Die Schweiz dominiert den Handel mit Kaffee weltweit, jetzt soll die Branche fairer werden
Eine Allianz aus Wirtschaft, Staat und Wissenschaft soll die Nachhaltigkeit der Schweizer Kaffeebranche auf ein neues Niveau heben. Der Ansatz ist Kritiker:innen aber zu unverbindlich.
Die kleine Schweiz ist ein Kaffee-Goliath. Die mehr als 40 Mitglieder der Swiss Coffee Trade Association (STCA) sind für mehr als die Hälfte des weltweit gekauften und verkauften Rohkaffees (also von noch nicht gerösteten Bohnen) verantwortlich.
Die Schweiz ist auch die wertmässig grösste Exporteurin von gerösteten Kaffeebohnen ‒ mit einem Gesamtwert von über 3 Mrd. CHF oder 3,4 Mrd. USD im Jahr 2023 –, was vor allem Nestlé zu verdanken ist, das seinen gesamten Kaffee hier röstet.
Aber es gibt Wolken am Horizont. Die Rolle der Schweiz als Marktführerin ist in Frage gestellt. Die Schweizer Kaffeeindustrie muss sich an die strengeren Beschaffungsvorschriften der EU anpassen und sieht sich Kleinproduzent:innen gegenüber, die ihren Lebensunterhalt mit dem Kaffeeanbau nicht wirklich bestreiten können.
EU will Abholzung stoppen
Um nachhaltigere Lieferketten zu schaffen, wurde nun die Swiss Sustainable Coffee Platform (SSCP)Externer Link gegründet. Sie wird von der Schweizer Regierung unterstützt und hat zum Ziel, den Privatsektor, gemeinnützige Organisationen, die Wissenschaft und die Regierung in der Frage des nachhaltigen Kaffees auf eine gemeinsame Linie zu bringen.
Die Initiative kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Branche unter dem Druck der Europäischen Union steht, die eine «Null-Abholzungs»-Vorschrift für die Lieferkette eingeführt hatExterner Link. Sie soll im Januar 2025 in Kraft treten.
Demnach dürfen sieben landwirtschaftliche Erzeugnisse, darunter Kaffee, in der EU nur dann verkauft werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie seit 2020 keine Abholzung verursacht haben. Auf die EU entfielen im vergangenen Jahr 44% der Schweizer Röstkaffeeexporte.
Mehr
Darum dominiert die Schweiz den weltweiten Markt für Kaffeemaschinen
Ein weiteres Problem für die Branche besteht darin, den Kaffeebäuer:innen ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren.
Aus einem 2023 von der Global Coffee Platform veröffentlichten BerichtExterner Link geht hervor, dass kleine Kaffeeproduzent:innen in Brasilien, dem weltweit grössten Erzeuger, Mühe haben, über die Runden zu kommen.
Diejenigen, deren Plantagen kleiner als fünf Hektar sind, können ihren Lebensunterhalt nicht allein mit Kaffee verdienen. Laut Procafé, dem Schweizerischen Verein zur Förderung des Kaffees, werden etwa 70% des weltweiten Kaffees von 25 Millionen Kleinbäuer:innen angebaut.
Und die Schweizer Kaffeeindustrie ist darauf angewiesen, dass sie am Kaffeeanbau festhalten, um eine ausreichende Versorgung mit hoher und gleichbleibender Qualität zu gewährleisten und Schwankungen der Kaffeepreise zu vermeiden.
«Ein Unternehmen kann zwar seine Beschaffungspolitik für Kaffee verfeinern, aber systemische Probleme wie die Armut in Entwicklungsländern anzugehen, ist weitaus komplizierter. Einfach nur mehr für Kaffee zu bezahlen, löst diese Herausforderungen nicht, denn Armut ist ein vielschichtiges Problem mit tief verwurzelten Ursachen wie wirtschaftlicher Ungleichheit, mangelnder Bildung, unzureichender Gesundheitsversorgung, politischer Instabilität und Umweltzerstörung», sagt Krisztina Szalai, Generalsekretärin des Schweizerischen Kaffeehandelsverbands und Vorsitzende des Dachverbands Community of Interest (CI) Coffee Switzerland.
