wurden, betrafen beispielsweise Tochtergesellschaften von Glencore, Lafarge Holcim und Syngenta in Afrika, Südamerika undAsien.

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«Die Risiken bestehen hauptsächlich auf zwei Ebenen: bei der Art der Aktivitäten und in den Milieus, in denen die multinationalen Konzerne operieren», sagt Géraldine Viret, Sprecherin von Public Eye, welche die Initiative unterstützt.

«Der Rohstoffsektor ist besonders anfällig», ebenso wie die Agrochemie, so die Spezialistin. In der jährlichen Rangliste des Instituts für Menschenrechte und Wirtschaft (siehe Infobox unten) werden auch die Textilindustrie und die Herstellung von Computer- und Kommunikationsprodukten in die Liste der sensiblen Sektoren aufgenommen.

Abgesehen von den «verheerenden» Umweltproblemen, die mit diesen Aktivitäten verbunden seien, «sprechen wir oft von fragilen Ländern, in denen die Bevölkerung trotz Bodenschätzen in grosser Armut lebt und der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger zu schützen», sagt Viret. «Dazu kommt [die] wirtschaftliche Macht [dieser multinationalen Unternehmen] und ihr Einfluss, der oft jenen der Staaten übersteigt, in denen sie tätig sind.»

Public Eye ist der Ansicht, dass die Schweiz als Heimat der Giganten der Hochrisiko-Sektoren eine zentrale Rolle spielen muss. Unter anderem, indem sie Gesetze zur Unternehmensverantwortung verabschiede. Für die NGO geht es darum, die Verantwortung dieser Unternehmen mit deren Macht in Einklang zu bringen.

Das IHRB (Institute for Human Rights and Business) bewertet jährlich 200 der weltweit grössten börsennotierten Unternehmen anhand einer Reihe von Menschenrechts-Indikatoren.

Es konzentriert sich dabei auf vier «Hochrisiko»-Bereiche: landwirtschaftliche Produkte, Bekleidung, Bergbau sowie die Herstellung von Produkten der Informations- und Kommunikationstechnologie.

Laut seinem jährlichen BewertungsberichtExterner Link können viele grosse Unternehmen nicht nachweisen, dass sie die grundlegenden UNO-Menschenrechts-Anforderungen erfüllen. Vier multinationale Schweizer Unternehmen sind dabei. Sie schneiden mittelmässig, wenn nicht gar schlecht ab. Am besten platziert ist NestléExterner Link (55/100), gefolgt von GlencoreExterner Link (46/100), Lindt & SprüngliExterner Link (6/100) und TE ConnectivityExterner Link (weniger als 5/100).

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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