CEO-Löhne: Kann die Schweiz mit den USA mithalten?
Schweizer CEOs gehören zu den bestbezahlten in Europa. Doch im Vergleich zu ihren Kolleg:innen in den Vereinigten Staaten wirken ihre Gehälter bescheiden. Teile der Schweizer Pharmaindustrie sehen darin nun ‒ angeblich ‒ ein Problem.
Kürzlich haben die Aktionär:innen von Novartis ein Gehaltspaket von 16,2 Millionen Franken (18,8 Millionen Dollar) für CEO Vas Narasimhan genehmigt. Das ist fast das Doppelte seiner Vergütung im Vorjahr. Und es macht ihn auf einen Schlag zu einem der bestbezahlten CEOs in Europa.
Im Vergleich zu dem, was die CEOs einiger der grössten US-Unternehmen jährlich verdienen, sind die 16 Millionen Franken jedoch ein Klacks. Die zehn bestbezahltenExterner Link CEOs in den USA, darunter Sundar Pichai von Alphabet und Tim Cook von Apple, kassierten 2023 jeweils mindestens 90 Millionen Dollar.
Auf Rang fünf vorgerückt
«Wir sehen echte Exzesse in den USA und versuchen, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem, was als akzeptabel angesehen wird, und dem, was im Rest der Welt gezahlt wird», sagte Novartis-Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt vor den Aktionären in Basel.
«Wir müssen international wettbewerbsfähige Pakete anbieten, weil wir die besten Leute für uns arbeiten lassen wollen.»
Dieser Spagat ist ein ständiges Thema für Schweizer Pharmaunternehmen. Insbesondere für Novartis, eines der wenigen grossen Schweizer Unternehmen, das amerikanische Staatsbürger an der Spitze hat. Narasimhan wurde in Pittsburgh geboren. Er verbrachte die meiste Zeit seiner Karriere in den USA, bevor er 2018 den CEO-Job in Basel antrat.
Sein neuestes Gehalt bringt ihn nun näher an die Spitzengehälter der US-Kollegen heran. Unter den 15 grössten Pharmaunternehmen ‒ von denen zehn in den USA ansässig sind ‒ liegt die durchschnittliche CEO-Vergütung bei rund 16 Millionen Franken (18 Millionen Dollar).
Albert Bourla, Chef von Pfizer mit Sitz in den USA, verdiente im vergangenen Jahr 33 Millionen Dollar. Er führt die Rangliste an. Narasimhan folgt auf Rang 5.
«Die Erwartungen in Europa sind anders als in den USA», sagt Vincent Kaufmann, Direktor der Ethos-Stiftung für nachhaltige Anlagen gegenüber SWI swissinfo.ch. Die Organisattion zählt viele Pensionskassen zu ihren Kund:innen. «Die Aktionäre in den USA stellen die Entschädigung nicht so in Frage wie wir in Europa.»
Rechtfertigung für die Saläre
Kaufmann war eine der wenigen Personen, die sich an der Generalversammlung vom 5. März gegen den Vorschlag zur Vergütung des CEO von Novartis aussprachen.
Narasimhans Vergütung setzt sich zusammen aus einem Grundgehalt, das im Jahr 2022 leicht auf 1,82 Millionen Franken angehoben wurde, und einer variablen Vergütung. Sie basiert weitgehend auf dem finanziellen Unternehmenserfolg sowie auf einigen Nachhaltigkeits- und Innovationskriterien.
Dem Geschäftsbericht zufolge hat das Unternehmen die Ziele des Verwaltungsrats für Umsatz, operatives Ergebnis und Free Cashflow für 2023 «deutlich übertroffen».
Novartis verzeichnete einen Umsatzanstieg von 10 % auf 45 Mrd. USD und einen Reingewinn von 8,6 Mrd. USD und lag damit höher als einige US-Konkurrenten. Das Unternehmen erhielt zudeem 22 Arzneimittelzulassungen in den USA, Europa, China und Japan.
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«Wir glauben, dass unser Vergütungssystem geeignet ist, diese Leistungsniveaus widerzuspiegeln», sagte Reinhardt den Aktionär:innen. «Manchmal verdient man weniger, manchmal mehr.» Im Jahr 2022 war die Vergütung von Narasimhan nach zwei Jahren turbulenter Finanzergebnisse um 61 % gekürzt worden.
Novo Nordisk zahlt nur die Hälfte
Trotz der soliden Geschäftszahlen im Jahr 2023 sagt Kaufmann: «Die variable Vergütung steigt viel zu schnell und ist nicht zu rechtfertigen». Sie lag beim 7,7-fachen des Grundgehalts. Nun hat der Novartis-Verwaltungsrat vorgeschlagen, das maximale Bonuspotenzial ab 2024 sogar noch zu erhöhen. Auf das 11-fache des Grundgehalts.
Anzumerken ist: Novartis war zuletzt nicht etwa das erfolgreichste Pharmaunternehmen in Europa. Der dänische Arzneimittelhersteller Novo Nordisk verzeichnete 2023 einen Umsatzanstieg von 36 %. Verantwortlich war die Nachfrage nach den Medikamenten gegen Fettleibigkeit Wegovy und Ozempic
Die Aktien des Unternehmens erreichten ein Rekordhoch. Der Marktwert überschritt Anfang des Jahres die Marke von 500 Milliarden Dollar. So wurde es zum wertvollsten Unternehmen Europas.
