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«Erstmals sahen die Kongolesen, wie viel Geld an ihre Regierung geht»

Mitarbeiter von Glencore
Ein Arbeiter in der Kupfermine Mutanda von Glencore in der Demokratischen Republik Kongo. Glencore beschäftigt nach eigenen Angaben etwa 7000 Personen im Kongo und versorgt sie und ihre Familien mit einer Krankenversicherung. Glencore

Das Schweizer Rohstoffunternehmen Glencore ist in mehrere Gerichtsverfahren verwickelt und steht wegen Menschenrechts-Verletzungen häufig in der Kritik. Die Nachhaltigkeitschefin von Glencore sagt im Interview mit swissinfo.ch, wie das Unternehmen das Thema Sorgfaltspflicht in seinen umfangreichen Geschäftsbereichen angeht.

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Von der Mineralgewinnung über den Erdölhandel bis hin zu landwirtschaftlichen Produkten: GlencoreExterner Link ist in mehr als 50 Ländern tätig. Einige Länder wie Australien haben eine lange Geschichte des Bergbaus und strenge Vorschriften. Andere wie die kobaltreiche Demokratische Republik Kongo sind risikoreiche Umgebungen, die viele Unternehmen meiden würden.

Anna Krutikov ist seit 2015 für die Nachhaltigkeitspolitik von Glencore verantwortlich. Sie nahm an Diskussionen teil, die zur Gestaltung der Menschenrechts-Richtlinien des Bundes für den Rohstoffsektor, der rund 4% des BIP des Landes ausmacht, beigetragen haben.

Glencore ist im Abbau und Handel mit Rohstoffen tätig, die in allen möglichen Produkten enthalten sind, von Smartphones über Elektrofahrzeuge bis hin zu Lebensmitteln.

Anna Krutikov
Anna Krutikov kam 2012 zum anglo-schweizerischen Bergbauunternehmen Xstrata. Seit dessen Fusion mit Glencore 2013 arbeitet sie für Glencore. Als Leiterin der Abteilung für nachhaltige Entwicklung ist sie für das gesellschaftliche Engagement und die Menschenrechte im gesamten Unternehmen verantwortlich. courtesy Glencore


swissinfo.ch: Wissen Sie, woher Ihre Rohstoffe herkommen?

Anna Krutikov: Unser Ansatz ist es, risikoreiche Rohstoffe zu priorisieren. Nehmen wir das Beispiel Kobalt: Die überwältigende Mehrheit des Kobalts, mit dem wir handeln, ist unser eigenes, so dass wir wissen, woher es kommt. Aber Kobalt von Drittanbietern, mit dem wir handeln, muss unser Sorgfaltspflicht-Programm durchlaufen. Wir ordnen es als «hochriskant» ein, da es möglicherweise aus der Demokratischen Republik Kongo stammt.

Wir arbeiten mit unseren Unternehmen zusammen, um sicherzustellen, dass wir eine vollständige Rückverfolgbarkeit der von uns bezogenen Rohstoffe nach einem risikobasierten Ansatz haben. Wir haben einen sehr funktionsübergreifenden kollaborativen Ansatz.


swissinfo.ch: Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Überarbeitung Ihrer Due Diligence-Prozesse?

A.K.: Es ist der Umfang und die Vielfalt des Footprints. Man hat in Kanada und Australien ganz andere Herausforderungen als im Kongo. Und die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht bei einem Transportunternehmen im Vergleich zur Sorgfaltspflicht bei einem Lieferanten ist ganz anders.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Sorgfaltspflicht im traditionellen Beschaffungsbereich gut etabliert ist. Es gibt eine Menge Fachwissen, es gibt eine Menge Modelle, die in der gesamten Geschäftswelt getestet und erprobt werden.

Die Sorgfaltspflicht beim Rohstoffhandel ist wahrscheinlich etwas weniger bekannt, es gibt weniger Präzedenzfälle. Es ist schwieriger, diese formalen Prozesse zu etablieren und die gesamte Wertschöpfungskette zu durchleuchten. Zu diesem Zweck ist die von der Schweizer Regierung entwickelte RichtlinieExterner Link sehr hilfreich.


swissinfo.ch: Was leitet Ihr gesellschaftliches Engagement und Ihre Investitionsstrategien?

A.K.: Wir wollen helfen, widerstandsfähige Gemeinschaften zu schaffen. Der Bergbau ist per Definition ein endliches Geschäft. Wir wissen, dass wir nicht für immer in einer bestimmten Region tätig sein werden. Unser Ziel ist es, mit den Gemeinden zusammenzuarbeiten, um ihnen zu helfen, eine nachhaltige Existenzgrundlage zu schaffen, damit die Gemeinschaft auch nach der Schliessung der Mine erfolgreich sein kann.

Das bedeutet, dass wir überall dort, wo wir tätig sind, sehr viel in die Ausbildung und in lokale Geschäftsmöglichkeiten investieren wollen, die nicht mit dem Bergbau verbunden sind, wie beispielsweise Sanitärinstallation, Zimmerhandwerk oder Landwirtschaft.

Eine der Herausforderungen, die wir beispielsweise im Kongo sehen, wo eine unserer Aktivitäten zuvor von der staatlichen Bergbaugesellschaft betrieben wurde, ist diese Kultur der enormen Abhängigkeit von der Mine.

Als noch die staatliche Firma die Mine betrieb, sorgte sie für alles. Sie führte Läden. Sie leitete alle Schulen. Sie betrieb die gesamte Infrastruktur – die ganze Stadt wurde von dieser Firma betrieben. Wir sehen diese Kultur der Abhängigkeit auch heute noch. Es wird erwartet, dass die Minen für alles sorgen. Das ist nicht nachhaltig.

Unser Schwerpunkt liegt daher darauf, Ausbildungsmöglichkeiten zu suchen und die Entwicklung von Unternehmen zu unterstützen, die zur Diversifizierung der Wirtschaft beitragen, und sich von dieser Abhängigkeit von der Mine als einziger Lebensgrundlage zu lösen.

swissinfo.ch: Wie führt Glencore Rechnung über die Einnahmen vor Ort und sorgt für Transparenz in diesem Bereich?

A.K.: Wir veröffentlichen einen Jahresbericht über unsere Zahlungen an die Regierungen im Einklang mit der EU-TransparenzrichtlinieExterner Link. Im vergangenen Jahr haben wir erstmals auch unsere Zahlungen an die nationalen Ölgesellschaften in den EITI-LändernExterner Link veröffentlicht. Dies basiert auf der Logik, dass die nationalen Ölgesellschaften immer noch Teil des öffentlichen Sektors sind, und wir unterstützen dort den gleichen Grundsatz der Verantwortlichkeit.

swissinfo.ch: In einigen Ländern wie dem Kongo wird die Justiz als besonders schwach angesehen, so dass es schwierig für Personen und Gemeinschaften ist, ihre Rechte gegenüber einem Bergbauunternehmen wie Glencore durchzusetzen. Was sagen Sie dazu?

A.K.: Das ist zwar nicht unsere eigene Erfahrung, aber ich habe auch schon von dieser Wahrnehmung gehört. Die Lösung besteht meiner Meinung nach darin, die regionale Justiz zu stärken und zu unterstützen, dass lokale Regierungen für die bessere Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verantwortung gezogen werden.

Das ist für uns das Prinzip hinter der Transparenz. Wir legen die Zahlen, die Beträge, die wir an die lokalen Regierungen gezahlt haben, in einer sehr detaillierten Aufschlüsselung offen. Und wir erhielten Rückmeldungen von NGOs im Kongo, es sei das erste Mal, dass solche Informationen überhaupt im Land verfügbar seien.

Zum ersten Mal konnte die Bevölkerung im Kongo sehen, wie viel Geld an ihre Regierung fliesst. Und diese Informationen unterstützen nun die Gespräche zwischen der Zivilgesellschaft in der Demokratischen Republik Kongo über Transparenz und Rechenschaftspflicht.

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swissinfo.ch: In Ihrem Bericht von 2018 heisst es, dass es keine Menschenrechtsverletzungen gab. Wie definieren Sie einen Menschenrechtsfall?

A.K.: Früher definierten wir eine Menschenrechtsverletzung als einzelne oder mehrere Todesfälle. Wir haben erkannt, dass wir diese Definition verfeinern müssen, um andere Aspekte der Menschenrechte zu betrachten und darüber nachzudenken, eine bessere Ausbildung in diesem Bereich anzubieten.

swissinfo.ch: Nach Angaben von NGOs und Gewerkschaften gab es Menschenrechtsverletzungen, die in Ihren Berichten nicht aufgeführt sind.