Ein kollektiver Akt
Einige der grossen Unternehmen wie Nestlé arbeiten seit einigen Jahrzehnten zusammen mit der Zertifizierungsstelle Rainforest Alliance an Umwelt- und Arbeitsfragen.
Der Schweizer Konzern hat sich verpflichtet, bis 2025 seinen gesamten Kaffee aus verantwortungsvollen Quellen zu beziehen (2023 lag der Anteil bei 92,8%).
Bisher gab es jedoch keine branchenweiten gemeinsamen Anstrengungen, um die Herausforderungen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und existenzsichernde Löhne auf eine Weise anzugehen, welche die Bedürfnisse der Schweizer Kaffeeindustrie widerspiegelt. Bis jetzt.
«Nachhaltigkeit im Kaffeesektor lässt sich nicht durch eine einzige Kennzahl definieren oder nur durch zertifizierte Mengen in den Lieferketten messen. Sie umfasst eine breite Palette von Faktoren, darunter Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Lebensfähigkeit und das Wohlergehen der Kaffeebauern und ihrer Gemeinden», sagt Szalai.
Mehr
Die Top-Geschichten der Woche abonnieren
Die Schweizer Regierung ist dank der Beteiligung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) einer der wichtigsten Partner bei der Diskussion über nachhaltigen Kaffee.
Zusammen mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist das Seco eine der wichtigsten staatlichen Stellen für die Entwicklung im Ausland.
Bis die Gelder von schwergewichtigen Mitgliedern des Privatsektors wie Nestlé oder dem Rohstoffunternehmen Olam eintreffen, kann das SSCP auf eine Anschubfinanzierung des Seco in Höhe von 8 Mio. CHF über vier Jahre zählen.
Davon sind 7 Mio. CHF für die Kofinanzierung von Projekten in kaffeeproduzierenden Ländern bestimmt, die für das Seco Priorität haben, etwa in Kolumbien, Peru, Indonesien und Vietnam.
Ziel ist es, dass der Privatsektor schliesslich die gleichen Mittel wie das Seco bereitstellt, auch wenn Mitglieder wie Nestlé SWI swissinfo.ch mitteilten, dass es für sie noch zu früh sei, um sich zur künftigen Finanzierung des Public-Private-Partnership-Projekts zu äussern.
Sie alle müssen je nach Grösse des Unternehmens bis zu 20’000 Franken an jährlichen Mitgliedsbeiträgen zahlen und sollen mehr als 50% der Kosten für Projekte in den Kaffeeanbauländern beisteuern.
Profitieren sollen vor allem die Produzent:innen
«Die Entwicklungszusammenarbeit allein kann nicht alle Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit des Kaffees lösen. Die Swiss Sustainable Coffee Platform bietet die Möglichkeit, zusammenzuarbeiten und Mittel aus dem Privatsektor zu mobilisieren», sagt Marco Kräuchi, Programmleiter Handelsförderung beim Seco.
Staatliche und private Gelder, die über die SSCP kanalisiert werden, sollen Projekte finanzieren, die sich mit Herausforderungen wie Lebensunterhalt und Einkommen, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, Menschenrechten, Arbeitsrechten und Sorgfaltspflicht befassen.
Kräuchi betont, dass die Plattform nicht zu einem Vehikel werden soll, um die regulatorischen und sozialen Verpflichtungen eines Unternehmens auszulagern.
«Es ist nicht die Aufgabe der SSCP, Schweizer Unternehmen dabei zu unterstützen, die internationalen Vorschriften einzuhalten. Dies könnte ein Nebeneffekt sein, ist aber nicht das Hauptziel der internationalen Zusammenarbeit. Der eigentliche Nutzniesser sind die Kaffeebauern in den Anbauländern», sagt er.