Das Gehalt von Novo Nordisk-Chef Lars Fruergaard Jørgensen stieg um 13 % auf 68,2 Millionen dänische Kronen (rund 9,9 Millionen Dollar). Rund die Hälfte des Jahresgehalts von Narasimhan.
Die Schere tut sich immer weiter auf
Novartis versucht, mit den US-Konkurrenten mitzuhalten. Das Unternehmen kann aber die öffentliche Wahrnehmung nicht ignorieren.
Nach Schätzungen der Aktionärsgruppe Actares verdient Narasimhan 160 MalExterner Link mehr als der:die durchschnittliche Novartis-Mitarbeiter:in.
Eine von der Schweizer Gewerkschaft UNIA im vergangenen Jahr durchgeführte Studie ergab, dass das Unternehmen nicht allein dasteht. In den letzten zehn Jahren hat sich das Lohngefälle bei den zehn grössten Schweizer Unternehmen vergrössert.
Die Ankündigung der signifikant höheren Bezüge Narasimhans kam für einige Mitarbeitende des Unternehmens in der Schweiz zur Unzeit. Novartis hat sich gerade einer umfassenden Umstrukturierung unterzogen. Dazu gehörte auch die Ausgliederung der Generika-Sparte Sandoz im Oktober.
Der Pharma-Riese ist dadurch zu einem so genannten «Pure Play»-Unternehmen geworden, das sich auf neue, patentgeschützte Behandlungen konzentriert.
Dies hat zu einem erheblichen Stellenabbau geführt. Im Jahr 2022 gab das Unternehmen bekannt, dass es in den nächsten drei Jahren 8000 von insgesamt 108’000 Stellen abbauen wird.
Davon entfielen rund 1400 Stellen auf die Schweiz, was etwa 10 % der Belegschaft entspricht. Dies zusätzlich zu den 2000 Stellen, die bereits vier Jahre zuvor in der Schweiz abgebaut wurden.
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Initiative ohne Wirkung
Hohe Gehälter sind in der Schweizer Öffentlichkeit ein sensibles Thema. Im Jahr 2013 unterstützte das Stimmvolk die «sogenannte «Minder-Initiative». Sie räumt Aktionär:innen ein Vetorecht bei den Gehältern von Topmanagern und Verwaltungsratsmitgliedern börsennotierter Unternehmen ein.
Das Volk verbot auch verschiedene Arten von Boni, wie z. B. Abfindungsvereinbarungen mit «goldenen Fallschirmen». Die Abstimmung erfolgte, nachdem bekannt geworden war, dass der damalige Novartis-CEO Daniel Vasella eine Abfindung in Höhe von 72 Millionen Franken (77 Millionen Dollar) erhalten sollte.
Auch der ehemalige Chef der Credit Suisse, Brady Dougan, ein US-Bürger, trug zur öffentlichen Empörung über «fette» Gehälter bei. Er hatte allein im Jahr 2010 im Rahmen von zwei Vergütungsplänen 90 Millionen Franken erhalten.
Obwohl Versuche, die Gehälter von Führungskräften zu begrenzen, bisher von den Schweizer Wähler:innen abgelehnt wurden, bleibt das Thema ein heisses Eisen.
Eine riskante Strategie
Als wichtiger Wirtschaftsmotor der Schweiz mit einer grossen Zahl internationaler Arbeitskräfte steht die Pharmaindustrie vor einer heikleren Gratwanderung als vielleicht jede andere Branche des Landes.
Die Schweiz hat einige der höchsten Gehälter der Welt, was ein wichtiges Verkaufsargument für Talente aus dem Ausland ist.
Headhunter argumentieren jedoch, dass es bei den Spitzenkräften, insbesondere in Branchen wie der Pharma- und Finanzindustrie, schwierig ist, mit US-Firmen zu konkurrieren.
«Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb um die besten Talente der Welt», sagt Stephan Suber, Leiter von Page Executive Switzerland, einer Personalagentur für Führungskräfte.
«Sie werden in der Schweiz nie Gehälter wie bei Goldman Sachs sehen. Aber wir müssen Leistung belohnen, damit wir die Top-Führungskräfte halten können».
Die USA als Gehaltsvorbild heranzuziehen, ist ein riskantes Unterfangen. Denn auch dort wächst der öffentliche Widerstand gegen überhöhte Gehälter. Und es gibt zunehmende Belege dafür, dass ein extremes Gehaltsgefälle die Arbeitsmoral und Produktivität beeinträchtigt.
Falsche Anreize
Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass die Vorstandsvorsitzenden der 350 grössten börsennotierten Unternehmen in den USAExterner Link im Jahr 2022 das 344-fache eines typischen Arbeiters verdienen werden, während das durchschnittliche Gehaltsverhältnis im Jahr 1965 noch 21 zu 1 betrug.
«Ich bin nach wie vor überzeugt, dass man einen guten CEO für ein Schweizer Unternehmen auch ohne so hohe Gehälter finden kann», sagte Kaufmann.
«Die Vergütung sollte nicht die Quelle der Mitarbeiterbindung sein, sonst zieht man Leute an, die sich auf kurzfristige Wertschöpfung konzentrieren, mit dem Risiko, dass sie nur ihre eigenen Interessen im Auge haben.»
Editiert und aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger
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