A.K.: Wir werden im Mai dieses Jahres einen Menschenrechtsbericht veröffentlichen, der viel detaillierter auf einige dieser spezifischen Herausforderungen eingehen wird.

swissinfo.ch: Wie arbeiten Sie im aufstrebenden Bereich der Sorgfaltspflicht für Menschenrechte?

A.K.: Wir stellen ein zunehmendes Interesse unserer Kunden fest, die gesamte Wertschöpfungskette identifizieren und abbilden zu können. Das ist der grosse Schwerpunkt: die Wertschöpfungskette verstehen, die Risiken bis zum Ende der Kette verstehen und sich dann engagieren.

Multinationale Konzerne anerkennen dies im Allgemeinen. Sie werden nicht immer in der Lage sein, die Dinge allein zu ändern, aber Sie können sich an Multi-Stakeholder-Initiativen und -Plattformen beteiligen, um diese Hebelwirkung zu erhöhen und umfassender an der Verbesserung der Praktiken zu arbeiten.

Das ist etwas, was sich wirklich entwickeln wird – auch in der Schweiz; wir waren Mitglied einer von der Schweiz geleiteten Beratungsgruppe, die Leitlinien für Rohstoffhandels-Unternehmen zur Umsetzung der UN-Leitsätze für Wirtschaft und MenschenrechteExterner Link entwickelte.

swissinfo.ch: Gibt es Geschäftsfelder oder Tätigkeiten, die Sie aufgrund der Umweltauswirkungen beendet oder unterlassen haben?

A.K.: Ja, wir haben bestimmte Akquisitionen oder Expansionsprojekte nicht weiterverfolgt, weil wir die Umweltrisiken für zu gravierend halten.

swissinfo.ch: Können Sie aktuelle Beispiele nennen?

A.K.: Tut mir leid, das ist vertraulich.


Fokus auf Glencore

Glencore ist bekannt für seine hohe Risikobereitschaft. Das Unternehmen hat in Konfliktgebieten und mit umstrittenen Regierungen gearbeitet. Glencore ist der Nachfolger eines Unternehmens, das von Ölkönig Marc Rich gegründet wurde, der 1983 wegen einer Vielzahl von Straftaten angeklagt wurde, darunter Steuerhinterziehung, Betrug und Handel mit dem Iran unter Verletzung der US-Sanktionen.

Glencore hat den Sitz in der Schweiz und die Börsennotierung in London. 2013 erwarb Glencore das Bergbauunternehmen Xstrata. Das Unternehmen ist in Ländern auf der ganzen Welt tätig und wurde unter anderem in Peru und im Kongo wegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden angeklagt.

Glencore beschäftigt weltweit 158’000 Mitarbeitende. Die «IndustriALL Global Union» äusserte im vergangenen Jahr in einem Bericht, der dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgelegt wurdeExterner Link, Bedenken wegen der Verletzung der Arbeitnehmerrechte. Das Unternehmen erklärt, dass es mit der Gewerkschaft zusammengearbeitet hat, um die Bedenken auszuräumen.

Auf rechtlicher Ebene untersuchen die Vereinigten Staaten die Aktivitäten von Glencore in Nigeria und Venezuela im Zusammenhang mit ihren Vereinbarungen zur Sicherung der Ölversorgung für ihre Handelsunterstützung.

Das US-Justizministerium prüft ebenfalls Aktivitäten des Unternehmens in der Demokratischen Republik Kongo, dem grössten afrikanischen Kupferproduzenten. Glencore bezieht auch Kobalt, ein Nebenprodukt von Kupfer, über seine industriellen Abbauaktivitäten im Kongo.

Der Reingewinn von Glencore sank 2018 auf 3,4 Milliarden Dollar.


Der Schweizer Rohstoffsektor

In der Schweiz sind rund 500 Unternehmen im Rohstoffsektor tätig. Zusammen beschäftigen sie rund 35’000 Personen und tragen 4% des Bruttoinlandprodukts bei – mehr als die Tourismusbranche.

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(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)

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