Mehr
EU greift bei den Lieferketten hart durch ‒ was das für die Schweiz bedeutet
Kräuchi räumt jedoch ein, dass es keine leichte Aufgabe sein wird, eine so heterogene Gruppe dazu zu bringen, sich auf eine gemeinsame Definition von nachhaltigem Kaffee zu einigen.
«Es besteht ein gewisses Risiko, dass eine solche Plattform so wahrgenommen wird, als würde sie sich für den kleinsten gemeinsamen Nenner entscheiden. Die Mitglieder der Plattform müssen sich darauf einigen, was nachhaltiger Kaffee bedeutet. Die Absichtserklärung, der alle Mitglieder zustimmen müssen, war ein erster Schritt dazu», sagt er.
Schweizer Präzedenzfall
Die SSCP wird auf die Erfahrungen der Schweizer Plattform für nachhaltigen Kakao (Swissco)Externer Link zählen können, die 2018 aus der Schokoladenindustrie hervorgegangen ist und als Vorbild für die SSCP dient.
Beide Initiativen zielen darauf ab, globale Herausforderungen wie Armut, Klima und Entwaldung mit einem Multi-Stakeholder-Ansatz zu bekämpfen, der auf dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung beruht.
Wie Kaffee wird auch Kakao von Kleinbäuer:innen angebaut, wobei die Schweiz eine wichtige Rolle im globalen Handel und in der Produktion spielt. Seit 2018 hat Swissco 45 Projekte in Kakaoanbauregionen mit 64 Millionen Franken unterstützt. Der Anteil der Schweizer Importe von nachhaltigem Kakao ist von 50% im Jahr 2017 auf 82% im Jahr 2023 gestiegen.
«Die Erfahrung der Kakaoplattform hat gezeigt, dass es sich lohnt, den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Schweizer Akteuren zu stärken. Die Akteure sind heute näher beieinander, vertrauen einander mehr und sind offener für einen transparenten Dialog und eine konkrete Zusammenarbeit», sagt Swissco-Geschäftsführer Christian Robin.
Klare Gesetze gefordert
Allerdings sind nicht alle der Meinung, dass die Schweizer Kaffeeindustrie in Sachen Nachhaltigkeit in die Fussstapfen der Schokoladenindustrie treten sollte.
Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye warnt davor, dass die Kaffeeplattform zu einem weiteren «rechtlich unverbindlichen Gesprächsforum» werden könnte, wenn es keine strengen, durchsetzbaren Gesetze gibt, wie sie die Europäische Union verabschiedet hat.
«Noch besser wäre es, wenn die Schweiz endlich wirksame Regelungen einführen würde, die Sorgfaltspflichten rechtsverbindlich machen und wirksame Sanktionen vorsehen. Stattdessen hält unsere Regierung an einem unverbindlichen Dialog ohne Rechenschaftspflicht und mit höchst ungewissem Ausgang fest», so Carla Hoinkes von Public Eye in einer Pressemitteilung am Tag der LancierungExterner Link.
Im Februar beschloss der Bundesrat, das Schweizer Recht «bis auf weiteres» nicht an die EU anzupassen und begründete dies mit dem erhöhten Verwaltungsaufwand für Unternehmen, die keine Produkte in die 27 Mitgliedstaaten exportieren.
Stattdessen will die Regierung im Sommer erneut zusammensitzen, um die Auswirkungen der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte auf Schweizer Unternehmen zu bewerten.
Die SSCP wird sich daher auf seine Nichtregierungsorganisationen und akademischen Mitglieder verlassen müssen (die auch die Hälfte der Sitze im Vorstand innehaben), um jegliche Versuche des Greenwashings zu bekämpfen.
Editiert von Virginie Mangin, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger
Mehr
Wie geht’s, Schweiz? Machen Sie mit bei unserer grossen Umfrage
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch